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»Mein Vater schreit nach wie vor nicht Hurra«

Marco Rose über Fußball in Leipzig, seinen umstrittenen Arbeitgeber und seine Heimatstadt

  »Mein Vater schreit nach wie vor nicht Hurra« | Marco Rose über Fußball in Leipzig, seinen umstrittenen Arbeitgeber und seine Heimatstadt  Foto: Christiane Grundlach

Er ist in Leipzig geboren und selbst als Trainer der Borussias aus Gladbach und Dortmund hat er weiter hier gewohnt. Sein Großvater war Nationalspieler und bei Chemie, er selbst spielte bei Lok und dem VfB Leipzig. Seit knapp zwei Jahren ist er nun Trainer bei RB, diesmal in Leipzig, nachdem er schon die Salzburger Filiale betreute. In unserem Interview des Monats spricht Marco Rose über Fußball in Leipzig, erzählt, warum Nutella bei seinen Spielern tabu ist, und schwärmt über seine Heimatstadt. 


Ihr Opa – Walter Rose – war eine Vereinslegende von Chemie Leipzig. Sie hingegen sind mit 11 Jahren zu Chemies Erzrivalen Lok gekommen. Gab es da einen innerfamiliären Konflikt? 

Ich glaube, Opa war stolz auf seinen Enkel. Wir haben in Mockau im Nordosten Leipzigs gewohnt und ich habe bei Rotation 1950 gespielt. Also wurde ich zu Lok Leipzig delegiert und kam auf die Sportschule.  

Wie haben Sie zu Ihrer aktiven Zeit die Rivalität zwischen Lok und Chemie Leipzig wahrgenommen? 

Wir haben ein paar heiße Derbys gespielt. Zwei stolze Vereine aus einer Stadt mit ihrer eigenen Geschichte. Das schafft Rivalität.  

Chemie und Lok sind die Traditionsvereine in Leipzig und lehnen ganz offen die Gründung von RB Leipzig ab. Wie kam es, dass Sie, der durch diese beiden Traditionsvereine geprägt wurde, jetzt Trainer bei RB sind? 

Leipzig ist meine Heimat. Ich war Trainer von Lok, als RB in die Stadt kam, und habe daher auch nicht gleich gejubelt. Aber es war immer klar, dass wir als Sportstadt und als gesamte Region Bundesligafußball wollen und brauchen. Vielen Vereinen im Osten, auch Chemie und Lok, fehlten dafür die nötigen Voraussetzungen, Mittel und richtigen Entscheidungen. Auf Topniveau zu arbeiten und dazu noch in meiner Heimat, sehe ich mittlerweile als Privileg an. 

Was sagt Ihr privates oder früheres Umfeld dazu? 

Meine Familie und Freunde freuen sich, dass ich da bin. Einige sind Fans von RB geworden, andere kommen zwar nicht zu den Spielen, fiebern aber dennoch mit mir mit. Mein Vater schreit nach wie vor nicht Hurra, aber er freut sich mit uns und ihm gefällt, wie wir Fußball spielen. Ich kenne Chemie- und Lok-Fans, die mittlerweile auch zu RB halten.  

Gehen Sie manchmal noch zu Lok-Spielen? 

Ich war schon lange nicht mehr da, verfolge aber den Fußball in der Region und natürlich auch Lok Leipzig. 

Sie haben auch, als Sie in Salzburg, Dortmund und Mönchengladbach Trainer waren, in Leipzig gewohnt. Haben Sie die ganze Zeit nur darauf gewartet, dass das Angebot von RB kommt? 

Nein, im Profifußball langfristig zu planen, ist schwer. Ich möchte erfolgreich arbeiten und brauche ein gutes Gefühl dabei. Das hatte ich bei der Anfrage aus Leipzig.  

Ist es schwer – als Privatperson mit persönlichen Präferenzen und Sympathien –, gegen Ex-Vereine anzutreten? 

Wenn wir gegen Mainz spielen, ist es besonders für mich. Meine Tochter ist dort geboren. Ich habe zehn Jahre in Mainz gespielt, wir sind zwei Mal aufgestiegen und haben zusammen viel erlebt. Aber ich identifiziere mich immer mit meiner Aufgabe und die heißt RB Leipzig. 

Sie gelten in Deutschland als absoluter Top-Trainer. Was sind Ihrer Meinung nach Ihre Stärken in dieser Rolle? 

Ich rede ungern über meine Stärken. Auch nicht so gerne über meine Schwächen (lacht). Ich bin ein emotionaler Typ, habe aber über die Jahre, gerade in dem Geschäft, auch gelernt, mit Emotionen umzugehen. Manchmal sprudelt es noch aus mir heraus, oft kann ich mir aber auf die Zunge beißen. Wenn es mal etwas Wichtiges zu sagen gibt, dann tue ich das auch. Grundsätzlich finde ich: Egal was du machst, ob du im Fußball tätig bist oder für den kreuzer arbeitest, es ist immer wichtig, wie man mit Menschen zusammenarbeitet. Meine Spieler und die Staff-Mitarbeiter wissen, dass mein Büro immer offen steht. Wenn etwas mit ihren Familien ist, dann rückt der Fußball in den Hintergrund. Die Gemeinschaft und die Kabine stehen über allem. Und natürlich sollte man in meiner Funktion auch etwas von Fußball verstehen.  

Sie waren Gesprächspartner im »Rasenball«-Podcast von MDR und Undone. Haben Sie sich den ganzen Podcast angehört? 

(Rose überlegt, welcher Podcast gemeint ist. Dann fällt der Groschen:) Ah, das waren doch die Union-Berlin-Fans, die mich da interviewt hatten! (lacht) Das war nett und wir waren sehr offen. Ich habe mal hineingehört und unser Pressesprecher hat mir gesagt, dass es interessant war, aber auch kritisch. Wir können gut damit leben, dass uns nicht alle toll finden. Trotzdem sollte jeder, der ein bisschen über den Tellerrand hinausschauen kann, auch sehen, dass wir hier viele positive Emotionen schaffen, unseren Fans unheimlich wichtig sind – und sie uns. Als Club übernehmen wir auch eine gesellschaftliche Verantwortung in der Stadt. 

Sie waren in den 90er und 2000er Jahren selbst aktiver Profi. Wie haben sich die Anforderungen an Spieler seitdem verändert? 

Mehr Detailarbeit. Der Sport hat sich weiterentwickelt. Die Ernährung war früher drittrangig. Zunächst gab’s nie Frühstück, dann haben wir irgendwann gesagt: »Du holst die Semmeln. Du bringst das Nutella-Glas mit.« Und dann haben wir reingehauen. Wenn’s heute Nutella bei den Spielern gibt, dann gibt’s auf die Finger! (lacht) Wobei auch das hin und wieder mal erlaubt ist. Sportpsychologie ist wichtig geworden. Datenanalyse: Die Jungs sind viel gläserner, und sie sind viel besser ausgebildet. Du kannst ihnen wenig vormachen, du musst wissen, wovon du sprichst. Der Fußball ist schneller und körperlicher geworden. Das Rad wird immer weitergedreht und am Ende kann man gespannt darauf sein, wie weit es noch geht. 

In den vergangenen Jahren sind Diskussionen um Menschenrechte, Diskriminierung und moralische Standards im Allgemeinen zunehmend auch in den Fokus medialer Sportberichterstattung gerückt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung? 

Sport sollte in erster Linie Sport bleiben. Trotzdem hat er auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung, Strahlkraft und er verbindet Menschen. Ich finde, man sollte Idioten ignorieren können, auch das ist eine Form von Protest. Und trotzdem gibt es Momente, um klare Kante zu zeigen, dagegen aufzustehen und sich zu wehren, am besten mit ganz vielen Menschen. 

Ralf Rangnick – lange prägend bei RB – hat jüngst drei Spieler wegen homophober Beleidigungen aus dem österreichischen Nationalkader gestrichen. Hätten Sie das auch gemacht? 

Ich kenne die Zusammenhänge nicht bis ins letzte Detail. Ralf hat die Vorkommnisse eingeordnet, für sich eine Entscheidung getroffen und diese konsequent durchgesetzt. Ich glaube, dass es richtig ist, Zeichen zu setzen.  

Sind Sie angesichts der strengen Disziplin in Sachen Lebensführung manchmal auch froh, heute nicht mehr Spieler zu sein? 

Wir sind überhaupt nicht streng mit den Jungs. Zum Spaß an der Arbeit gehört auch Spaß am Leben. Social Media zwingt allerdings zur Contenance und schränkt die Jungs mehr ein, als das zu meiner Zeit als Spieler der Fall gewesen ist.  

In der medialen Rezeption des Profifußballs gibt es die Vorstellung, dass ein Trainer »die Kabine verlieren kann«, womit gemeint ist, dass er das Vertrauen der Spieler verliert und sie somit nicht mehr erreicht. Glauben Sie, dass es das in der Form gibt? 

Ich glaube, dass die Kabine die Basis des Erfolgs ist. Dabei geht es nicht nur darum, dass nur wir als Trainer die Kabine im Griff haben. Sie muss auch intern funktionieren, sich selbst gewissermaßen regulieren, ohne dass wir ständig eingreifen. Nicht jede Trainerentscheidung ist für Spieler nachvollziehbar. Wichtig ist, dass du authentisch bist und eine gewisse Verlässlichkeit hast. Du musst einerseits versuchen, zu verstehen, was gerade in der Kabine passiert, aber ohne dass das in einen Kontrollwahn ausartet. Ich versuche, als Trainer konsequent zu sein und dennoch auf Augenhöhe zu kommunizieren. Auch als Trainer liegst du nicht immer richtig und dann musst du auch mal »Sorry« sagen können. Sich nicht zu wichtig zu nehmen und auch mal über sich selbst lachen zu können, hilft.  

Gab es in Ihrer aktiven Spielerzeit Trainer, von denen Sie sich Methoden und Skills abgeschaut haben? 

Klar, ich hatte viele gute Trainer, zum Glück. Jürgen Klopp oder auch Ralf Rangnick. Hier in Leipzig habe ich unter Achim Steffens trainiert, von dem ich viel gelernt habe, zum Beispiel in Sachen Teamfähigkeit. Er hat mich damals gewissermaßen erzogen.  

Apropos. Kommen wir doch mal auf Leipzig zu sprechen. 

Unbedingt! Sie sind ja das Leipziger Stadtmagazin. 

Wie haben Sie als gebürtiger Leipziger den Transformationsprozess der Stadt seit der Wiedervereinigung erlebt? 

Ich hatte eine schöne Kindheit, mit dem Wissen, dass es für unsere Eltern und Großeltern damals nicht immer einfach war. Als die Wende kam, war ich 13 Jahre alt. Die Infrastruktur der Stadt, wie in der gesamten DDR, war damals sehr marode. Dabei ist die Architektur in Leipzig ja wirklich toll! Seitdem ist viel passiert, die Stadt hat sich gut entwickelt. Es kommen immer mehr hippe Viertel dazu. Zu DDR-Zeiten konnte sich wahrscheinlich kaum jemand vorstellen, gern in Plagwitz zu wohnen, mittlerweile ist dort ein cooler Kiez entstanden. Genauso wie im Graphischen Viertel, oder auf der Karli im Süden. In Grünau, wo ich auch aufgewachsen bin, war ich hingegen schon lange nicht mehr, aber ich habe zuletzt immer wieder gehört, dass sich gerade auch dort einiges tut. Leipzig ist lebenswert, eine Studentenstadt mit wichtigen Industriezweigen. Die Innenstadt ist klein, aber fein, dazu kommt unsere Seenlandschaft und die Kultur wie Oper, Gewandhaus oder Kabaretts. Wenn man möchte, kann man hier einiges erleben. Kulinarisch haben wir aber noch ein bisschen Luft nach oben, finde ich. 

Da Sie gerade von den verschiedenen Kiezen sprechen: Gehen Sie auch mal alleine oder mit der Familie aus oder ist das unmöglich, weil Sie ständig erkannt werden? 

Ich bin gerne in Leipzig unterwegs, wenn es die Zeit zulässt. Ich mag Leipzig und die Menschen und wenn ich mal angesprochen werde, ist das auch okay für mich. Meistens bin ich am Trainingszentrum am Cottaweg. Wenn ich von dort nach Hause zu meiner Familie fahre – wir wohnen mittlerweile ein bisschen außerhalb –, nehme ich gerne die Route durch Leipzig, um noch ein bisschen vom Stadtflair mitzunehmen. 

Wie haben Sie in den neunziger Jahren den Niedergang der ostdeutschen Fußballlandschaft erlebt? 

Erst mal ging es ja bergauf. 1993 ist der VfB Leipzig in die Bundesliga aufgestiegen. Dynamo Dresden war damals noch erstklassig, später sind Hansa Rostock sowie Energie Cottbus aufgestiegen, konnten sich über einige Jahre auch halten. Der Fußball in der früheren DDR war auf hohem Niveau, wir hatten viele gute Spieler. Viele davon sind nach der Wende in den Westen gewechselt. Der Osten hatte durch eine viel geringere Kaufkraft und fehlende Sponsoren einen klaren Wettbewerbsnachteil. Auch wurden dadurch Goldgräber angelockt, die dann teils sogar zu Vereinspräsidenten aufgestiegen sind. Auch heute gibt es noch zu große Unterschiede, übrigens nicht nur im Fußball, sondern auch gesamtgesellschaftlich.  

War es also letztlich die logische oder gar nötige Konsequenz, dass ein Investor nach Leipzig gekommen ist, um hier einen neuen Club aufzubauen? 

Ich würde mir natürlich noch mehr ostdeutsche Vereine in den ersten beiden Ligen wünschen. Mit funktionierendem Präsidium und Aufsichtsrat, die sukzessive neue Sponsoren heranziehen, mit deren Geld gute Entscheidungen getroffen werden. Man stabilisiert sich, man steigt auf. Man hält Spieler, die sich gut entwickeln. Aber da sind so viele Schritte, in denen Fehler gemacht werden können, dass das am Ende mit den Grundvoraussetzungen, die man hat, eine fast unlösbare Aufgabe ist. Dennoch gibt es Klubs, die es gut machen: Zum Beispiel Magdeburg, Rostock und vor allen Dingen Union Berlin. Geld in die Hand zu nehmen, bedeutet ja auch nicht zwangsläufig, dass man damit erfolgreich ist – denn man kann Geld auch verbrennen. Aber der Verein und Red Bull haben das über die Jahre sehr gut gemacht, viele Leute auf dem Weg mitgenommen und Arbeitsplätze geschaffen. Heute spielen wir Bundesliga und Champions League, sind ein Wirtschaftsfaktor und internationales Aushängeschild für die Stadt.  

Mit zunehmendem Erfolg geht bekanntermaßen auch zunehmender öffentlicher Druck einher. Im Januar wurde nach drei Niederlagen in Folge medial bereits über Ihre Absetzung spekuliert. Wie gehen Sie mit diesem massiven Druck von außen um? 

Eben habt ihr mir noch die Frage nach meinen Stärken als Top-Trainer in Deutschland gestellt. Im Fußball geht es sehr schnell, die Ausschläge sind groß. Oft gibt es nur schwarz oder weiß. Ich versuche, es mit möglichst viel Gelassenheit zu nehmen. Manchmal kommen Leute aus meinem Umfeld und fragen mich: »Hast du gelesen, was heute in der Zeitung steht?« Denen antworte ich dann: Nein, und wenn du mir das jetzt nicht gesagt hättest, hätte ich einen schönen Tag gehabt. (lacht)  

Falls es doch irgendwann mal vorbei sein sollte mit ihrem Engagement hier: Können Sie sich vorstellen, nach ihren Stationen bei RB und Lok als krönenden Karriereabschluss in zehn oder zwanzig Jahren das Traineramt von Chemie Leipzig zu übernehmen? Aller guten Dinge sind ja drei ... 

Ich glaube, in Leutzsch wartet man jetzt nicht zwingend auf mich. (lacht) Ich kenne viele Alteingesessene im Leipziger Fußball. Es gab viele tolle Fußballer bei Lok und Chemie. Ich habe das Gefühl, dass die meisten sich eigentlich ganz gut verstehen und sich insgesamt das Verhältnis auf dieser Ebene hinter den Kulissen schon sehr normalisiert hat. Und trotzdem bleibt die Rivalität natürlich bestehen.  


Biografie 

Marco Rose, am 11. September 1976 in Leipzig geboren, spielte von 1984 bis 2010 selbst aktiv Fußball, als Profi für den VfB Leipzig, Hannover 96 und Mainz 05. In Mainz trat er im Jahr 2010 seine erste Stelle als (Co-)Trainer an, wurde später Cheftrainer beim 1. FC Lokomotive Leipzig und bei RB Salzburg. Nach Stationen bei Borussia Mönchengladbach und Borussia Dortmund kam er 2022 auch beruflich zurück in seine Heimatstadt, in der er mit seiner Familie lebt. 


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