Die Initiative #Harnack10WirBleibenAlle lehnt sich gegen eine Investmentgesellschaft auf, die Wohnungen in ihrem Haus kauft. Der Konflikt herrscht auf vielen Ebenen.
M. wohnt mit seinen Kindern seit acht Jahren in der Harnackstraße 10 in einem Altbau. Die Familie habe Angst davor, umziehen zu müssen, sagt er. Seit 2019 kauft die Investmentgesellschaft United Capital Wohnungen in dem Haus. M. und seine aktiven Nachbarinnen sind dagegen.
Als die Tätigkeit von United Capital im September bekannt wurde, wurden fünf Wohnungen schon verkauft. Die Hausgemeinschaft musste sich schnell organisieren. So ist die Aktivgruppe #Harnack10WirBleibenAlle entstanden. Aus den Protokollen der Bewohnerversammlungen geht hervor, dass die Mehrheit Angst davor hat, dass sich der Mietpreis erhöht und sie gezwungen sind, sich einen neuen Wohnort zu suchen.
In der Harnackstraße 10 gibt es nur Mietwohnungen. Laut M. sind die Beziehungen zwischen Mieterinnen und Vermieterinnen im Haus sehr gut. Er wolle die Harmonie nicht verlieren: »Wir möchten alles weiter so behalten, wie es ist und möchten nicht, dass alles irgendjemandem alleine zufällt«, sagt er. M. begründet seine Sorgen mit der Situation, die ein neuer Mieter von United Capital erlebt habe: »Er musste etwa zwei Wochen das Bad in einer anderen Wohnung benutzen, da seine Zubringerleitungen noch nicht funktionierten«, erzählt M.
Kein Dialog
Sven Schwarzat und Kevin Rader sind die Gesichter hinter der Investmentgesellschaft United Capital. Sie seien sich der Sorgen der Mieterinnen bewusst, sagen sie. »Wir wollen niemanden entmieten, wir wollen keine Luxussanierung machen«, betont Rader. Er sagt, wegen der Änderungen können die Mietpreise in dem Haus bis maximal 15 Prozent steigen. Wegen der Sanierungsarbeiten sind aber alle betroffen, die im Haus wohnen. Noch im September hätten die Unternehmer versucht, Kontakt zu der Hausgemeinschaft herzustellen, aber ohne Erfolg: »Wir haben die Bewohnerinnen auf ein Treffen eingeladen, doch niemand ist gekommen«, sagt Rader.
Über das Treffen mit United Capital wurde laut der Protokolle auf der Bewohnerversammlung diskutiert, aber die Aktivgruppe entschied, die Einladung nicht anzunehmen. Ihnen ist die Einladung laut M. »unseriös« vorgekommen. Sven Schwarzat und Kevin Rader vermuten, dass die Aktivistinnen keinen Dialog wollen. Schwarzat ist überzeugt, es gebe keine Aktivgruppe, sondern nur einen Provokateur: »Das ist eine politische Aktion, die nur von einer Person geführt wird.« Versammlungsprotokolle und E-Mail-Auszüge, die dem kreuzer vorliegen, bestätigen diese Annahme nicht, M. ist kein Einzelkämpfer.
(Un)Legitimer Umbau
Trotz der Kritik, auch im Internet, setzt die Firma die Erneuerung des Hauses fort. Die Investmentgesellschaft möchte die Wohnungen nicht nur kaufen, sondern auch komplett renovieren und umbauen. Das Haus gehört zu einem sozialen Erhaltungsgebiet. Für den Umbau und die Nutzungsänderung ist eine Genehmigung nötig. Während eines Gesprächs mit kreuzer zeigte M. die Pläne von neugebauten WGs, die die Investmentfirma in Internetanzeigen anhängt: »Sie machen aus einer Drei-Zimmerwohnung eine WG mit vier Wohnzimmern. Aus einem anderen Zimmer wurde Küche und Badezimmer hintereinander gemacht. Was ist mit Brandschutz?«, fragt M.
Die Investoren Rader und Schwarzat behaupten, sie bauen nur die Wohnungen um, die als Büros genutzt wurden, bräuchten aber trotzdem keine Genehmigung für Gewerbeflächen: »Es geht im Milieuschutz nur um Wohnräume. Ein Büro in einer Wohnung lässt das Ganze nicht gewerblich werden, das bleibt dann eine Wohnung und da gilt der Milieuschutz. Aber solche Wohnungen haben wir nicht gekauft«, erklärt Sven Schwarzat.
Anfang des Monats hat die Linken-Politikerin Juliane Nagel eine Anfrage an die Stadt Leipzig zu der Angelegenheit geschrieben. Die schriftliche Antwort bestätigt, dass die Firma keine Anträge für eine Genehmigung baulicher Änderungen nach sozialem Erhaltungsrecht gestellt hat. Nun will die Stadt Leipzig prüfen, »ob ein Verstoß gegen erhaltungs- oder baurechtliche Vorschriften gegeben ist«, hieß es in der Antwort der Stadtverwaltung.
Wohnung um jeden Preis
Die Preise für ein neu umgebautes WG-Zimmer in den Wohnungen von United Capital sind im Vergleich zum Leipziger Durchschnitt sehr hoch und entsprechen den Münchner Mietpreisen: 270 Euro warm für Sieben-Quadratmeter-Zimmer. »Bei unseren Wohnungen ist alles außer GEZ und Internet bereits im Mietpreis enthalten. Das heißt, dass jede Wohnung möbliert ist, außerdem bekommt jeder Mieter einen individuellen Vertrag fürs Zimmer, sodass Mitbewohner voneinander nicht abhängig sind. Wir wollen mehr Wohnraum für Studenten schaffen«, sagt Kevin Rader.
M. aus der Aktivgruppe #Harnack10WirBleibenAlle glaubt, die Unternehmer würden die Probleme von jungen Menschen, die dringend ein Zimmer brauchen, ausnutzen. Er habe selbst recherchiert und herausgefunden, dass das Haus in der Harnackstraße 10 nicht das Einzige sei, das United Capital kaufen möchte. Es gebe über 30 Häuser in seiner Liste. Die Investoren widersprechen diesen Zahlen, sie meinen, es gebe bis heute zwei Häuser in Leipzig, in denen sie Wohnungen kaufen. Die Politikerin Juliane Nagel erklärt die Situation mit Vernetzungen zwischen unterschiedlichen Immobilienunternehmen, die ganz oder zum Teil der Firma United Capital gehören oder damit verbunden sind. Die Aktivistinnen nennen diese Manöver »Wohnspekulation«, die Investoren bezeichnen das als »Partnerschaften«.
Investmentfirma als Privatkäufer
Juliane Nagel kritisiert, dass die Vermietung sowie der Kauf der Wohnungen als »von privat« erfolgt, bisher seien drei Accounts von United Capital, die mit einem privaten Namen registriert sind, bei Immobilienscout bekannt. Die Bewohnerinnen denken, die Firma benutzt diese Strategie, um Schwierigkeiten und vertiefte Fragen beim Kauf zu vermeiden. Kevin Rader und Sven Schwarzat sprechen darüber offen: »Wenn wir etwas als Privatpersonen kaufen, bedeutet das, dass wir langfristig Interesse haben und mindestens für zehn Jahre behalten«, betont Rader.
Aus der rechtlichen Sicht sei dieser Prozess legal, erklärt der Leipziger Rechtsanwalt Michael Thoß. »Im Prinzip kann jeder eine Wohnung in Deutschland kaufen, der möchte. Wenn die Firma United Capital nicht alle Wohnungen selber kaufen will, sondern auch deren Mitarbeiter, ist das in Ordnung und nicht zu verhindern«, so der Rechtsanwalt.
M. erzählt, sein Vermieter wollte die Wohnung aus persönlichen Gründen verkaufen – seine Tochter wolle ein Haus bauen, er brauche Geld. »Mein Vermieter hätte die Wohnung fast verkauft, wenn ich nicht gesagt hätte, dass das kein Privatkäufer ist, und was United Capital in unserem Haus macht«, erinnert sich M. Mittlerweile habe sein Vermieter die Wohnung aber an Kevin Rader verkauft. Von diesem Kauf habe die Firma United Capital nichts zu tun, äußert sich Sven Schwarzat auf Anfrage.
NINA POGREBNAYA
In der ersten Fassung dieses Artikels hieß es, dass die Initiative per Mail auf die Gesprächseinadung von United Capital antwortete. Ebenso beinhaltete sie die Aussage, die Wohnung von M. sei an Sven Schwarzat verkauft worden. Dafür möchten wir uns bei den Beteiligten und unseren Lesern entschuldigen.