Die neu gegründete European League of Football soll die Sportart in Europa auf ein neues Level bringen. In Leipzig hilft ein US-Coach, eine Mannschaft zustande zu bringen und zu einem europäischen Spitzenteam zu formen.
An einem Samstag Mitte Mai bildet sich vor einem Nebeneingang des Alfred-Kunze-Sportparks (AKS), wo sonst Fußball-Regionalligist BSG Chemie trainiert, eine lange Schlange. Kräftig gebaute junge Männer mit großen Sporttaschen sind gekommen, um sich beim Tryout – öffentliches Probetraining – für einen Platz im Kader des neuen American-Football-Teams Leipzigs, Kings, zu bewerben. Die Kings sind eines von acht Teams – sechs in Deutschland, dazu die Standorte Wroclaw und Barcelona – der Ende März neu gegründeten European League of Football (ELF). Eine reine Profi-Franchiseliga außerhalb der Verbände, die von privaten Investoren finanziert wird. »Es geht darum, Football in Europa sportlich und wirtschaftlich auf ein neues Level zu bringen«, sagt ELF-Geschäftsführer Zeljko Karajica. »Wir treten an, um Football die Bühne zu geben, die er auch auf unserem Kontinent verdient.«
Allein, in Leipzig wusste keiner etwas von dem geplanten Team, als Karajica und Patrick »Coach« Esume – als TV-
Experte Stimme und Gesicht des Footballs hierzulande – die Kings beiläufig in einer Pressemitteilung vorstellten. Weder die lokalen, unterklassigen Vereine Lions und Hawks noch die Stadt waren involviert. Ein unprofessioneller Schnellschuss, der so gar nicht zum Anspruch einer neuen Profiliga passt. Zumal das erste Spiel der Kings bereits für den 20. Juni in Berlin angesetzt ist.
Bei Redaktionsschluss gab es noch immer keinen Geschäftsführer oder offiziellen Ansprechpartner für das Leipziger Franchise, das eigentlich erst für nächstes Jahr geplant war. Doch weil andere Teams wegbrachen, wurden holterdiepolter die Kings kreiert. Um die Mannschaft überhaupt an den Start zu bringen, hilft derzeit Björn Schultz aus, der eigentlich Spielerberater im Handball ist. Durch Kontakte zu den Liga-Initiatoren verhandelte er als externer Dienstleister mit Chemie Leipzig einen Untermietvertrag und organisierte etwa 15 Profispieler aus der ganzen Welt. Dazu kommen Spieler aus Deutschland und auch einige ambitionierte Breitensportler von Regionalligist Leipzig Lions, der mit den Kings kooperiert, um den etwa 50 bis 60 Mann starken Kader überhaupt zu füllen. Daher auch das öffentliche Probetraining. Da die Amateure der Lions wegen der Corona-Pandemie nicht spielen dürfen, helfen sie gern aus. Doch für Hobby-Footballer ist das auch ein körperliches Wagnis. »Man muss gewillt sein, Schmerzen zu ertragen«, sagt Lions-Präsidentin Antje Stoltz am Rande des Tryouts. »Auf diesem Niveau stehen den Jungs Maschinen gegenüber.« Hauptsächlich wollen Lions und Kings im Nachwuchs kooperieren. Der hiesige Klub will von Trainern, Know-how und der Perspektive profitieren, die durch die Kings entstehen könnte. Die Profis brauchen auf Sicht talentierte Leipziger Spieler, um hier ein konkurrenzfähiges Team nicht nur mit eingekauften Athleten, sondern auch lokalen Helden hochzuziehen. »Am Ende geht es darum, gute deutsche Spieler zu entwickeln. Wer sind die guten Gangster?«, fragt Coach Fred Armstrong grinsend in breitem amerikanischem Englisch.
Der Trainer aus New Jersey hat das Himmelfahrtskommando übernommen, in Leipzig aus dem Nichts ein Football-Franchise aufzubauen. »I’m a builder«, sagt Armstrong mit jeder Menge american spirit. »Das ist ein Drei-Jahres-Projekt. Deswegen ist der Job absolut perfekt für mich. Ich versuche, hier etwas aufzubauen.«
Armstrong (57) ist seit 30 Jahren Football-Trainer. Er war im Staff der NFL-Teams New York Jets und Giants, kennt aber auch den europäischen Football, hat unter anderem bereits in Schweden und Stuttgart gearbeitet. Armstrong weiß, dass man nach gut drei Wochen Training – das erste fand am 22. Mai statt – gar nicht wettbewerbsfähig sein kann. Doch sein Motto ist: »Wir können nicht kontrollieren, wie es anfängt, aber wir können kontrollieren, wie es aufhört.« Wer Armstrong zuhört, wähnt sich in einem amerikanischen Sportfilm. Die Geschichte, wie ein passionierter US-Coach im Osten Deutschlands eine Mannschaft aufzieht und vom Underdog mit freiwilligen Spielern zu einem europäischen Spitzenteam formt, hat Cool-Runnings-Potenzial.
Doch dahinter stehen freilich knallharte finanzielle Interessen. Die Investorengruppe um Karajica, Ex-ProSiebenSat.1-Geschäftsführer, und Thomas Ebeling, Ex-Vorstand des Privatsenders, hob die ELF aus der Taufe und will den NFL-Boom in Deutschland nutzen, um durch TV-Übertragungen samt Werbung Kasse zu machen. Das große Pfund ist der bereits geschlossene TV-Vertrag – natürlich bei ProSiebenSat.1. So gibt es derzeit auch keinen lokalen Finanzier hinter den Leipzig Kings, der Standort wurde am Reißbrett von den Ligainitiatoren ausgewählt. Die Marke Leip-
zig Kings hat die Frankfurter Firma B.G.A. Football Betriebs GmbH, hinter der der Finanzier des Konkurrenten Frankfurt Galaxy steckt, beim Patentamt eintragen lassen. Der deutsche Verband und die erste Liga GFL lehnen die ELF, die an anderen Standorten Geldgeber und Teams abwarb, übrigens ab. Bleibt abzuwarten, ob nicht nur Probespieler, sondern eines Tages auch die Leipziger Football-Fans am AKS Schlange stehen werden, wenn das Ei durchs Leutzscher Stadion fliegt.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Juni-Ausgabe des kreuzer 06/21.