Es ist kurz vor neun, als Anja Mittag im Trainingsanzug über den Parkplatz geschlendert kommt. Wir treffen uns im RB-Trainingszentrum am Cottaweg. Auf die Frage, ob sie vorm Interviewtermin schon laufen war, lacht Mittag überrascht auf. Wer so lange auf so hohem Niveau gespielt und trainiert hat, freut sich, einen Tag auch mal gemütlich beginnen zu können.
kreuzer: Sie haben ja schon an vielen Orten in Sachsen gespielt. Hand aufs Herz: Welches ist der schönste?
Anja Mittag: Der schönste Fußballplatz? Puh, das ist schwer. Man verbindet mit so einem Fußballplatz ja auch immer Erinnerungen. Deswegen würde ich sagen, beim Chemnitzer FC im Neubauernweg, da trainieren die ihren Nachwuchs und da habe ich viel Zeit verbracht. Ich weiß nicht, ob es der schönste oder der beste Rasenplatz ist, aber zumindest hängen da viele Erinnerungen dran.
Sie sind mit RB vor zwei Jahren in die zweite Liga aufgestiegen. Dann haben Sie die Karriere beendet und sind doch noch mal zurückgekommen. Jetzt spielen Sie bei Eintracht Leipzig-Süd und sind bei RB Co-Trainerin. Fällt es Ihnen schwer, den Fußball sein zu lassen?
Ja, klar. Wenn man tagtäglich mit der Mannschaft trainiert oder auf dem Platz steht, dann bekommt man natürlich schon Lust, in der ein oder anderen Übung mit auszuhelfen und einzuspringen. Manchmal mache ich das auch, wenn eine Spielerin fehlt. Ich habe das Gefühl, dass ich das körperlich noch kann. Nicht täglich und nicht jedes Wochenende ein Spiel. Aber ich habe noch Lust – und wenn sich das vereinbaren lässt mit unseren Trainingszeiten, dann versuche ich gerne, mich fit zu halten.
Spielen Sie dann im Sturm oder eher weiter hinten? Oft ist es ja so, dass Leute, die auf hohem Level gekickt haben, dann eher defensiver spielen, wo sie mehr Überblick haben und die anderen abfedern.
Wenn ich jetzt bei Eintracht Leipzig-Süd im Sturm spiele – und das meine ich nicht despektierlich –, dann kriege ich auch mal weniger Bälle. Deswegen lasse ich mich absichtlich manchmal ein bisschen tiefer fallen, um meine Mitspielerinnen zu bedienen. Und ich weiß, dass ich da ein bisschen mehr ins Spiel eingebunden bin. Ich bin da, wo die Mannschaft mich braucht.
Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, Fußball zu spielen?
Wie ist Ihr Gefühl hier in Leipzig? Wie wird da der Frauenfußball angenommen?
Ich glaube schon, dass das Interesse da ist. Es ist sicher noch ausbaufähig, keine Frage. Wir spielen unsere Spiele drüben in Markkranstädt. Das hat natürlich auch einen historischen Grund, deswegen sind wir froh über die Möglichkeit, dort zu spielen. Langfristig wollen wir aber in Leipzig spielen und hoffen, dass noch mal ein größerer Bezug entsteht. Und je höher wir spielen, desto größer wird die Fannähe.
Daran anschließend: Sie haben mehr Länderspiele absolviert als Lothar Matthäus, der deutscher Rekordnationalspieler bei den Männern ist. Werden Sie oft auf der Straße erkannt?
Früher, zur aktiven Zeit, ist das schon öfter passiert. Jetzt hat es deutlich nachgelassen. Es ist eher so, dass Leute gucken und dann wahrscheinlich denken: »Ah, irgendwo kann ich sie einordnen, aber ich weiß nicht, wo.« Aber das war auch früher nicht schlimm. Ich glaube, dass man im Frauenfußball nie in die Sphären reinrückt wie vielleicht ein männlicher Fußballprofi. Wir haben da mehr Privatleben, was auch nicht schlecht ist.
Denken Sie dennoch manchmal: Ich hab Olympia-Gold und die WM gewonnen, dreimal die EM – das wird nicht wertgeschätzt in der Gesellschaft und Medienlandschaft?
Na klar, es ist ja auch immer eine Wertschätzung, wenn man angesprochen wird. Man wird wahrgenommen für das, was man auf dem Platz geleistet hat. Aber natürlich bin ich auch froh, dass ich nicht diesen Hype auslöse, mit dem ich nicht mal in Ruhe einen Kaffee trinken könnte. Es ist so ein bisschen beides.
Apropos Nationalmannschaft, Sie haben Ihre Karriere dort 2017 beendet. Haben Sie noch Kontakt zu Ihren ehemaligen Kolleginnen?
Ich verfolge die Mannschaft natürlich sehr intensiv, gerade auch bei der letzten EM in England. Ich war auch bei ein paar Spielen vor Ort und bin großer Fan. Ich freue mich, wenn da eine Entwicklung zu sehen ist und die Mannschaft erfolgreich spielt. Kontakt habe ich hin und wieder zu Spielerinnen, aber nicht regelmäßig.
Wäre das auch etwas, das Sie reizen würde: irgendwann beim DFB-Team zu arbeiten?
Klar, die Nationalmannschaft ist immer ein spannendes Thema. Aber nichts, das aktuell für mich in Frage kommt. Ich fühle mich ganz wohl hier.
Die EM tauchte diesen Sommer in den Medien häufiger auf als in den Jahren zuvor. Es gab auch eine NDR-Doku, in der Spielerinnen von Sexismusvorfällen berichtet haben. Wie war das in Ihrer Wahrnehmung?
Man hat ja grundsätzlich immer viel – bewusst oder unbewusst – mit Diskriminierung zu tun oder sexistischen Sprüchen. Ich weiß nicht, wie es heute für junge Spielerinnen ist, aber ich habe viel erlebt und musste mir viel anhören. Ich habe viel weggesteckt und viel weggelächelt. Deswegen ist das Thema schon allgegenwärtig im Frauenfußball. Ich glaube aber auch, dass da die eine oder andere gesellschaftliche Veränderung stattfindet. Ich habe den Eindruck, dass viel mehr darüber gesprochen wird, dass die Spielerinnen natürlich auch an Stimme gewinnen oder mutiger werden, weil es viele Vorbilder gibt, die sich erheben und sagen: »Hey, das ist nicht okay.« Es gibt viele Anlaufstellen, nicht nur für Frauen, an die sich Betroffene wenden können. Das bedarf natürlich auch viel Mut. Es wird nun mehr drüber gesprochen und die Thematik wird sichtbarer.
Noch mal zurück zu den schönen Seiten des Fußballs: Was war der tollste Moment in Ihrer Fußballkarriere?
Wir haben mit Turbine Potsdam 2010 die Champions League gewonnen. Das war ein besonders schöner Moment. Wir haben im Elfmeterschießen gewonnen, es stand lange 0:0. Der Olympiasieg 2016 in Rio war auch ein besonderes Highlight. Ich habe ein Jahr später aufgehört, deswegen war das noch mal ein perfekter Abschluss für mich.
Gewöhnt man sich irgendwann an diese Titel?
Wir hatten eine Zeit mit der Nationalmannschaft, die sehr erfolgreich und mit vielen klasse individuellen Spielerinnen gespickt war. Aber ich würde nie sagen, dass das eine Gewohnheitssache ist. Jeden Erfolg muss man sich hart erarbeiten, man braucht viel Glück, man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Man muss verletzungsfrei bleiben, damit man die Möglichkeit hat, alles mitzuerleben. Und ich weiß jetzt, wie viel Arbeit dahintersteckt, auch vonseiten der Mannschaft und des Trainerteams. Es ist immer ein langer, steiniger Weg, egal, ob das jetzt eine Saison mit 26 Spieltagen oder ein Turnier mit nur sechs Spielen bis ins Finale ist.
Anja Mittag wurde 1985 in Karl-Marx-Stadt geboren und begann mit dem Fußballspielen beim VfB Chemnitz und Chemnitzer FC. Nach Stationen bei Turbine Potsdam, FC Rosengård, Paris St. Germain und dem VfL Wolfsburg wechselte sie 2019 zu RB Leipzig, wo sie nun als Trainerin arbeitet. Aktiv ist sie weiterhin beim Regionalligisten SV Eintracht Leipzig-Süd. Mit ihren Vereinen gewann Mittag die Champions League und den UEFA Women’s Cup, dreimal den DFB-Pokal, sechsmal die deutsche und zweimal die schwedische Vereinsmeisterschaft. Mit der Nationalmannschaft wurde sie einmal Weltmeisterin und dreimal Europameisterin und gewann 2016 olympisches Gold. Insgesamt hat Mittag 158 Nationalmannschaftsspiele absolviert und ist damit auf Platz vier der ewigen Rangliste der deutschen Frauen. |
Der Frauenfußball hat sich über die letzten Jahre technisch, strategisch und athletisch enorm gesteigert, in vielen europäischen Ländern steigen die Zuschauerzahlen – trotzdem nimmt die Anzahl der Mädchen und Frauen in Deutschland ab, die im Breitensport spielen. Woran liegt das?
Nach der EM gab es wohl einen kleinen Boom, viele Mädels haben angefangen zu kicken und einige Vereine konnten dem gar nicht nachkommen. Ich weiß nicht, ob es Corona-bedingt weniger Frauen und Mädchen gab, die Fußball gespielt haben. Ansonsten glaube ich, dass die Entwicklung schon abhängig vom Erfolg der Frauennationalmannschaft und deren Sichtbarkeit ist. Ich meine, wenn 18 Millionen das Finale schauen, dann wirkt das auch auf eine kleine 10-Jährige oder 12-Jährige. Das bedingt sich auch. Es gab lange kein großes erfolgreiches Turnier der deutschen Nationalmannschaft. Deswegen hofft man natürlich, dass die Medien helfen, die Sichtbarkeit durch die Übertragung von Spielen zu erhöhen.
Und an Sie als Trainerin: Ihr Plan ist der Aufstieg?
Auf jeden Fall.
In dieser Saison?
Hoffentlich. Endlich. Das wäre sehr schön. Es ist noch eine lange Saison. Wir haben 4 von 26 Spieltagen gespielt, sind Tabellenerster. Der Aufstieg ist das Ziel. Wir sind das dritte Jahr in der zweiten Liga. Wir versuchen, verletzungsfrei zu bleiben und eine gute Saison hinzulegen.
In Ihrem Podcast »Mittags bei Henning«, den Sie mit Ihrer ehemaligen Kollegin Josephine Henning machen, plaudern Sie über Dinge des alltäglichen Lebens, die Welt des Fußballs und laden verschiedene Gäste ein. Brauchte die Welt noch einen Sport-Podcast?
(Mittag lacht.) Vor allem brauchte es einen von Frauen gemachten. Deswegen ist der auch entstanden. Im Mai 2020 kam mir die Idee. Ich hatte Zeit und es sind damals viele neue Podcasts entstanden. Ich habe die Sport-Kategorie durchgeguckt und wollte etwas mit Bezug zum Fußball hören. Und es waren Männer, Männer, Männer, Männer und Männer, die alle über Fußball gesprochen haben. Ich dachte mir: Das kann doch nicht sein. Es muss doch auch Frauen geben, die über Fußball sprechen. So ist die Idee entstanden. Heute ist die 49. Folge rausgekommen, in zwei Wochen die 50. Wir sind stolz darauf, wie sich das Ganze entwickelt hat. Wir können vielen, nicht nur Fußballerinnen, eine Plattform geben oder zumindest Gehör.
Wenn Sie nicht gerade trainieren, spielen oder podcastinieren: Wo halten Sie sich gerne in Leipzig auf?
Ich habe zwei Jahre in Plagwitz gewohnt, bevor ich dann ins Zentrum gezogen bin. Plagwitz fand ich immer schön. Die Karl-Heine-Straße finde ich super, das war für mich ein Wohlfühl-Ort, da bin ich gerne spazieren gegangen. Zu wissen, dass man abends immer auf ein Getränk rauskann, ist klasse.
Leipzig langfristig oder noch mal woanders hin? Zurück nach Chemnitz?
Nee, nee, Chemnitz nicht (lacht). Ich fühle mich sehr wohl in Leipzig. Leipzig ist eine sehr schöne Stadt. Ich mag es, wenn man alles fußläufig oder mit dem Fahrrad erreicht. Es ist toll, dass das Stadion mitten in der Stadt ist und dass man zum Beispiel nicht eine Dreiviertelstunde rausfahren muss mit der Bahn. All so was macht eine Stadt lebenswert. Leipzig ist nicht zu groß, nicht zu klein, es hat eine schöne Größe. Für mich ist das ein absoluter Wohlfühlfaktor und die Stadt ist auch noch nicht so überlaufen von Touristen. Deswegen hat Leipzig eine hohe Lebensqualität.
Titelfoto: Anja Mittag. Copyright: Christiane Gundlach.
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