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Stadtleben

Schulen im Fokus

Eine Podiumsdiskussion zu den Wochen gegen Rassismus offenbart die Realität an sächsischen Schulen

  Schulen im Fokus | Eine Podiumsdiskussion zu den Wochen gegen Rassismus offenbart die Realität an sächsischen Schulen  Foto: Symbolbild/Pixabay

»Die steigende Zahl an rechtsextremen und antisemitischen Vorfällen ist uns allen sehr präsent. Die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt bereitet uns große Sorgen und die macht natürlich auch an Schulen nicht Halt.« Christin Melcher, Bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, eröffnet mit diesen Worten die Podiumsdiskussion mit dem Titel »Schule im Fokus: Gemeinsam gegen Rassismus und Antisemitismus«. Mit 154 registrierten Fällen lag die Zahl rechtsmotivierter Straftaten an sächsischen Schulen im vergangenen Jahr auf einem neuen Höchststand. Das geht aus der Antwort des Sächsischen Kultusministeriums auf eine Anfrage der Linken-Landtagsabgeordneten Juliane Nagel hervor. 2023 waren es noch 122 Fälle, was bereits ein Anstieg um 67 Prozent zum Vorjahr war. Im Rahmen der Leipziger Internationalen Wochen gegen Rassismus lud Melcher am 24. März Expertinnen und Experten in ihr Büro, das Grüne Quartier, die sich im Kontext Schule bewegen und sich mit dem Thema beschäftigen.

Auch dieses Jahr nimmt die Stadt Leipzig an dem bundesweiten Programm Internationale Wochen gegen Rassismus teil, diesmal steht es unter dem Motto »Menschenwürde schützen«. Koordiniert durch das Antidiskriminierungsbüro Sachsen und unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Burkhard Jung gibt es vom 17. bis 30. März ein breites Angebot an Veranstaltungen wie Diskussionen, Filmvorführungen, Ausstellungen, Führungen und auch ein Programm für Kinder. Europaweit werden die Internationalen Wochen gegen Rassismus um den 21. März – dem internationalen Tag gegen Rassismus – ausgetragen. 1960 demonstrierten an diesem Tag tausende Menschen friedlich gegen das rassistische Apartheidsystem im südafrikanischen Township Sharpeville. Der Protest wurde gewaltsam zerschlagen –69 Menschen wurden von der Polizei erschossen, hunderte weitere verletzt.

Warum zu den Wochen gegen Rassismus auch eine Veranstaltung mit Schule im Fokus mehr als notwendig ist, merkt man schon allein an der hohen Teilnehmerzahl zu der Podiumsdiskussion. Im voll besetzten Raum sitzen viele Lehrerinnen und Lehrer der Leipziger Förder- und Oberschulen sowie Gymnasien, auch Gäste aus den Schulleitungsetagen sind anwesend. Dem Podium ist Marina Chernivsky online zugeschaltet. Die Psychologin und Geschäftsführerin von Ofek, einer Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung, beschreibt ihre Beobachtungen zum gesamtgesellschaftlichen Anstieg antisemitischer Vorfälle. Besonders an Schulen verdichte sich diese Realität. Im Laufe der Podiumsdiskussion betont sie immer wieder, den Fokus nicht nur auf einzelne Kinder zu legen, die beispielsweise durch antisemitische Äußerungen an Schulen auffallen, sondern den Blick zu weiten auf das systematische Problem dahinter. Antisemitismus sei kein Erziehungsproblem eines einzelnen Kindes, sondern eine Ideologie, die in der gesamten Gesellschaft reproduziert wird. Chernivsky verdeutlicht das an einem Beispiel und erzählt von einem Beratungsfall mit einem Kind. Ein Mitschüler habe ihm gesagt, es hätte es doch als Jude bestimmt schwer, Freunde zu finden. Besonders solche unterschwelligen Formen des Antisemitismus werden häufig nicht erkannt, prägen aber das Kind nachhaltig, sagt die Psychologin.

Die Diskussionsteilnehmenden sind sich einig: Projekte gegen Diskriminierung an Schulen müssen möglichst frühzeitig in den unteren Klassenstufen umgesetzt werden, um besonders wirksam zu sein. »Wir sind keine Feuerwehr, wir können keine Brände löschen. Wir können aber dafür sorgen, dass es zu keinem Feuer kommt«, sagt Schulsozialarbeiter Björn Bartling von dem Leipziger Verein Kindervereinigung. Für solche Präventionsarbeit sei es jedoch an den meisten Schulen schon zu spät, ergänzt Lea Zingel, Schulberaterin des Netzwerks Demokratie und Courage. Keine Schule sei diskriminierungsfrei, aber offen rassistische Vorfälle ereignen sich immer häufiger an Schulen. Zingel organisiert an sächsischen Schulen unter anderem die Projekttage für demokratische Werte und couragiertes Handeln und berät darüber hinaus Schulen dann, wenn sich schon rechtsradikale Jugendgruppen etabliert haben. Im Gespräch mit dem kreuzer nach der Podiumsdiskussion erzählt sie: »Wir beobachten, dass rechte Lebenswelten gerade unglaublich attraktiv für junge Menschen sind. Es gibt online Kameradschaften, die wahnsinnig viele junge Menschen mobilisieren, beispielsweise zu den [Gegenprotesten der] CSDs. Sie haben die Aktionsform vom Fußball übernommen. Für sie ist es aufregend. Gemeinsame Sprechgesänge und martialisch mit Pyrotechnik aufzutreten – das zieht junge Menschen an.«

Ein Projekt, das Schulen als Austragungsort von Rassismus und Antisemitismus in die Verantwortung nimmt und hilft, sich mit solchen Strukturen aktiv auseinanderzusetzen, ist das Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Die Stadt Leipzig zählt 19 solcher Mitgliedsschulen, in Sachsen gibt es insgesamt 134 Courage-Schulen. Zum Vergleich: Allein in Berlin sind 152 Schulen Teil des Netzwerks, in Nordrhein-Westfalen sind es 1347. Die Schülerin Gesine Großert ist ebenfalls als Expertin bei der Podiumsdiskussion geladen und kennt als Vorsitzende des Stadtschülerrats Leipzig die Realität an den Schulen vor Ort. Im Gespräch mit dem kreuzer nach der Veranstaltung erzählt sie, dass man bei manchen Schülerinnen und Schülern heraushöre: »›Diese Plakette ist eh nichts wert‹. Das ist sehr schade, weil das Netzwerk gute Möglichkeiten bietet. Die Schulen müssen sich aber als aktiven Teil von diesem Netzwerk sehen und nicht einfach Plaketten sammeln.« Um als Schule Teil des Netzwerks zu werden, müssen im ersten Schritt 70% der Wahlberechtigten – dazu zählen Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Angestellte wie die Putzkraft, die Hausmeister und die Schulsozialarbeit – den Selbstverpflichtungen zustimmen, erklärt Zingel. Dazu zähle, sich aktiv für Aktionen gegen Diskriminierung einzusetzen und sich mit Fällen von Diskriminierung an der Schule auseinanderzusetzen. Idealerweise bleibe die Schulgemeinschaft an mehr interessiert als einer bloßen Scheinpartizipation. »Was die Schulen am Ende daraus machen, ist ganz unterschiedlich«, sagt Zingel.

Solche Konzepte wie die der Courage-Schulen seien wichtig, um Qualität und Kontinuität der Projekte zu sichern, resümiert die Schülerin Großert: »Aus den Konzepten muss aber auch eine wirksame Aktion folgen.« Daran fehle es den meisten sächsischen Schulen, findet auch Schulberaterin Zingel. Zu häufig werden Fälle von verbaler und körperlicher Gewalt verschwiegen, zu häufig trauen sich Schülerinnen und Schüler nicht, solche Vorfälle zu melden – aus Angst vor bereits etablierten rechten Strukturen oder Lehrenden, die rassistisches Verhalten zu rechtfertigen versuchen. Der Austausch in der Podiumsdiskussion habe Zingel nochmal verdeutlicht, wie wichtig es sei, als engagierte Schulgemeinschaft, als Lehrende, Schülerschaft, Sozialarbeitende und Eltern, zusammenzuarbeiten.

 

>Das Programm zu den Wochen gegen Rassismus kann über die Homepage der Stadt Leipzig heruntergeladen oder über das Portal afeefa eingesehen werden.

> Netzwerk Demokratie und Courage

> Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage

 


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