Es ist ein regnerischer Nachmittag Mitte Oktober, auf dem Stannebeinplatz, in der Nähe des Gründerzeitquartiers Schönefelder Höfe im Leipziger Nord-Osten, treffen immer mehr Menschen vor dem großen Banner der Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe ein. Rentnerinnen und Rentner sind gekommen, auch junge Studierende. Warmer Tee und Sitzhocker stehen bereit.
Die Mietergemeinschaft hat zur Petitionsübergabe an Vonovia eingeladen. In der Petition fordern 350 Mieterinnen und Mieter eine transparente und fehlerfreie Abrechnung der Betriebskosten von dem Immobilienunternehmen. Solange diese nicht vorlägen wollen die Unterschreibenden ihre Betriebskosten einbehalten. Es sind auch andere Unterstützerinnen und Unterstützer der Kampagne »Ich zahle nicht« gekommen. Die Mietergemeinschaft hat diese im Sommer 2024 initiiert.
Die Mietergemeinschaft hatte »alle demokratischen Parteien« zur Kundgebung eingeladen. Der Einladung gefolgt sind Anja Feichtinger (SPD) und Tobias Peter (Grüne) aus dem Leipziger Stadtrat sowie der jüngst in den Sächsischen Landtag gewählte Nam Duy Nguyen (Linke). Unterstützenswert finden Feichtinger, Peter und Nguyen Initiativen wie die Mietergemeinschaft zwar, ihre Wortbeiträge haben aber natürlich keine konkreten Vorschläge zur Verbesserung der Lage der Anwesenden parat. Grünen-Stadtrat Peter appelliert an Gemeinwohlorientierung beim Neubau, seine SPD-Kollegin Feichtinger verteidigt die Zusammenarbeit mit Vonovia beim »Leipziger Bündnis für bezahlbares Wohnen« – ein Gesprächsformat von Vertreterinnen und Vertretern von Miet- und Vermietinteressen, aus der privaten Immobilienwirtschaft, Wohnungsgenossenschaften sowie der kommunalen Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB). Man müsse im Gespräch bleiben für freiwillige Vereinbarungen. Dass Vonovia freiwillige Vereinbarungen zuweilen ignoriert, zeigt sich in Berlin: Dort hatte das Wohnungsunternehmen im »Bündnis für bezahlbare Mieten und Wohnungsneubau« zugesagt, die Miete um höchstens 11 Prozent anzuheben. Dennoch erhielten 40.000 Vonovia-Haushalte im vergangenen Juli eine Mieterhöhung von bis zu 15 Prozent.
Der Linken-Landtagsabgeordnete Nguyen möchte Initiativen wie die der Schönefelder Höfe mit Ressourcen – wie zum Beispiel Räumen – unterstützen, aber von hier auch die Brücke zur Kampagne »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« in Berlin schlagen: Die Initiative leitete den erfolgreichen Volksentscheid für die Vergesellschaftung privater Wohnungsunternehmen in Berlin in die Wege – wurde bisher aber nicht umgesetzt, weswegen nun ein zweiter, bindender Volksentscheid über ein Vergesellschaftungsgesetz in Planung ist. Wohnraumversorgung dürfe nicht profitorientiert sein, sagt Nguyen. Vonovia als börsennotierter Konzern schüttete im letzten Jahr 23 Prozent seiner Mieteinnahmen – 733,18 Millionen Euro – an Aktionärinnen und Aktionäre aus, wie dem Vonovia-Geschäftsbericht für 2023 zu entnehmen ist. Feichtinger (SPD) hofft auf Mehrheiten für soziale Wohnungs- und Mietenpolitik auf Bundesebene – Zwischenruf aus dem Publikum: »Welche Partei stellt eigentlich den Bundeskanzler?«
Tatsächlich wird Wohnungspolitik hauptsächlich auf Bundesebene entschieden. Die Mieterinnen und Mieter erwarten dennoch mehr von der Landes- und Lokalpolitik: »Die Politik sagt, sie könne nicht viel machen. Doch sie kann viel mehr tun«, sagt Mieterin Petra in einem Redebeitrag. Christian Pracht, Vonovia-Mieter aus Gohlis, hat einige konkrete Vorschläge für die Landes- und Kommunalpolitik: die Umsetzung eines Wohnungsaufsichtsgesetzes, das es bereits in anderen Bundesländern gibt und das Mindeststandards von Wohnungen gewährleistet, wie etwa funktionierende Heizungen. Bei Verstößen gegen das Gesetz können Bußgelder gegen Vermieterinnen und Vermieter verhängt werden. Auch die lokalen Sozialbehörden, die für Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger Mietkosten übernehmen, sollten nicht einfach so die Nebenkostenforderung bezahlen, sondern diese überprüfen und bei Zweifel Widerspruch einlegen. »Ich bin eigentlich ein unpolitischer Mensch«, sagt Pracht zu Beginn seines Beitrags. Aber die »Geschäftspraktiken von Vonovia« brächten ihn dazu, zum ersten Mal auf einer Kundgebung zu sprechen.
Die Probleme mit Vonovia in den Schönefelder Höfen sind kein Ausnahmefall, das zeigt die Anwesenheit von Vonovia-Mieterinnen und Mietern aus Anger-Crottendorf und Gohlis. Auch aus anderen Vonovia-Quartieren in Berlin und Frankfurt am Main werden Grußworte verlesen, ähnliche Initiativen in Stuttgart und Witten genannt.
Doch wie können die Mieterinnen und Mieter mit undurchsichtigen oder fehlerhaften Betriebskostenabrechnungen umgehen? Petra, die in den Schönefelder Höfen wohnt, zahlt seit zwei Jahren keine Betriebskosten mehr, da die entsprechenden Belege fehlen. Einmal sei sie von Vonovia verklagt worden, kurz vor Gerichtsbeginn sei die Klage fallen gelassen worden. Im nächsten Jahr habe sich das Spiel wiederholt, bis Vonovia Petra einen Kompromiss angeboten habe: 50 Prozent der Nachzahlungen könnten fallen gelassen werden, dafür müsse sie die Betriebskostenabrechnung auch ohne Belege akzeptieren. Die Mieterin habe jedoch auf ihr Recht bestanden: »Ich will keine Brosamen, ich will mein Recht. Wenn die Rechnung beim Bäcker nicht stimmt, zahle ich auch nicht.«
Bisher wurden alle ihr bekannten Klagen gegen Mieterinnen und Mieter aufgrund von zurückbehaltenen Nachzahlungen kurz vor Gerichtsprozess zurückgezogen, berichtet Petra. Dennoch erfordere der Widerspruch Mut. Die Mietergemeinschaft bietet in den nächsten Monaten Schulungen für den gemeinsamen Widerspruch und die darauffolgende Belegüberprüfung an.
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