Afro-Psychedelic-Jazz und Anarcho-Punk-Noise. Vorschnell geurteilt, liegen die Ausgangspunkte der beiden Haupt-Acts, die sich hier zu einem potenziellen Konzert-Highlight des Jahres einfinden, extrem weit auseinander. Dass der Abend heutzutage konzeptionell schlüssig erscheint, beruht auf einer Annäherung, deren Wegstrecken sicher ungleich waren, die aber beiderseits erfolgte in steter Suche nach immer neuen Freiform-Spielweisen, die auch Jazz genannt werden können, aber keineswegs müssen. Wobei es auch noch andere grundsätzliche Gemeinsamkeiten gibt.
Der Saxofonist Idris Ackamoor jedenfalls formierte The Pyramids vor etwas mehr als fünfzig Jahren – auf der Suche nach Roots und Sounds in Afrika – gemeinsam mit Margaux Simmons und Kimathi Asante, zwei Studienkollegen am Antioch College in Yellow Springs, Ohio. Das College bot zum Beispiel den Pianisten Cecil Taylor als radikalen Jazz-Lehrer und ermöglichte die umfangreiche Klangexkursion durch Afrika mit eklektisch-spiritueller Klang-Inspiration zwischen islamisch geprägten Ritualen im Norden und der Fra-Fra-Zeremonie eines Juju-Heilers in Ghana. The Pyramids veröffentlichten von 1973 bis 1976 drei herausragende Alben mit experimentell groovendem Jazz, allesamt im Eigenverlag – und verschwanden 1977, auf der Höhe der Wahrnehmung, für ganze drei Dekaden. Um schließlich in den 2010er Jahren, personell aufgefrischt und vereindeutigt um Ackamoor versammelt, als verehrte und unter Sammlern hoch gehandelte Heroen wieder aufzuerstehen – zuerst beim Münchner Techno-Label Disko B, von dem sie sich dann zum renommierten britischen Label Strut bewegten. Dort erscheinen neben den alten regelmäßig auch neue Alben – zuletzt im Herbst 2023 »Afro Futuristic Dreams«, das als Hommage an den Afro-Futurismus einen schillernden Referenzbogen von Sun Ra und George Clinton bis zu Octavia Butler zieht, von funky-kosmischer Science-Fiction oder magischem Realismus bis zu aktuellem politischem Aktivismus. Arrangiert in einem orchestral unterstützten Strom der Vibes und Stile, der psychedelisch pulsierend frei mäandert und zugleich zwingend mitreißen kann.
The Ex aus Amsterdam wiederum tauchten auf, kurz nachdem The Pyramids vorerst abtraten: im explosiven (Post-)Punk-Jahr 1979. Rubriziert unter Anarcho-Punk, was bis heute nachhallt, aber ja von Anfang an weniger eine ästhetische Kategorie war, wie zuletzt auf der wirbelnde Vielfalt offenbarenden Kompilation »Cease & Resist« zu erfahren ist, die The Ex in eine Reihe weiterer wichtiger Acts wie Crass, Chumbawamba, Poison Girls oder Annie Anxiety setzte. Entsprechend in der Frühzeit eng verbunden mit der Hausbesetzer-Szene und internationalistischem Polit-Aktivismus, spielten sich The Ex in der fortschreitenden Entwicklung immer mehr frei, ohne je die Grundenergie zu verlieren oder Grundhaltungen aufzugeben. Die Einflüsse kamen dabei sowohl von Noise und Improvisation als auch von ost- und außereuropäischen Quellen, wobei jeweils intensive Kooperationen grandiose Tonträger-Meilensteine setzten. Von Jazzern wie Han Bennick, dem Avant-Cellisten Tom Cora, Tortoise, Shellac und Sonic Youth bis zum äthiopischen Saxofonisten Getachew Mekuria – die Liste ist beeindruckend und lang. Wie die frühen Pyramids agieren The Ex dabei seit 1987 im DIY-Modus, also mit eigenem Label, zu dem mittlerweile aber auch Labels der jeweiligen Musiker gekommen sind, die deren eigene Klangwege dokumentieren oder Einflüsse offenlegen. Gitarrist Terrie Hessels, das einzige verbliebene Ur-Mitglied, dessen Tochter Lena ein wohl eher Pop-orientiertes Vorprogramm liefern wird, widmet sich zum Beispiel mit Terp Records diversen Jazz-Konstellationen und äthiopischen Sounds. Gitarrist und Sänger Arnold de Boer hingegen veröffentlicht mit Makkum Records neben Solo-Ausflügen als Zea, die sich demnächst sogar »in dub« wiederfinden, nicht zuletzt aktuelle Fra-Fra-Produktionen – und zwar aus ebenjener Region in Nord-Ghana, die die Ur-Zelle von The Pyramids vor mehr als fünfzig Jahren auf der Suche nach Inspiration aufsuchte. Womit sich der Kreis (fast) geschlossen hätte. Bleibt nur noch als Zusatzköder-Information zu erwähnen, dass The Ex, die nach einer längeren Phase, in der die Solo-Projekte fokussiert wurden, mit einem komplett neuen Programm antreten. Und im UT Connewitz feiern sie gar noch eine Gipfel-Besteigung, nämlich das Konzert mit der Laufnummer 2.000!
> The Pyramids, The Ex und Lena Hessels: 20.3., 20 Uhr, UT Connewitz