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Kultur

Keine Angst vor der Angst

Die Leipziger Musikerin Blush Always trotzt mit ihrem Debüt »You Deserve Romance« allen Erzählungen vom Ende des Gitarrenrockzeitalters

  Keine Angst vor der Angst | Die Leipziger Musikerin Blush Always trotzt mit ihrem Debüt »You Deserve Romance« allen Erzählungen vom Ende des Gitarrenrockzeitalters  Foto: Hannes Meier

Aller Anfang ist bekanntlich schwer – mancher aber in besonderer Weise: So etwa im Falle der Leipziger Indie-Rock-Musikerin Katja Seiffert alias Blush Always. Zwar kam sie in ihrer Jugend schon früh in Kontakt mit Indie- und Grunge-Musik, deren Szenen jeweils stark vom DIY-Ethos der frühen Punk-Bewegung beeinflusst sind. Dennoch stand ihr lange ihr Perfektionismus im Weg.

»Ich war ein Musikschulkind und daher der festen Überzeugung, dass man sich nur auf die Bühne stellen kann, wenn man richtig gut ist an seinem Instrument«, erzählt Seiffert rückblickend. »Das Vorspielen auf offener Bühne war in meiner Kindheit und Jugend einfach nur Horror. Ich bin jedes Mal rot geworden.«

Doch ihre Leidenschaft für verzerrte Gitarren und insbesondere den Indie-Sound der neunziger Jahre mit Bands wie den Smashing Pumpkins oder Pavement wurde mit der Zeit immer stärker, bis sie sich schließlich entschloss, die Flucht nach vorne zu suchen. Sie schnappte sich die Gitarre ihres Vaters, übte die wichtigen Grundakkorde und fing nach zwei Monaten an, eigene Songs zu schreiben, mit denen sie kurz darauf bereits in ihrer damaligen Heimatstadt Kiel auf der Bühne stand.

Danach ging alles sehr schnell: Lennart Eicke von der Band Leoniden wurde auf ihre Musik aufmerksam. »Direkt nach dem Konzert kam er dann zu mir und meinte: Die Songs sind megastark, die musst du aufnehmen!« Gesagt, getan: Innerhalb kurzer Zeit formierte sie eine erste Bandbesetzung um sich, mit der sie nicht mal ein Jahr später die erste EP – »Postpone« – aufnahm, 2022 war das.

Der Name Blush Always – zu deutsch »Erröte immer« – zeugt dabei von ihrer Fähigkeit, die eigene Unsicherheit nicht in sich hineinzufressen, sondern selbstbewusst nach außen zu kehren. Geholfen hat ihr dabei auch ihr Psychologie-Studium, das sie vor ihrem kürzlichen Umzug nach Leipzig in Kiel abgeschlossen hat: »Dadurch weiß ich ja, wie das funktioniert mit der Angst: Man muss sich ihr stellen.«

Folgerechtig wird ihre Musik in der Albuminfo zum Debüt »You Deserve Romance« als »Self-Empowerment-Manifest« bezeichnet – nebenbei ein geschickter Marketingschachzug in Zeiten der gesellschaftlichen Virulenz von Selbstfürsorge. Aber kann Musik tatsächlich ermächtigen? »Auf jeden Fall!«, sagt Seiffert. »Songwriting ist für mich zu einem sehr wichtigen Tool geworden, um meinen chronischen Selbstzweifeln etwas entgegenzusetzen.« Zugleich habe sie außerdem die Erfahrung gemacht, dass Musik anderer Künstlerinnen sie pushen kann: »Ich erinnere mich zum Beispiel noch, als ich das erste Mal das Album ›Lush‹ der US-amerikanischen Indie-Musikerin Snail Mail gehört habe, das vor einigen Jahren in meinen Spotify-Algorithmus gerutscht ist. Das war eine krasse Erfahrung, und mir wurde schnell klar: So was will ich auch machen!«

Tatsächlich war Snail Mail mit ihrem 2018 veröffentlichten Debüt so etwas wie der Ausgangspunkt eines x-ten Indie-Revivals, das bis heute anhält. Vergleicht man es etwa mit dem Indie-Trend Anfang der 2000er Jahre und Bands wie The Strokes oder Arctic Monkeys, fällt jedoch ein wichtiger Unterschied auf: Während die kommerziell erfolgreichen Bands damals in aller Regel männlich waren, sind die heutigen Protagonistinnen – neben Snail Mail etwa Soccer Mommy, Courtney Barnett oder in Deutschland Ilgen-Nur – mittlerweile überwiegend weiblich. Auch ein Ausdruck von – in diesem Falle kollektiver – Selbstermächtigung.

In Deutschland ist das anfangs stark von Großbritannien und den USA ausgehende Indie-Comeback mittlerweile ebenfalls angekommen. Seiffert fallen da die beiden Künstlerinnen Brockhoff und Philine Sonny ein: »Wir sind auch miteinander vernetzt, was ich total schön finde.« Ein Ende des Gitarrenrockzeitalters, das seit den neunziger Jahren in den hiesigen Feuilletons wieder und wieder prognostiziert wurde, sieht sie auf absehbare Zeit jedenfalls nicht. Und warum, so könnte man fragend hinzufügen, sollte das auch einsetzen, wenn Künstlerinnen wie Blush Always weiterhin scheinbar leichtfüßig so starke Songs wie »Virtual For You« oder »Your Call« aus ihren Ärmeln schütteln?

Nach unserem Gespräch in der Redaktion kommen uns zwei kreuzer-Kolleginnen entgegen: »Wir sind große Fans von dir«, rufen sie Katja Seiffert zu. »Das war nicht abgesprochen«, beteuere ich, selbst etwas überrascht. Dass sie in der Öffentlichkeit erkannt wird, sei ihr noch nicht oft passiert, sagt sie leise, und wirkt dabei etwas peinlich berührt. »Kannst du dich ja schon mal dran gewöhnen«, entgegne ich. 

> Blush Always, 5.10., 21.30 Uhr, Ilses Erika


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