anzeige
anzeige
kreuzer plus

»Wenn die Rechnung beim Bäcker nicht stimmt, zahle ich auch nicht«

Mieterinnen und Mieter der Schönefelder Höfe wehren sich gegen Betriebskosten-Abrechnungen der Vonovia

  »Wenn die Rechnung beim Bäcker nicht stimmt, zahle ich auch nicht« | Mieterinnen und Mieter der Schönefelder Höfe wehren sich gegen Betriebskosten-Abrechnungen der Vonovia  Foto: Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe

Es ist ein regnerischer Nachmittag Mitte Oktober, auf dem Stannebeinplatz, in der Nähe des Gründer­zeitquartiers Schönefelder Höfe im Leipziger Nord-­Osten, treffen immer mehr Menschen vor dem großen Banner der Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe ein. Rentnerinnen und Rentner sind gekommen, auch junge Studierende. Warmer Tee und Sitzhocker stehen bereit.

Die Mietergemeinschaft hat zur Petitionsübergabe an Vonovia eingeladen. In der Petition fordern 350 Mieterinnen und Mieter eine transparente und fehlerfreie Abrechnung der Betriebskosten von dem Immobilienunternehmen. Solange diese nicht vorlägen wollen die Unterschreibenden ihre Betriebskosten einbehalten. Es sind auch andere Unterstützerinnen und Unterstützer der Kampagne »Ich zahle nicht« gekommen. Die Mietergemeinschaft hat diese im Sommer 2024 initiiert.

Die Mietergemeinschaft behauptet, die geforderten Nachzahlungen für Betriebs- und Nebenkosten seien zu hoch – es seien Nachforderungen in Höhe von 100 bis 4.000 Euro bekannt. Bei genauer Überprüfung der Abrechnungen würden Widersprüche auffallen: Da tauche zum Beispiel der Posten Gartenpflege in einem Haus auf, das nur einen gepflasterten Innenhof habe. Der Lohn eines Hausmeisters wäre so hoch wie der einer Pilotin, stimmte er wirklich mit der Abrechnung überein.

Anfang 2018 hat der Wohnungskonzern Vonovia die Blöcke der Schönefelder Höfe von Conwert übernommen, einer österreichischen Immobiliengesellschaft. Allein in Leipzig besitzt Vonovia über 14.200 Wohneinheiten und ist damit zweitgrößter Vermieter – in Deutschland und Europa steht das Wohnungsunternehmen sogar auf Platz eins. Im Jahr 2019 gründete sich die Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe, denn Vonovia war auch schon damals bundesweit umstritten. »Das Geschäftsmodell dieser Firmen ist das Erzielen von (Maximal-)Profit«, dem wolle die Mietergemeinschaft »etwas entgegensetzen«, schreibt die Initiative auf ihrer Website. Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Mietergemeinschaft das »Schwarzbuch – Wohnen bei Vonovia« (s. kreuzer 09/23), das zahlreiche Erfahrungsberichte mit dem Wohnungskonzern versammelt.

Auf der Kundgebung Mitte Oktober werden die Probleme der Mieterinnen und Mieter mit Vonovia abermals ersichtlich: Bei genauerer Überprüfung der Abrechnungen zeige sich, dass fast jede fehlerhaft sei, heißt es dort. Die Mietergemeinschaft betont, es handle sich um ein strukturelles Problem, kein individuelles. Aus diesem Grund würden sich die Betroffenen in der Initiative organisieren: um nicht nur auf dem recht­lichen individualisierten Weg, sondern auch der politischen Ebene gegen die Probleme mit Vonovia vorgehen zu können. Die Betriebskostenabrechnungen seien da nur ein Beispiel. Mieterinnen und Mieter berichten im Schwarzbuch etwa von Schimmelbefall, Legionellenbelastung im Dusch- und Trinkwasser, überzogenen Heizkosten und Fehlern in der Modernisierungsumlage.

Um gegen die Betriebskostenabrechnung vorzugehen, sind Mitglieder der Mietergemeinschaft in den vergangenen Wochen in Zweierteams von Haustür zu Haustür gezogen, haben Unterschriften für die Petition gesammelt. Die Menschen seien sehr aufgeschlossen gewesen, berichtet Christian Patzer. Hinter jeder der 350 Unterschriften unter der Petition steht nun eine Person, die die Betriebskostennachzahlung verweigern wird. Auf einem Banner bei der Kundgebung stehen alle 350 Unterschriften. Eigentlich sollte es Vonovia direkt übergeben werden, doch das Wohnungsunternehmen schickte trotz Einladung keine Vertreterinnen oder Vertreter.

Aus dem Antwortbrief der Vonovia auf die Einladung liest die Mietergemeinschaft auf der Kundgebung vor: Das Unternehmen sehe keinen Grund, zu einer »Konfrontation auf einer als angebliche Mieterkämpfe ausgerichteten Inszenierung« zu kommen. Vonovia verweist auf die erfolgreiche alltägliche Kommunikation mit den Mieterinnen und Mietern sowie die Sprechstunde in den »eigens eingerichteten Servicebüros«. Dort würden mit den Mieterinnen und Mietern »laufend gemeinsame Lösungen« gefunden werden.

Auch auf den Vorwurf der intransparenten Betriebskostenabrechnung reagiert der Wohnungskonzern im Brief: »Wenn Sie sich nicht mit den zugegeben mühsamen Details der Betriebskostenabrechnung befassen möchten, dann können wir mögliche Fehler, die Sie uns vorwerfen, auch nicht korrigieren.« Gelächter und Zwischenrufe aus dem Publikum, es sei ja wohl Pflicht der Vonovia, für korrekte Abrechnungen zu sorgen. Die Kommunikation mit dem Unternehmen gestalte sich entgegen der Konzerndarstellung als schwierig, berichten Mieterinnen und Mieter im Gespräch mit dem kreuzer. Zu erreichen sei Vonovia meist nicht, man erhalte lediglich eine Kenntnismeldung, erzählt Thomas Schmid aus Anger-Crottendorf.

Vonovia-Pressesprecher Christoph Metzner schreibt auf kreuzer-Anfrage, dass der Konzern bereits im letzten Jahr im Austausch mit der Mietergemeinschaft gestanden habe: »Wir hatten eigens einen Termin mit dieser und unseren Kolleg:innen aus der Nebenkosten-Abteilung eingerichtet, die aus Dresden für Fragen persönlich vor Ort waren.« Alle Belege hätten zu ­diesem Zeitpunkt bereits vorgelegen und seien von der Mieter­gemeinschaft eingesehen worden: »Da die Vertreter sich nicht mehr gemeldet haben, waren wir ­davon ausgegangen, dass alle Fragen geklärt sind.« Vonovia sei dennoch daran gelegen, offene Fragen zu klären, ­sollten noch welche bestehen, schreibt uns Metzner.

Die Mietergemeinschaft erklärt gegenüber dem kreuzer, dass sie bei diesem Treffen lediglich Einblick in interne Belege habe nehmen können, nicht aber in die tatsächlichen Rechnungen, etwa von Gebäudeservice-Unternehmen. Zu den Forderungen der Mietergemeinschaft nach transparenteren Abrechnungen und besserer Ansprechbarkeit sei nicht gesprochen worden.

Die Mietergemeinschaft hatte »alle demokratischen Parteien« zur Kundgebung eingeladen. Der Einladung gefolgt sind Anja Feichtinger (SPD) und Tobias Peter (Grüne) aus dem Leipziger Stadtrat sowie der jüngst in den Sächsischen Landtag gewählte Nam Duy Nguyen (Linke). Unterstützenswert finden Feichtinger, Peter und Nguyen Initiativen wie die Mietergemeinschaft zwar, ihre Wortbeiträge haben aber natürlich keine konkreten Vorschläge zur Verbesserung der Lage der Anwesenden parat. Grünen-Stadtrat Peter appelliert an Gemeinwohlorientierung beim Neubau, seine SPD-Kollegin Feichtinger verteidigt die Zusammenarbeit mit Vonovia beim »Leipziger Bündnis für bezahlbares Wohnen« – ein Gesprächsformat von Vertreterinnen und Vertretern von Miet- und Vermietinteressen, aus der privaten Immobilienwirtschaft, Wohnungsgenossenschaften sowie der kommunalen Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB). Man müsse im Gespräch bleiben für freiwillige Vereinbarungen. Dass Vonovia freiwillige Vereinbarungen zuweilen ignoriert, zeigt sich in Berlin: Dort hatte das Wohnungsunternehmen im »Bündnis für bezahlbare Mieten und Wohnungsneubau« zugesagt, die Miete um höchstens 11 Prozent anzuheben. Dennoch erhielten 40.000 Vonovia-Haushalte im vergangenen Juli eine Mieterhöhung von bis zu 15 Prozent.

Der Linken-Landtagsabgeordnete Nguyen möchte Initiativen wie die der Schönefelder Höfe mit Ressourcen – wie zum Beispiel Räumen – unterstützen, aber von hier auch die Brücke zur Kampagne »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« in Berlin schlagen: Die Initiative leitete den erfolgreichen Volksentscheid für die Vergesellschaftung privater Wohnungsunternehmen in Berlin in die Wege – wurde bisher aber nicht umgesetzt, weswegen nun ein zweiter, bindender Volksentscheid über ein Vergesellschaftungsgesetz in Planung ist. Wohnraumversorgung dürfe nicht profitorientiert sein, sagt Nguyen. Vonovia als börsennotierter Konzern schüttete im letzten Jahr 23 Prozent seiner Mieteinnahmen – 733,18 Millionen Euro – an Aktionärinnen und Aktionäre aus, wie dem Vonovia-Geschäftsbericht für 2023 zu entnehmen ist. Feichtinger (SPD) hofft auf Mehrheiten für soziale Wohnungs- und Mietenpolitik auf Bundesebene – Zwischenruf aus dem Publikum: »Welche Partei stellt eigentlich den Bundeskanzler?«

Tatsächlich wird Wohnungspolitik hauptsächlich auf Bundesebene entschieden. Die Mieterinnen und Mieter erwarten dennoch mehr von der Landes- und Lokalpolitik: »Die Politik sagt, sie könne nicht viel machen. Doch sie kann viel mehr tun«, sagt Mieterin Petra in einem Redebeitrag. Christian Pracht, Vonovia-Mieter aus Gohlis, hat einige konkrete Vorschläge für die Landes- und Kommunalpolitik: die Umsetzung eines Wohnungsaufsichtsgesetzes, das es bereits in anderen Bundesländern gibt und das Mindeststandards von Wohnungen gewährleistet, wie etwa funktionierende Heizungen. Bei Verstößen gegen das Gesetz können Bußgelder gegen Vermieterinnen und Vermieter verhängt werden. Auch die lokalen Sozialbehörden, die für Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger Mietkosten übernehmen, sollten nicht einfach so die Nebenkostenforderung bezahlen, sondern diese überprüfen und bei Zweifel Widerspruch einlegen. »Ich bin eigentlich ein unpolitischer Mensch«, sagt Pracht zu Beginn seines Beitrags. Aber die »Geschäftspraktiken von Vonovia« brächten ihn dazu, zum ersten Mal auf einer Kundgebung zu sprechen.

Die Probleme mit Vonovia in den Schönefelder Höfen sind kein Ausnahmefall, das zeigt die Anwesenheit von Vonovia-Mieterinnen und Mietern aus Anger-Crottendorf und Gohlis. Auch aus anderen Vonovia-Quartieren in Berlin und Frankfurt am Main werden Grußworte verlesen, ähnliche Initiativen in Stuttgart und Witten genannt.

Doch wie können die Mieterinnen und Mieter mit undurchsichtigen oder fehlerhaften Betriebskostenabrechnungen umgehen? Petra, die in den Schönefelder Höfen wohnt, zahlt seit zwei Jahren keine Betriebskosten mehr, da die entsprechenden Belege fehlen. Einmal sei sie von Vonovia verklagt worden, kurz vor Gerichtsbeginn sei die Klage fallen gelassen worden. Im nächsten Jahr habe sich das Spiel wiederholt, bis Vonovia Petra einen Kompromiss angeboten habe: 50 Prozent der Nachzahlungen könnten fallen gelassen werden, dafür müsse sie die Betriebskostenabrechnung auch ohne Belege akzeptieren. Die Mieterin habe jedoch auf ihr Recht bestanden: »Ich will keine Brosamen, ich will mein Recht. Wenn die Rechnung beim Bäcker nicht stimmt, zahle ich auch nicht.«

Bisher wurden alle ihr bekannten Klagen gegen Mieterinnen und Mieter aufgrund von zurückbehaltenen Nachzahlungen kurz vor Gerichtsprozess zurückgezogen, berichtet Petra. Dennoch erfordere der Widerspruch Mut. Die Mietergemeinschaft bietet in den nächsten Monaten Schulungen für den gemeinsamen Widerspruch und die darauffolgende Belegüberprüfung an.


Kommentieren


0 Kommentar(e)