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Stadtleben

Innenstadt auf dem Prüfstand

Wie sieht es mit Gestaltungskonzepte und Aufenthaltsqualität in Leipzig aus?

  Innenstadt auf dem Prüfstand | Wie sieht es mit Gestaltungskonzepte und Aufenthaltsqualität in Leipzig aus?

»Unser Stadtkern ist Produkt jahrhundertelanger Kulturentwicklung, seine Geschichte ist in den Steinen der Häuser aufgehoben. Er hat sein Gesicht im Laufe der Zeit zwar ständig gewandelt, es aber trotz Kriegszerstörungen und Fehlentscheidungen der letzten 40 Jahre glücklicherweise niemals verloren. Darin liegt unsere Chance.«

– Präambel der Gestaltungssatzung für das Leipziger Stadtzentrum vom 18. Dezember 1991

Bereits in den Morgenstunden finden sich in der Leipziger Innenstadt Studierende, Geschäftsleute und Touristen ein. Auf engstem Raum werden verschiedenste Nutzungsmöglichkeiten – Handel, Gastronomie, Kultur, Arbeit und Wohnen – kombiniert. Doch es kommen Transformationsprozesse auf unsere (Innen-)Städte zu. Denn sie sind durch ihre dichte Bebauung, hohe Ressourcennutzung und Emissionserzeugung sowohl Treiber als auch Hauptbetroffene des Klimawandels. Damit stehen sie vor der großen Herausforderung, klimaneutral und resilient zu werden. Aber wie sieht es mit modernen Gestaltungskonzepten und der bisherigen Aufenthaltsqualität im Leipziger Zentrum überhaupt aus?

Als viertgrößte Stadt und eines der Rüstungszentren Deutschlands erlebte Leipzig im Dezember 1943 eines der schwersten Bombardements durch die britische Royal Air Force.

Mit der Gestaltungssatzung konnten in der Tat Sanierungen durchgeführt und Baulücken geschlossen werden, zum Beispiel die Hainspitze. »Die Aufenthaltsqualität ist auch gestiegen, nicht in allen Bereichen, da es ein historisches Stadtzentrum ist, aber mit Blick auf den Augustusplatz oder die Thomaswiese sind auch kleine Oasen in der Innenstadt entstanden«, sagt Dieter Rink.


Kritik an Gestaltungskonzepten und Transformationsbedarf

Diesem durch und durch positiven Urteil stimmt HTWK-Prof Scherzer-Heidenberger nicht zu: »Leipzig hat eine der ›steinernsten‹ Innenstädte Deutschlands. Außer der kleinen Platzfläche östlich der Thomaskirche gibt es keine grünen Orte, die zum Aufenthalt einladen. Gemildert wird diese Situation ein wenig durch die Kompaktheit der City: Vom Marktplatz aus ist man in fünf bis sieben Gehminuten am inneren Ring, der noch Fragmente der ehemaligen Lenné-Grünanlage zeigt.«

Tatsächlich fehlen in der Innenstadt Spielplätze, Sitzgelegenheiten, Elemente zur Erhöhung der Klimaresilienz wie Fassadenbegrünung und Sonnensegel oder einfache Grünflächen, die zum Verweilen einladen. Moderne Konzepte wie Spalier- und Fassadenbegrünung oder Nebelduschen, wie man sie aus anderen Großstädten wie Freiburg, Wien und Paris kennt, bleiben bislang unberücksichtigt. »In Leipzig ist diese ›grünräumliche Mangelsituation‹ nicht historisch bedingt, sondern hausgemacht. Ich möchte dies an der für mich folgenschwersten Fehlentscheidung der letzten 25 Jahre festmachen: der Bebauung des ehemaligen Sachsenplatzes aus Anlass des Neubaus des Museums der bildenden Künste.«, so Scherzer-Heidenberger. Der Sachsenplatz, der 1969 auf einer Brachfläche zwischen der Reichs- und Katharinenstraße entstand, besaß Springbrunnenanlagen samt Sitzmöglichkeiten und Grün und wurde ab 2000 neu bebaut. »Hier ging es sehr vordergründig um die maximale ›Verwertbarkeit‹ der Grundstücke und nicht um Aufenthaltsqualität. Als Vorwand dienten damals unter anderem Schlagworte aus dem Gestaltungskonzept wie ›den historischen Charakter bewahren‹ – für mich ein argumentativer Taschenspielertrick, um die ökonomischen Interessen zu kaschieren. Denn gerade am ehemaligen Sachsenplatz gab es keine Historie mehr zu bewahren, sondern ein neues Stück Leipzig zu gestalten«, kritisiert Scherzer-Heidenberger, der von 2005 bis 2019 Sachverständiger im Ausschuss für Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig war.

Anfang 2023 äußerten auch die Grünen Kritik am Gestaltungskonzept von 1997 und forderten Oberbürgermeister Burkhard Jung dazu auf, dieses neu zu fassen. »Trotz der bemerkenswerten Erfolge in der Sanierung der Innenstadt werden vielfach Defizite wie zu wenig Sitzgelegenheiten, Grün und Wasser festgestellt. Themen der Klimawandelanpassung und Schwammstadt, die relevant für Grünflächen und Regenwassermanagement sind, werden nicht betrachtet. Mit einer grundlegenden Neufassung können die Ziele einer besseren Klimawandelanpassung, einer höheren Aufenthaltsqualität und der Stärkung von Fuß- und Radmobilität in konkrete Gestaltungsgrundsätze für weitere Planungen übersetzt werden«, heißt es in der Begründung des Beschlussvorschlags der Grünen für den Stadtrat.


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