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Kultur

In den Geist der Zeit einhören

Das Schostakowitsch-Festival im Gewandhaus hat begonnen – bis 1. Juni folgen noch zahlreiche Konzerte

  In den Geist der Zeit einhören | Das Schostakowitsch-Festival im Gewandhaus hat begonnen – bis 1. Juni folgen noch zahlreiche Konzerte  Foto: Jens Gerber


»Über die Musik zu sprechen ist schwer«, schrieb Dmitri Schostakowitsch 1958 in Moskau. So scheint es ganz im Sinne des Komponisten, dass auch während des Eröffnungsabends des Schostakowitsch-Festivals im Gewandhaus auf Reden verzichtet wird. Die Rezeptionsgeschichte des russischen Komponisten erzählt sich dadurch, dass er sich in den Geist der Zeit kritisch oder affirmativ hineinhört: Zum einen wird Schostakowitsch durch prachtvolle Propagandastücke im Sinne der sowjetischen Regierung rezipiert und mehr noch, durch Subversion, durch den Widerstand gegen Repressionen, den er mit musikalischen Gestaltungsmittel verschleiert. Wie nun die Musik für sich selbst spricht, ob die Festivalbesucherinnen und -besucher mit der ein oder anderen Deutung in Resonanz treten oder sich ganz unbefangen in der Musik verlieren, bestimmt sicher den Gesprächsstoff der Pausen. Bis dahin eröffnet Schostakowitschs Festliche Ouvertüre op. 96 den Konzertreigen. Seit ihrer Uraufführung am Jahrestag der Oktoberrevolution 1954 erlangt die Melodie zunehmend Berühmtheit und wird zu allerlei Feierlichkeiten gespielt. So tönen auch hier zum Festival-Eröffnungskonzert die Streicher erhaben, während der Glanz der Blechbläsermelodien und der Prunk der Pauken den vollen Konzertsaal schmücken. Auf die ausgelassene Stimmung folgt das 2. Konzert für Klavier und Orchester F-Dur op. 102. Zur Uraufführung 1957 spielte Schostakowitschs Sohn Maxim das Soloinstrument, dessen sich nun Daniil Trifonov annimmt. Ganz leichtfüßig konturiert er das bisweilen träumerische, zumeist freudvolle Stück mit dem Glanz seines Spiels. Auch Trifonovs Zugabe, Scherzo (op. 1), honoriert das Publikum mit ausgiebigem Applaus und Bravo-Rufen.

Die folgende 4. Sinfonie c-Moll op. 43 schlägt ganz andere Töne an. Bereits Mitte der Dreißiger geschrieben, wurde die Komposition erst 1961 uraufgeführt. Unklar ist, ob die verzögerte Aufführung ein Hinweis auf persönliche Unzufriedenheit mit dem Werk war oder Angst vor Kritik der Parteivorsitzenden. Bereits im ersten Satz scheint das Schlagwerk Maschinengewehren zu gleichen, die mit der Kraft der Becken feuern. Eindringlich pfeifen, surren die Flöten grell, bevor die Geigen in den ruhigen Momenten schluchzen. Erneut ballt sich der Klangkörper, der anfangs sogar vom Aufstampfen Andris Nelsons` geschürt wird. Der dritte und letzte Satz verhallt als Streichernebel, durch den die Celesta mit einer zarten, düsteren Tonfolge irrlichtert. Angesichts des intensiven Konzerterlebnisses harrt das Gewandhaus-Publikum lange still aus, bevor es in Jubel und stehende Ovationen ausbrechen.

Auch am zweiten Festivaltag sind die Reihen im Konzertsaal gut gefüllt, wie etwa während der abendlichen Filmvorführung im Mendelssohn-Saal: Dort flimmert »Two – The Story told by Shostakovitch’s Wife« aus dem Jahr 2022. Die russische Filmemacherin Elena Yakovich verdichtet das rare Material von Schostakowitschs Ehefrau Irina Antonowna. Das ist besonders, denn jahrelang lehnte sie alle Interviews strikt ab. Das begründet Yakovich unter anderen damit, dass Schostakowitsch davon sprach seine Frau zu verfluchen, würde sie von ihrer beider Leben erzählen. Der Drohung stehen die eher unverwerflichen Bilder gegenüber, die die Zerwürfnisse der Zeit zeigen und vom Hunger und der Kälte erzählen, wie auch vom künstlerischen Schaffen und von den Momenten, in denen die Musik Schostakowitschs gefördert oder auch zurückgewiesen wurde.

So vielseitig, wie das Festival begonnen hat, soll es auch weitergehen: Anlässlich des 50. Todestages von Schostakowitsch lädt das Gewandhaus mit zahlreichen Konzerten dazu ein, dem Schaffen und der Geschichte des Komponisten nachzusinnen und darüber zu sprechen. So weitet sich Schostakowitschs Ausspruch: »Eine Sinfonie ist tot, solange sie nicht gespielt und gehört wird« auf sein gesamtes Schaffen. Nicht nur alle Sinfonien, sondern auch Solokonzerte, Kammer- und Klaviermusik sowie Lied und Oper werden noch bis 1. Juni gespielt.


Drei Höhepunkte des Festivals:


»Orchester VI« 

Gewandhausorchester, Boston Symphony Orchestra & Andris Nelsons (Dirigent) spielen Dmitri Schostakowitschs 7. Sinfonie C-Dur op. 60 (»Leningrader«) – Do 22.5., 19.30 Uhr, Gewandhaus, Großer Saal


»Orchester IX«

Gewandhausorchester, Herren des MDR-Rundfunkchores, des Chores der Oper Leipzig und des GewandhausChores, Andris Nelsons (Dirigent), Michael Schönheit (Orgel), Baiba Skride (Violine), Günther Groissböck (Bass) spielen Dmitri Schostakowitschs Passacaglia aus der Oper »Lady Macbeth von Mzensk« op. 29 (Bearbeitung für Orgel) u. 2. Konzert für Violine und Orchester cis-Moll op. 129, 13. Sinfonie b-Moll op. 113 (»Babi Jar«) – Mi 28.5., 19.30 Uhr Gewandhaus, Großer Saal


»Quartett V«

Quatuor Danel 

Dmitri Schostakowitschs 4. Streichquartett D-Dur op 83, Zwei Stücke für Streichquartett u. 12. Streichquartett Des-Dur op. 133 – Fr 30.5., 15 Uhr, Gewandhaus, Mendelssohn Saal



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