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Stadtleben

»Es ist irgendwo menschlich«

Der Soziologe Christian Thiel über seine Betrugsforschung in Romance-Scam-Fällen

  »Es ist irgendwo menschlich« | Der Soziologe Christian Thiel über seine Betrugsforschung in Romance-Scam-Fällen

Es gibt typische Bausteine der Täuschung, die in unterschiedlichen Betrugsmaschen vorkommen. So kann der Soziologe Christian Thiel seine Betrugsforschung auch im Romance Scam, dem Liebesbetrug im Internet, nutzen: Dabei versucht er aus der soziologischen Perspektive, die Verflechtung zwischen Täter und Opfer zu analysieren.

kreuzer: Inwiefern sind wir in einer digitalisierten Welt anfälliger für Betrug wie den Romance Scam?

Christian Thiel: Dass wir uns im Internet erstaunlicherweise einem unbekannten Gegenüber mehr öffnen, liegt vielleicht daran, hinter dem eigenen Computerbildschirm ein vermeintliches Gefühl der Sicherheit zu haben. Diese Offenheit ist bei Betrügern fatal: Sie können alles, was ihnen erzählt wird, gegen einen verwenden. Und das gilt auch für Dinge, die an anderer Stelle im Netz unvorsichtigerweise kundgetan wurden: Wenn ich zum Beispiel auf meinem Facebook-Profil zeige, dass ich Hunde total liebe, ist das natürlich ein Einfallstor für diverse Manipulationen. Gerade beim Romance Scam ist das wichtig, schließlich wollen die Täter bei ihren Opfern ja Liebe erzeugen. Und Liebe entsteht eben auch, wenn ich das Gefühl habe, dass mein Gegenüber mich, meine Neigungen und Wünsche kennt, versteht und teilt.
 

Am Opferprofil ausgerichtet gestalten Täter dann ihre Profile ...

Zielgruppe sind häufig ältere alleinstehende Frauen. Für diese erstellen die Täter in der Regel Profile, die einem romantischen Liebesideal sowie dem Bild eines perfekten Ehepartners nahekommen. Mitunter wird dies noch mit einer Portion Exotik garniert – so landet man dann beim um die Welt fliegenden britischen Herzchirurgen oder dem im gefährlichen Einsatz stehenden US-General in Afghanistan. Viele dieser Geschichten haben eine doppelte Funktion für die Täter: Sie sollen nicht nur die Opfer täuschen, sondern auch bestimmte Forderungen oder Widersprüche von Beginn an vorbereiten. So muss ja beispielsweise erklärt werden, wieso ein reales Treffen nicht möglich ist.
 

Wie schnell entwickelt sich der Kontaktaufbau bis zur ersten Geldzahlung?

Die Täter denken hier durchaus ökonomisch und versuchen in einer möglichst kurzen Zeit das Maximale rauszuholen. In der Regel ist der Traumpartner, den die Täter spielen, schon nach wenigen Tagen »blitzverliebt« und bombardiert das Opfer regelrecht mit Liebesschwüren, Hochzeitsanträgen und Zukunftsplänen. Die oft etwas überrumpelten Opfer lassen sich nicht selten darauf ein – schließlich geht es ja um nichts. Dass dies nicht stimmt, merken sie oft wenige Tage oder Wochen später, wenn ihr Traumpartner plötzlich in eine Notlage gerät und dringend Geld braucht. Dann sind die Opfer aber zumeist schon zu tief in die Täuschung verstrickt. Eine Geldzahlung führt dann zur nächsten und irgendwann zahlt das Opfer schon deswegen, weil es die bisherigen Zahlungen gedanklich nicht abschreiben kann. Selbst wenn die Geschädigten finanziell ausgeblutet sind, halten die Täter sie oft noch bei der Stange – etwa als Finanzagenten für andere Betrügereien.
 

Wie geht es den Opfern nach der Enttarnung?

Es gibt schon Konstellationen, wo es ans Existenzielle geht: Wenn Leute ihre Lebensersparnisse verlieren oder ein Haus verkaufen, sind die Schäden massiv. Hinzu kommen die ganzen psychischen Folgen wie Depressionen, Rückzug aus sozialen Beziehungen, teils sogar Suizid-Gedanken. Ein Aspekt hier erregt bei Außenstehenden besonderes Unverständnis: wenn Geschädigte mehrfach auf dieselbe Betrugsmasche hereinfallen. Ich erkläre mir das so: Die Getäuschten haben ein Luftschloss in ihrem Kopf errichtet. Selbst wenn Zweifel daran aufkommen oder selbst wenn es als Betrug enttarnt wird, so bleibt es doch häufig als gedankliche Möglichkeit bestehen. In einer Art Kipp-Effekt können die Getäuschten so zwischen zwei Wirklichkeiten hin- und herspringen: einer realen und einer erfundenen. Oft reicht schon ein kleiner Anstoß und schon bevorzugt man wider besseres Wissen die schillernde Illusion vor der tristen Wirklichkeit – das ist aber auch irgendwo menschlich.  
 

Bei Betrugsfällen wird schnell das Kommunikationsmedium gewechselt, weg von der ursprünglichen Datingplattform. Wie weit können die Plattformen überhaupt Schutzmechnanismen bieten?

Ich glaube, dass es durchaus möglich wäre, mithilfe entsprechender Algorithmen einen ordentlichen Teil derartiger Romance Scams aufzudecken. Denn die Kommunikation der Täter ist meist sehr standardisiert, neben den Textbausteinen könnte man auch die Bilder filtern und rückverfolgen. Da könnte man mehr machen, aber das ist eine Frage der Anreizstrukturen – wie sehr lohnt es sich für die Plattformbetreiber, welchen Aufwand zu betreiben? Es gibt immer wieder Vorwürfe an Plattformen, dass sie kein Interesse daran haben, aufzuklären, wer hier echt ist und wer nicht.

 

Titelfoto: Christian Thiel. Foto: studioline Augsburg.


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