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Stadtleben

»Jedem Tierchen sein Pläsierchen«

Eine Runde Gassi zur internationalen Rassehundeausstellung auf der Agra am ersten September-Wochenende

  »Jedem Tierchen sein Pläsierchen« | Eine Runde Gassi zur internationalen Rassehundeausstellung auf der Agra am ersten September-Wochenende  Foto: Anna Mysiak

Am Samstag gegen 11 Uhr, eine Stunde nach dem Einlass, bildet sich eine kleine Menschentraube vor den Ticketkassen. Wer die Rassehundeausstellung betreten will, muss aber erst einmal am Tierschützer Justin Thorpe vorbei. Dieser steht vor dem Eingang des Agra-Geländes und ist heute der einzige Demonstrant gegen die Ausstellung. Thorpe erklärt, er wende sich gegen die Qualzucht bestimmter Hunderassen. Am Zaun hinter ihm ein selbstgeschriebenes Banner mit dem Schriftzug: »Was habt ihr aus dem Wolf gemacht?«. Thorpe fordert »gleiche Rechte für die gleichen Tiere«. Er verstehe nicht, warum die Politik Wölfe erschießen lassen will und andererseits Hunde in unserer Gesellschaft den Status eines Familienmitglieds haben – es handele sich schließlich um die gleiche Spezies. Seiner Meinung nach gehe es hier um Diskriminierung.

Die Ausstellung findet sowohl draußen als auch in einer Halle statt. Auf dem Außengelände herrscht Festivalstimmung. Ein Mann beseitigt die Ausscheidungen seines Windhundes mit einem weißen Kotbeutel, auf dem viele kleine Hundetatzen abgebildet sind.

Die Ausstellerinnen und Aussteller haben Zelte und Campingstühle für sich, sowie Miniaturzelte für ihre Vierbeiner mitgebracht. An ihrer Kleidung haben die Zweibeiner Zettel mit der Startnummer befestigt. Sie warten, bis ihr Hund an der Reihe ist, um am Wettbewerb teilzunehmen.

Auch die Ausstellerin Ricarda Lang aus dem nordhessischen Bad Sooden-Allendorf verweilt in einem Zelt und streichelt ihren Australian Shephard. Auf ihrer Visitenkarte bezeichnet Lang sich als »Aussie Mama«. An Ausstellungen nimmt sie seit einem Jahr teil. Ihrem Hund fehlen noch zwei Titel, um Jugendchampion zu werden. Die Auszeichnung an sich sei ihr dabei nicht so wichtig, es gehe ihr vielmehr um die Zuchtzulassung. Sie ziehe in Betracht, dass ihr Hund einmal Deckrüde werde. Dennoch spielt auch Ehrgeiz eine gewisse Rolle: »Es ist wie beim Leistungssport, man versucht dann immer noch einen draufzusetzen.«.

Im Vorbeigehen hört man viele unterschiedliche Sprachen. Laut Ausstellungsleiterin Heike Longino-Ziecke vom Verband für das Deutsche Hundewesen in Sachsen (VDH Sachsen) sind Ausstellerinnen und Aussteller aus 20 Ländern vor Ort. Hauptsächlich kämen diese aus Europa. Es gebe aber beispielsweise auch einen Aussteller aus Japan.

Die Beurteilung der Hunde erfolgt auf einer Wiese, wo für jede Rasse ein abgetrennter Bereich vorgesehen ist. Dort präsentieren die Besitzerinnen und Besitzer ihre Hunde, indem sie an der Leine mit ihnen im Kreis laufen. Anschließend werden die Hunde von den Richterinnen und Richtern gemustert. Diese bewerten, welcher Hund dem Rassestandard am nächsten kommt. Perfekt sei keiner, meint Longino-Ziecke, die selbst einen Pudel besitzt.

Christina Zamzow kommt aus Halle an der Saale und ist heute mit ihren beiden Bedlington-Terriern vertreten, die gerade in einem Käfig schlafen. Sie habe die Rasse bereits seit 1977. Das Züchten und Ausstellen sei seitdem ihre Leidenschaft, erzählt sie begeistert. Mittlerweile sei es allerdings ein teures Hobby: Die Meldegelder für die Teilnahme an den Ausstellungen steigen stetig. »Aber man gönnt sich ja sonst nichts«, sagt Zamzow. Ihre Terrier züchtet sie unter dem Zuchtnamen »Blue Hunter«. Alle Züchterinnen und Züchter müssen für ihre Aufzucht einen bestimmten Namen festlegen, der sozusagen den Familiennamen der Hunde darstellt.

Den protestierenden Tierschützer könne Zamzow nicht verstehen. Alle auf der Ausstellung vertretenen Hunde hätten ein Gesundheitsattest. Ihre Hunde seien für sie Familienmitglieder, die sie wie ihren Augapfel hüte. Zamzow erwarte nicht, dass jeder ihr Hobby verstehe. Für sie sei Toleranz das Zauberwort: »Dazu kann ich nur sagen: Jedem Tierchen sein Pläsierchen«.

Die Halle ist mittlerweile gut gefüllt. Die unterschiedlichsten Hunde tapsen angeleint kreuz und quer durch das Gebäude. Hier finden die Wettbewerbe für die Hunde mit besonders prächtigem Haar statt. Auf mitgebrachten Klapptischen sitzen Malteser, Havaneser und Hunde der Rasse Bichon Frisé. Es scheint, als würde neben ihnen der Bedarf eines gesamten Friseursalons liegen. Das Fell wird geschnitten, gekämmt, gestylt und schließlich auch mit Schleifchen bestückt. Auch die Ausstellerinnen sehen hier besonders edel aus. Viele von ihnen tragen glänzende Kostüme mit Blazern und Bleistiftröcken, die Haare zu einem strengen Zopf gebunden. Ein Pudel mit einem violetten kristallbesetzten Halsband pinkelt auf den Boden.

Auf der großen Bühne findet soeben die Rassevorstellung der Schnauzer statt. Die Moderatorin gibt Informationen über die Charaktereigenschaften der Rasse und erklärt, für welche Art von Mensch sich diese Art von Hund besonders gut eignet – und umgekehrt.

Laut Longino-Ziecke sind auf der Ausstellung 240 verschiedene Rassen vertreten. Einer Qualzucht wirke man ihrer Meinung nach mittlerweile hinreichend entgegen. Der VDH-Dachverband habe den Ausstellerinnen und Ausstellern Auflagen erteilt. Bestimmte Rassen, wie etwa Möpse, die häufig an Atembeschwerden leiden, benötigen für die Teilnahme eine Allgemeinuntersuchung. Zudem seien sie verpflichtet einen Belastungstest zu durchlaufen, bei dem der Mops einige Minuten aufs Laufband müsse. Dabei würden von einem Tierarzt Herzfrequenz und Atemgeräusche überprüft. Longino-Ziecke findet gut, dass solche Kontrollen inzwischen stattfinden.

Am Nachmittag leert sich die Veranstaltung. Vier Dackel warten ungeduldig darauf, von ihrem Frauchen ins Auto gehievt zu werden. Justin Thorpe ist immer noch da und hält stumm sein Banner. Um seinen Körper hängt ein Megafon. Dass er als einziger Antagonist der Ausstellung etwas verloren wirkt, scheint ihm nichts auszumachen: »Ich bin einfach Tierschützer«, sagt er. Seinen nächsten Protest hat er schon geplant: An den kommenden drei Wochenenden sind Hengstparaden auf dem Landgestüt Moritzburg bei Dresden.

Anna Mysiak


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1 Kommentar(e)

Justin thorpe 26.11.2023 | um 08:55 Uhr

Vielen Dank Anna Mysiak für den tollen Artikel über die Hundeausstellung in Leipzig. Justin Thorpe