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Stadtleben

Rätseln zwischen Rädern

Im Neuen Rathaus wurden Stücke aus dem Fundbüro der Stadt Leipzig versteigert

  Rätseln zwischen Rädern | Im Neuen Rathaus wurden Stücke aus dem Fundbüro der Stadt Leipzig versteigert  Foto: Wer bekommt das nächste Fahrrad?/Alexandra Huth

Auf der Wiese vor dem Neuen Rathaus liegt ein Nextbike auf der Seite, so als würde es noch den Rausch der vergangenen Freitagnacht ausschlafen. Da geht es im Festsaal schon disziplinierter zu: 65 Fahrräder, für Damen, Herren und Kinder, darunter auch einige Mountainbikes, stehen hier aufgereiht. Sie sind die Stars der öffentlichen Versteigerung des städtischen Fundbüros, die zum ersten Mal im Neuen Rathaus stattfindet. Neben Fahrrädern, Smartphones und einem iPad gibt es auch verschiedene Themenpakete in Form von Koffern, Rucksäcken und Kisten zu ersteigern. Darin befinden sich Überraschungsobjekte, die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Fundbüros unter Titeln wie »Chef’s Choice – Schneidebrett trifft Sternekoch« oder »Dunkle Leidenschaft – Vorbereitet für das WGT 2025« zusammengestellt wurden. Da Hineinschauen, Abtasten oder dran Schnuppern nicht erlaubt ist, bieten diese Titel zumindest eine gewisse Orientierung. Getragene Kleidung ist natürlich nicht dabei, ansonsten changieren die Objekte zwischen »neuwertig« und »mit Gebrauchsspuren«. Alles, was heute unter den Hammer kommt, wurde sichergestellt oder im Fundbüro abgegeben und muss nun neuen Gegenständen Platz machen, da die gesetzliche Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist.

Wie hoch ist die Nachfrage nach vergessenem oder verlorenem Kleinod? Die Menschenmenge, die sich kurz vor 11 Uhr vor den Toren des Neuen Rathauses sammelt, spricht Bände. Hier wartet zum Beispiel Franziska, 37. Sie sei zum ersten Mal hier, wolle nur mal schauen, wie so etwas abläuft, sagt sie und schiebt noch hinterher: »Aber die Fahrräder sind besonders interessant.« Auch Anna, 21, und Rene, 25, haben nach kurzer Überlegung schon etwas Bestimmtes im Sinn: »Wir haben gerätselt, ob es vielleicht Musikinstrumente gibt«, meint Rene. Auf die Versteigerung aufmerksam geworden ist sie über das Fahrgastfernsehen in der Straßenbahn, erzählt Anna noch, bevor die Tore geöffnet werden und Bewegung in die Menge kommt. Taschenkontrolle, Ausgabe der Versteigerungslisten und Bieternummern, dann geht es die Treppe hinauf in den Festsaal. Jetzt genau gucken! In welchem Zustand ist das knallblaue Damenrad, lohnt sich ein Gebot auf Überraschungspaket A4 vielleicht schon wegen des robusten Koffers? Man reiht sich am besten ein, um langsam an den Auktionsgegenständen vorbeizupromenieren.

Wir haben ja Zeit: Von 11 bis 12 Uhr darf geschaut werden, dann geht es in die Wandelhalle, wo die Versteigerung stattfindet. Stühle gibt es nicht, der Geräuschpegel entspricht dem Echo in der Halle. Damit alle etwas sehen, werden die Objekte auf mehreren Videoleinwänden gezeigt. In den letzten Minuten vor Auktionsbeginn steigt die Spannung: Kinder recken die Hälse oder ergattern einen Platz auf den Schultern ihrer Eltern, Rentner mit Schiebermützen brüten konzentriert über der Versteigerungsliste. Anna und Rene haben darauf mittlerweile bestimmt die Pakete »Akkorde fürs Herz« und »Zauber der Saiten« entdeckt.

Als der Auktionator die Bühne betritt, sind die Kreuzchen auf den Listen gesetzt. Fieberhafte Stille tritt aber nicht ein, viele sind mit der Familie oder als Freundesgruppe da und die fröhlichen Gespräche gehen weiter, während kurz das Prinzip erläutert wird: Startgebot für alle Objekte ist ein Euro, bis 50€ geht es in Einer-Schritten hoch, dann in Fünfer-Schritten, ab 500€ im Fünfziger-Schritt. Mehrere Blöcke aus Fahrrädern und Überraschungspaketen wechseln sich ab, hier hat jemand an den Unterhaltungsfaktor gedacht, sehr gut. Den Anfang macht ein Kinderfahrrad, ein entzücktes »Oooh« geht durch die Menge und das Rad für 33€ an seinen neuen Besitzer. 255€ für ein Herrenrad, und das, obwohl eine rote Markierung anzeigt, dass das Rad nicht aufbereitet wurde und die Fahrtauglichkeit nicht zugesichert werden kann. Aber wozu gibt es Fahrradwerkstätten? Als die ersten Überraschungspakete angesagt werden, merke ich schnell, dass das hier kein Flohmarkt ist: 100€ für »Fit for Life – Dein Powerpaket für mehr Energie« (vielleicht ein Jahresvorrat Fruchtriegel?), das Spieleabend-Paket, für das ich auch mal die Nummer hebe, geht für 85€ weg, was mir zu teuer ist. Man spürt: Hier geht es auch um den Nervenkitzel, den Überraschungseffekt. Wenig überraschend ist, dass die riesige JBL Lautsprecherbox die Wandelhalle in einen Schilderwald verwandelt. Einen Moment später saust der Hammer nieder und jemand ist 150€ ärmer, kann dafür aber am Nachmittag ordentlich Lärm im Park machen.

Im vierten Block lichten sich die Reihen langsam, die Schaulustigen und Unentschlossenen verabschieden sich, die alten Hasen und wild Entschlossenen bleiben tapfer stehen. Der Auktionator kommt jetzt erst richtig in Fahrt und rattert Zahlen runter, dass einem die Ohren klingeln. Unter dem Titel »Vorsicht Fahranfänger – Bitte Rücksicht nehmen!« rollt noch ein rotes Rutschauto inklusive plüschiger Insassen ins Bild und es muss an dieser Stelle auch der liebevolle Einfallsreichtum der Fundbüro-Belegschaft gewürdigt werden.

Nach dem letzten Block Fahrräder zerstreut sich die Menge. Wer etwas ersteigert hat, muss im Erdgeschoss an die Kasse, wo ich eine Mitarbeiterin noch nach dem allgemeinen Stimmungsbild bei der Abholung frage: »Ich habe nur positive Reaktionen in Erinnerung – auch bei den Überraschungspaketen, die kommen immer gut an«, meint sie, muss aber auch schon die nächste Bieterkarte prüfen. Vor dem Neuen Rathaus bildet sich eine Schlange am Zelt des Kommunalen Eigenbetriebs Engelsdorf. Hier werden die Räder (auf freiwilliger Basis) direkt codiert, damit sie nicht gestohlen werden – oder eben wieder im Fundbüro landen.


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