Vor 26 Jahren zogen sie noch gemeinsam um die Häuser. Heute sind die vier »Muskeltiere« in alle Winde verstreut: Lea führt ein langweiliges Leben als Karrierefrau, während ihre Schwester Toni den gegensätzlichen Lebensentwurf probt, mit ihrem Leben im Rampenlicht aber auch alles andere als glücklich ist. Steffi ist frustrierte Hausfrau und Mutter. In ihrer Ehe läuft schon lange nichts mehr rund, stattdessen sucht sie flüchtige Affären. Nur Maja scheint die große Liebe gefunden zu haben. Deshalb ruft sie die Freundinnen zusammen und fordert einen Schwur ein: Wenn eine von ihnen heiratet, sind die anderen dabei.
Also treffen sich Lea, Toni und Steffi auf dem Flughafen, um ihre Reise nach Italien anzutreten. Dort angekommen, beginnt ein langer Road-Trip mit einem klapprigen Mietwagen bis ans andere Ende des Landes, wo eine unerwartete Nachricht auf sie wartet. Unterwegs stellt sich allerdings recht schnell heraus, dass die drei vollkommen unterschiedliche Lebensträume verfolgen, und auf der Reise brechen Konflikte von früher auf. Am Ende haben sie aber doch mehr gemeinsam, als sie sich eingestehen wollen.
Mit entwaffnender Ehrlichkeit erzählt Autorin und Regisseurin Julia Becker ihre Freundschaftsgeschichte. Ein Glücksfall ist dabei das Schauspielerinnenensemble: Jessica Schwarz gibt die versnobte Zicke, Petra Schmidt-Schaller bietet auch auf der Bühne eine überzeugende Performance und für die kleine, feine Nebenrolle als Maja konnte Nora Tschirner gewonnen werden. Die Rolle der Vierten im Bunde übernahm Julia Becker selbst. Als Schauspielerin hatte sie vor zehn Jahren in Fernseh- und Kinorollen angefangen. Mit ihrem Spielfilmdebüt »Maybe, Baby!« (kreuzer 04/18) war sie aber auch schon hinter die Kamera tätig. Unterstützt wurde sie dabei von der Leipzigerin Frauke Kolbmüller: »Ich hab Julia 2013 über den Kurzfilm ›Das Floß!‹ kennengelernt. Sie hat produziert und gespielt und ich kam über gemeinsame Freunde beratend und für den Dreh dazu. 2016 hat sie mir dann ›Maybe, Baby!‹ vorgestellt und damit begann unsere gemeinsame enge Zusammenarbeit.«
Mit »Over & Out« haben sie es nun auf die ganz großen Leinwände geschafft. Der Major-Verleih Warner bringt ihren Film in die Kinos. »Das war ein großer Sprung«, sagt Kolbmüller. »Sowohl produktionell, finanziell als auch in der erzählerischen Komplexität. Am Anfang sind wir zu zweit und überlegen uns, was wir aus Julias Geschichte machen wollen. Dann müssen uns viele Partner und Partnerinnen vertrauen. Und irgendwann arbeiten hundert Menschen an unserem Set. Da müssen wir beide einen kühlen Kopf bewahren.« Trotzdem war es Becker und Kolbmüller extrem wichtig, sich nicht zu verbiegen und den Film machen zu können, der ihnen am Herzen lag.
»Ich wollte einen Film über Frauen machen, in dem ich mich auch selbst wiederfinden kann«, sagt Becker. »Meine Hauptfiguren sind allesamt starke Charaktere, die nicht nur gackernd und bunt sind, sondern auch echte Probleme haben. Alle Frauen sind vielschichtig, widersprüchlich und verletzbar. Es gibt so viele spannende Frauen – aber wo sind sie in den Filmen? Da wollte ich mit ›Over & Out‹ ran. Dass es nun als fertiger Film vorliegt, ist einfach nur schön.« Ein Türöffner war die prominente Besetzung. Aber auch generell sei das Interesse an weiblichen Stoffen im deutschen Kino gestiegen, sagt Julia Becker. »Ich denke, dass es in den letzten Jahren einfacher geworden ist. Weibliche Perspektiven werden immer lauter gefordert und es ist auch endlich bei den Entscheidern angekommen, dass Frauen verrückterweise die Hälfte der Bevölkerung stellen. Aber solange man den Satz: ›Wir haben schon was mit Frauen‹ noch hört, gibt es noch viel zu tun.«
Die Bereitschaft der Verleiher liegt nicht zuletzt am Erfolg der Filme von Regisseurinnen wie etwa Karoline Herfurth (»Wunderschön«), sagt Becker: »Sie macht tolle Filme und das hat bei einem so großen Verleih wie Warner sicher Vertrauen geschaffen. Was bei mir dann natürlich noch dazu kam, war, dass ich bei meinem Independent-Debüt ›Maybe, Baby!‹ schon alle drei Jobs gemacht hatte, also eine ›Visitenkarte‹ hatte.«
Für das deutsche Kino ist das ein absoluter Glücksfall. Beckers Filme machen herrlich Spaß, sind unverkrampft und leicht, ohne die Zuschauer und Zuschauerinnen zu unterfordern – das ist gerade im meist glattgebügelten Komödienfach ein Lichtblick. Ihre Heldinnen dürfen sich fetzen, feiern und hemmungslos den Caught-in-the-Act-Hit »Love is everywhere« schmettern. Dazwischen schimmert immer wieder Kritik am gesellschaftlichen Frauenbild durch. Der Zeiger steht aber grundsätzlich auf Unterhaltung. Und der Spaß daran überträgt sich von den Darstellerinnen auf der Leinwand in den ganzen Kinosaal.
»Over & Out«: ab 31.8., Cineplex, Cinestar, Regina-Palast