Nach der Autowerkstatt und vor dem alltäglichen Training nimmt sich die Leipziger Judo-Sportlerin Marie Branser Zeit für ein Gespräch mit dem kreuzer. Wir treffen uns in den Trainingsräumen des SC DHfK Leipzig im Sportforum Süd. Die 30-jährige Athletin trägt einen farbenfrohen Trainingsanzug der Republik Guinea und hat ihre Freundin Johanna im Gepäck.
Frau Branser, auch wenn es ein Jahr her ist – wie war Olympia in Tokio?
Unglaublich. Es war mein Kindheitstraum und der Weg dorthin war – vor allem wegen Corona – extrem schwer, wegen des Virus hätte ich jeden Tag rausfliegen können. Die Eröffnungsfeier war unglaublich emotional. Die Wettkämpfe, die Organisation, die Stimmung: Olympia war für mich ein unvergessliches Erlebnis.
Warum sind Sie bei dem Turnier für die Demokratische Republik Kongo angetreten?
Durch die Spitzensportreform, bei der viel gekürzt wurde, bin ich als eine der Ersten aus dem Kader der Deutschen geflogen. Nach der Politik des Judoverbands Sachsen, für den ich noch viele Erfolge einfuhr, war ich zu alt. Für mich war an Aufhören nicht zu denken, ich hatte vielmehr das Gefühl: »Jetzt geht’s erst richtig los.« Durch die Verbindungen meiner Großeltern nach Afrika, dadurch, dass meine Familienmitglieder im Kongo und in Guinea gelebt und gearbeitet haben, war das eine Option. Daher habe ich dort angefragt.
Warum gehen Sie aber nun seit 2022 für Guinea an den Start?
Es gab mit dem Kongo nach Olympia eine Reihe schwerwiegender Probleme, die wir immer wieder versucht haben aufzuarbeiten. Versagte Startmöglichkeiten bei Turnieren, Geldfragen, gescheiterte Treffen mit dem Sportminister. Innerhalb der Föderation gab es politische Schwierigkeiten, unter denen ich dann leiden musste: Ich habe über ein Jahr nicht gekämpft. Mit Unterstützung der internationalen Judo-Föderation haben mein Trainer, mein Team, der Coach von Guinea und ich entschieden, dass ein erneuter Wechsel die einzig sinnvolle Option war, im Hinblick auf Paris (Ort der olympischen Sommerspiele 2024, Anm. d. Red.). Mit dem Coach von Guinea, der der gesamtverantwortliche Trainer für Afrika ist, hat es dann zum Glück einfach gut gepasst.
Sind deutsche Meisterschaften noch ein Thema für Sie?
Nicht wirklich, da das sportlich nicht relevant ist für mich, es zählt nicht für meine Olympia-Qualifikation. Und da gäbe es schon auch Unmut wegen des Nationenwechsels, leider. Es gibt immer Menschen, die einem nicht wohlgesinnt sind. Ich halte mich an die, die es gut mit mir meinen.
Wie sieht Ihre Trainingsroutine aus?
Ich trainiere hauptsächlich in den Räumen des SC DHfK Leipzig. Außerdem noch im Landesstützpunkt in der Nordanlage und bei meinem Athletik-Coach Rafal Brenk im Peakformance. Jeden Tag zwei Einheiten, eine morgens und eine abends, an einigen Tagen in der Woche trainiere ich drei Mal.
Haben Sie überhaupt noch Muskelkater nach dem Training?
Ja! (lacht) Doch, klar. Mein Athletik-Coach hat alle sechs Wochen einen neuen Trainingsplan mit anderem Fokus für mich. Dann spürt man schon, dass man was gemacht hat und neue Muskelgruppen trainiert hat.
Sie kämpfen im Halbschwergewicht, also bis 78 Kilogramm. Müssen Sie vor Wettkämpfen viel Gewicht verlieren (sog. Gewichtmachen)?
Früher ja, heute habe ich ein gesundes Verhältnis zum Essen. (lacht) Das hat sich recht gut eingependelt, ich achte auf die Ernährung und komme eher mit ein, zwei Kilo zu wenig auf die Waage. Für mich ist das vollkommen in Ordnung, so bin ich explosiver und dynamischer im Wettkampf. Und: Ich muss vor dem Kampf nicht penibel aufs Abnehmen achten und fühle mich nicht müde und abgeschlagen.
Haben Sie eine Lieblingssparringspartnerin?
Mein Trainingsteam aus vier Judoka, drei Männern und einer Frau, unterstützt mich super. Durch verschiedene Gewichtsklassen und Stile habe ich perfekte Trainingsbedingungen, um den Wettkampf zu simulieren. Die vier wollen besser werden und mich unterstützen, wir profitieren alle davon. Also: Mein ganzes Team ist mein Lieblingspartner.
Arbeiten Sie neben dem Sport oder sind Sie Vollzeit-Judoka?
Am liebsten würde ich den Sport in Vollzeit betreiben. (lacht) Aber Judo als Randsportart ist leider chronisch unterfinanziert. Ich habe zwei Jobs. Einmal als Mitarbeiterin im Verein, wo ich neben verschiedenen Tätigkeiten die Kids trainiere. Zum anderen mache ich Athletenmanagement für die Sportstadt Leipzig GmbH.
Haben Sie einen Lieblingsort in Leipzig?
Einen einzelnen nicht, ich würde sagen: die Parks. Vor allem die Schönauer Lachen hinter dem Lindenauer Hafen. Meine Partnerin und ich haben einen eineinhalb Jahre jungen Golden Retriever, mit dem gehen wir da gerne spazieren. So kann man einfach super abschalten und hat seine Ruhe.
Sehen Sie sich in Zukunft in Leipzig oder woanders?
Ganz klar in Leipzig. Uns gefällt es hier einfach sehr gut. Ich habe da echt ein klassisches Familienbild, eben mit gleichgeschlechtlicher Beziehung: Haus, Hund, Garten.
Wenn nicht auf der Matte, dann …
… mit meiner kleinen Familie auf dem Sofa.
Titelfot: Marie Branser und ihr Team. Leon Joshua Dreischulte.