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Kultur

Wächter über die Menschenrechte

In »Denkste Puppe« blickt Hanna Schygulla auf das Schicksal unbegleiteter Geflüchteter in Deutschland

  Wächter über die Menschenrechte | In »Denkste Puppe« blickt Hanna Schygulla auf das Schicksal unbegleiteter Geflüchteter in Deutschland  Foto: Tilman König

In der Schule war sie immer die Flüchtlingstochter. Schygulla, die Polenmaz (»Polensau«). Mit ihrer Mutter floh die 1943 geborene Hanna Schygulla aus Oberschlesien, als sie zwei Jahre alt war. Sie wuchs in München auf und begann sich fürs Schauspiel zu interessieren. Mit »Liebe ist kälter als der Tod« begann 1969 eine lange Zusammenarbeit mit Rainer Werner Fassbinder, die Schygulla internationale Anerkennung einbrachte. Sie arbeitete mit Wim Wenders, François Ozon und Fatih Akin, wurde vielfach ausgezeichnet.

In ihrer Karriere bewies Hanna Schygulla immer wieder Haltung. Sie setzt sich für Frieden und das Schicksal Geflüchteter ein. Gerade erst positionierte sie sich im Rahmen der Berlinale gegen die AfD und den Nationalismus. Seit 1978 dreht sie außerdem immer wieder Kurzfilme mit ihrer kleinen Videokamera, in denen sie politische Themen wie die Situation der Flüchtlinge auf der Insel Lampedusa aufgreift. 2016 entstand »Die Unbegleiteten«, ein kurzer Dokumentarfilm über eine Gruppe minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge.

Ihre Protagonisten Mostafa, Mojtaba, Mohebi und Alireza waren 2015 aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Einige von ihnen verloren ihre Familien. Die Künstlerin Veronika Urban war eine von denen, die sich damals um sie kümmerte. Sie malte und bastelte mit den traumatisierten Kindern. »Die sind so richtig auseinandergeflossen«, erinnert sie sich. »Die wussten gar nicht, was mit ihnen passiert. Es war alles fremd für sie. Ich habe mich wirklich als Mutter für viele gefühlt und es zerbrach mir das Herz, dass ich nicht allen richtig beistehen konnte. Es waren einfach zu viele.«

In der Aufarbeitung ihrer Erlebnisse fertigte sie mit den Geflüchteten lebensgroße Figuren aus Pappmaché und beklebte sie mit den Menschenrechten. Sie führen das Recht auf Freiheit und Gleichheit für jeden Menschen vor Augen. Etwas, woran immer wieder erinnert werden muss, sagt Urban. Für die jungen Geflüchteten war die Arbeit mit den Händen eine willkommene Ablenkung von den dunklen Gedanken an die Flucht. Im Atelier von Veronika Urban lernte Schygulla die vier kennen und führte mit ihnen lange Gespräche vor der Kamera.

Im vergangenen Jahr besuchte die heute 81-jährige Schygulla gemeinsam mit der Filmemacherin Ulrike Werner und dem Leipziger Regisseur Tilman König die vier Protagonisten von damals erneut, um zu dokumentieren, was aus ihnen geworden ist. Haben sie die Erlebnisse verarbeiten können und in Deutschland Fuß gefasst?

Mohebi hat eine Lehre als Schreiner gemacht und zeigt stolz den Schrank, den er gefertigt hat. Alireza macht gerade sein Abitur an der Abendschule. Mojtaba arbeitet in einem Logistikunternehmen. Die Chefin hat sich für ihn eingesetzt. Mojtaba ist dankbar, ebenso wie die anderen drei Protagonisten. Der Dokumentarfilm »Denkste Puppe« zeigt, wie Integration gelingen kann: durch den Einsatz von Einzelnen, die nicht tatenlos bleiben wollen. Unterdessen stehen Tausende auf den Straßen Berlins, um gegen den Rechtsruck zu demonstrieren. Auch Mostafa, Mojtaba, Mohebi und Alireza sind dabei. Wenn sie wählen könnten, wüssten sie, wo sie ihr Kreuz auf keinen Fall machen würden.

Tilman König kam als Letzter zum Filmprojekt. Er hatte zuvor mit Schygulla in Paris gedreht, als sie ihn fragte, ob er sich an »Denkste Puppe« beteiligen wolle. »Wir haben den Film als Kollektiv gemacht, was mitunter ein wenig schwierig war. Die Rollen waren nicht klar definiert. Darauf musste ich mich einlassen. Es war unser Film. Und auch Hannas Film. Da war es bei der Frage nach dem Drehort manchmal wichtiger, wo das Essen am besten schmeckt, nicht wo die Voraussetzungen für den Dreh am besten waren«, lacht König. »Es war eine coole Erfahrung. Ich habe glaube ich noch nie so viel gelacht beim Dreh, aber es war auch manchmal ganz schön anstrengend. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit von Veronika, vor Hanna und dem, was die vier geleistet haben.«

Seine Premiere feierte »Denkste Puppe« abseits der Berlinale in einem Steglitzer Kino. Dem Filmkollektiv war es wichtig, den Film noch vor der Bundestagswahl zu zeigen. Der Saal war am Freitagabend gut gefüllt. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer sprachen den vier Protagonisten ihre Bewunderung aus. Einige berichteten von ihrer Arbeit mit Geflüchteten und den Möglichkeiten, sich als Patinnen und Paten einzusetzen. Viele nahmen positive Energie und Zuversicht aus diesem Abend. Weil »Denkste, Puppe« ein kraftvolles Statement für die Menschlichkeit ist. Der Film wird mit der frisch gegründeten 2Könige-Filmproduktion auf Reisen gehen und soll im April auch in Leipzig zu sehen sein.


> Leipzig-Premiere am 10. Mai, im Anschluss gibt es ein Filmgespräch mit Team und Protagonisten. Passage Kinos, 20 Uhr

 

 


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