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Kultur

»Es ist was Komisches mit den Ideen«

Choreografin Salome Schneebeli und Musiker Edmund Kenny über ihre Inszenierung »Neonschatten«

  »Es ist was Komisches mit den Ideen« | Choreografin Salome Schneebeli und Musiker Edmund Kenny über ihre Inszenierung »Neonschatten«  Foto: Rolf Arnold

Die choreografische Inszenierung »Neonschatten« der Schweizer Regisseurin und Choreografin Salome Schneebeli läuft derzeit auf der Agra-Ausweichlocation des Leipziger Schauspiels. Darin entsteht ein alternativer Stadtplan, der aus den Geschichten von Leipzigerinnen und Leipzigern besteht. Wir sprachen mit ihr und dem Musiker Edmund Kenny, der die Musik für das Stück produzierte, über Leipziger Geschichte(n), kreative Meteoriteneinschläge und die Schwierigkeit, Stadtviertel zu vertonen.

Wie handelt man das Verhältnis von individueller Erinnerung und kollektivem Gedächtnis in einer Choreografie aus?

SCHNEEBELI: Als ich mit dem Projekt anfing und das Leuten erzählte, kamen sofort Sachen wie »Völkerschlacht!«, »Bach!« und diese Heldenmythen. Die Gedanken »Wer schreibt Geschichte?« und »Wie schreibe ich persönlich Geschichte?« beschäftigen mich schon sehr lange. Beides individuell anzugehen war für mich eine super Grundlage, um zu starten. Aus den privaten Geschichten zur Agra ergab sich dann dieser liminale Raum, der das Stück prägt. In den Gesprächen merkte man: Die alte Generation ist geprägt von Verherrlichung, die mittlere Generation – in meinem Alter – die rebellierte schon gegen ihre Eltern und dann die Jungen, die für sich schauen mussten.


Wie kamen Sie zu den Leipzig-Geschichte(n), die im Stück auftauchen?

SCHNEEBLI: Wir haben eine Anzeige in der Zeitung geschaltet für unsere Suche nach Geschichten und nach Performerinnen. Viele Leute haben sich daraufhin gemeldet, um beim Casting mitzumachen. Es war nicht einfach, die Geschichten rauszuziehen und in einen Rhythmus zu bringen. Bei den Perfomerinnen war dagegen relativ schnell klar, wer mich interessiert. Da war es uns wichtig, dass die aus der Agra-Gegend kommen.


Der Titel »Neonschatten«, analoger Bühnenbau vor digitalen Screens, Sci-Fi-anmutende Kostüme und Alltagsklamotten – welche Rolle spielt der Gegensatz analog/digital für Sie?

SCHNEEBELI: Das war total klar gesetzt, dieser Gegensatz. Alles vor der Frage, wie man mit dem Raum umgeht. Das ordnende oder haltende Element ist die Komposition, das war ein richtiger Balanceakt. Ich wollte die LED-Wand hinter den Bühnenteilen drin haben, weil ich den Kontrast so wichtig finde.


Edmund Kenny, organische Percussion und wabernde Synthies – wie passt dieser vermeintliche Kontrast zwischen alt und neu in Ihre Tonsprache?

KENNY: In unserem ersten Gespräch über das Stück kamen diese liminalen Räume viel zur Sprache und dann auch die Frage, wie man Realität und Geschichte trennt. Was ist eine Erinnerung, was Fiktion? Wie ist die Beziehung zwischen eigener und kollektiver Erinnerung? Diese nostalgische und verklärende Erinnerung an Dinge, von der man oft weiß, dass es wahrscheinlich nicht ganz so war. Ich habe viel Orgel verwendet für das Stück, oft entfremdet, oft ganz direkt. Der erste Ansatz war, ein Motiv zu finden, das sich wiederholt. Ich wollte in der Musik etwas Wiederkehrendes finden, was eine gewisse Nostalgie in sich trägt aber dann doch nicht komplett in sich schlüssig ist. Die Variationen waren auf die Stadtteile gestützt, um den richtigen Sound zu finden. Das Zentrum war am schwersten, weil es architektonisch so durcheinander ist (lacht). Modernismus, DDR-Architektur, historische Architektur, das war schwierig zu komponieren.

SCHNEEBELI: …aber es ist super geworden. Teilweise klingen nur Fetzen, Andeutungen durch.  Es war ein enger Prozess, wir haben viel telefoniert und darüber gesprochen, wie was klingen soll.


Im Stück gibt es einen Meteoriteneinschlag auf dem Arga-Gelände, der eine Sonderzone schafft, in der Wünsche wahr werden und nichts ist, wie es scheint. Gibt es solche Einschläge auch im Kleinen?

SCHNEEBELI: Es passiert oft im Zusammenhang mit Begegnungen. Dass es mich beflügelt und meine Kreativität anregt. Sonst passiert es auch einfach so und das ist reine Glückseligkeit. Beim Choreografieren versucht man wieder und wieder, manchmal kommt man in diesen Zustand und merkt: Jetzt geht eine Tür auf. Deswegen choreografiere ich immer noch (lacht).

KENNY: Die besten Dinge geschehen einfach so. Man kann sich nie zurückerinnern, weil das in einem Flow passiert ist, dass man gar keine Ahnung mehr hat, wie das genau ablief. Manchmal sitzt man zwei Jahre danach da und denkt, man würde es gerne machen wie damals. Man kann auch schwer sagen, welche Einfälle sich dann gut umsetzen lassen und welche nicht. Es ist was Komisches mit den Ideen. Man muss an der richtigen Stelle sein, damit der Meteorit einschlagen kann.


Gibt es Pläne für zukünftige Zusammenarbeiten?

Edmund Kenny und Salome Schneebeli
Ein gutes Team: Edmund Kenny und Salome Schneebeli

SCHNEEBELI: Absolut, Ed geht jetzt erstmal auf Tour, danach sehen wir weiter.

KENNY: Ende August erscheint das neue Album meiner Band Kerala Dust. Dann geht es auf Tour, das wird mich bis Ende des Jahres beschäftigen. Das Album war im Februar fertig und direkt danach habe ich mit »Neonschatten« angefangen, das war ein super Übergang. Vom Stück nehme ich Lust mit, wieder für die Band zu schreiben. Es war nach der teils einsamen Zeit des Album-Schreibens sehr wichtig, mal in einer größeren Gruppe zu arbeiten. Und es war inspirierend zu sehen, wie Salome als Regisseurin arbeitet und kreative Konflikte löst. Ich kenne wenige Leute, die so mutig auf der Suche nach der richtigen Idee sind und Menschen so mit sich ziehen können.


Wohin geht die Reise auf dem neuen Album soundtechnisch?

KENNY: Der Plan dieser Platte war, uns von unseren letzten Tourneen inspirieren zu lassen. Wir wollten mit der Musik einen möglichst direkten Bezug zum Publikum schaffen. Emotionale Direktheit war das ständige Motiv des Albums. Keine Verschleierung, weder emotional noch in der Produktion. Es ist eine ehrliche, tanzbare Platte geworden. Nicht mehr ganz so psychedelisch wie früher, eher Tagebuch-mäßig. Wir haben beim Touren und auf der Bühne einen wahnsinnigen Zusammenhalt gefunden zu viert. Das merkte man auch im Studio. Wir haben die Platte immer mit dem Livekonzert im Sinne geschrieben. Kann natürlich auch zuhause gehört werden, aber bestenfalls live!

 

> »Neonschatten« Aufführungen 4.5., 10.5., 23.05., Ag(o)ra des Schauspiel Leipzig, www.schauspiel-leipzig.de

> »An Echo of Love« von Kerala Dust erscheint am 22.8., Tourstop in Berlin (Columbiahalle) am 27.9.


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