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Stadtleben

»Licht auslassen!«

Biologe Reinhard Klenke erklärt, wie künstliches Licht unsere Umwelt aus dem Gleichgewicht bringt

  »Licht auslassen!« | Biologe Reinhard Klenke erklärt, wie künstliches Licht unsere Umwelt aus dem Gleichgewicht bringt  Foto: Stefan Bernhardt/iDiv

Ein Schwerpunkt der Leipziger Naturschutzwoche, die am Montag startet, ist das Thema Lichtverschmutzung. Was für uns Menschen Komfort bedeutet – gut beleuchtete Straßen, helle Innenräume rund um die Uhr – hat für viele Tiere, Pflanzen und sogar unsere eigene Gesundheit Folgen. Reinhard Klenke, Biologe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Forscher am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), sagt: Es gibt eine »unsichtbare Parallelwelt« direkt neben uns – künstliches Licht stört diese Welt massiv. Im Gespräch mit dem Forscher wird deutlich: Lichtverschmutzung ist eine unterschätzte Umweltbedrohung.

Was verstehen wir unter Lichtverschmutzung?

Lichtverschmutzung ist jedes künstliche Licht, das zu Zeiten oder an Orten auftritt, an denen es natürlicherweise dunkel wäre. Das betrifft vor allem künstliche Beleuchtung in der Nacht – Fachleute sprechen auch von Artificial Light at Night (ALAN). Oft wird übersehen, dass Licht ein Umweltfaktor ist, der Organismen genauso beeinflusst wie Lärm oder Chemikalien.

Warum ist das ein Problem?

Licht beeinflusst biologische Rhythmen. Tiere, Pflanzen – und auch wir Menschen – orientieren sich an der natürlichen Abfolge von Tag und Nacht. Wird dieser Rhythmus gestört, kann das weitreichende Folgen haben: gestörter Schlaf, ein erhöhtes Krebsrisiko, Orientierungsverlust bei Tieren oder verändertes Verhalten bei Insekten und Vögeln.


Seit wann ist das Phänomen bekannt?

Schon vor über 120 Jahren haben Astronomen festgestellt: In Städten kann man kaum noch Sterne sehen. Die Sterne verschwinden im Licht der Städte – ein frühes Indiz für beginnende Lichtverschmutzung.


Wie wirkt sich Licht konkret auf Tiere aus?

Ein klassisches Beispiel sind Leuchttürme: Vögel kreisen in dunklen Nächten um das Licht und kollidieren dabei oft mit dem Turm. Sie verbrauchen Energie, verletzen sich – oder sterben. Auch Insekten fliegen im Spiralflug um Lampen – nicht, weil das Licht sie anzieht, sondern weil sie es zur Orientierung nutzen. Der helle Punkt überstrahlt den Mond, an dem sich viele Arten evolutionär ausgerichtet haben.


Wie wirkt künstliches Licht auf unseren Körper?

Unser Tag-Nacht-Rhythmus wird von inneren und äußeren Uhren gesteuert. Eine zentrale Rolle spielt das Hormon Melatonin, das bei Dunkelheit ausgeschüttet wird.
Melatonin wirkt wie ein innerer Taktgeber und hat eine ursprüngliche Schutzfunktion – es hilft, Zellschäden durch Sonneneinstrahlung zu reparieren.


Was passiert, wenn wir abends Licht anmachen?

Schon geringe Lichtmengen können die Ausschüttung von Melatonin unterbrechen. Die Folge: weniger nächtliche Reparaturmechanismen im Körper – und möglicherweise ein erhöhtes Krankheitsrisiko, etwa für Krebs. Licht in den späten Stunden stört also nicht nur den Schlaf, sondern auch die Zellgesundheit.


Was hat Ihre Forschung in Leipzig gezeigt?

Die Amsel war ein ideales Studienobjekt: Sie lebt sowohl in städtischen Zentren als auch in naturnahen Gebieten wie dem Leipziger Auwald. Normalerweise beginnt sie etwa 55 Minuten vor Sonnenaufgang zu singen. In der Stadt aber bis zu fünf Stunden früher – wegen des Lichts, aber auch aufgrund des Lärms


Welche Folgen hat das?

Das Licht versetzt die Tiere bereits in der Nacht in einen Dämmerungszustand. Kommt dann noch die erste Straßenbahn, wirkt das wie ein Wecker. Die Tiere wachen früher auf, sind länger aktiv – das kostet Energie und verändert ihr Verhalten. Ob sie dadurch erfolgreicher sind oder in eine ökologische Falle geraten, ließ sich bislang nicht klären – es fehlte an ausreichender Forschungsförderung.


Wie sind andere Arten betroffen?

Viele Insekten, Vögel – und auch Pflanzen – reagieren sensibel. Gelbe Blumen erscheinen uns einfarbig, für Bienen aber zeigen sich im UV-Licht Muster, die zur Nektarquelle führen. Künstliches Licht verändert oder zerstört diese Signale.


Was nehmen wir da nicht wahr?

Unsere Sinneswelt ist begrenzt – viele Tiere sehen UV-Licht, hören Infra- oder auch Ultraschall oder spüren Magnetfelder. Es gibt also tatsächlich eine unsichtbare Parallelwelt direkt neben uns – und künstliches Licht bringt dieses empfindliche System aus dem Gleichgewicht.


Gibt es Gesetze gegen Lichtverschmutzung?

Bei Lärm gibt es Schutzpläne – bei Licht bislang meist nur Empfehlungen. Einige Städte wie Erfurt haben bereits Regelwerke erarbeitet, in denen festgelegt ist, wo und wie viel Licht erlaubt ist. Im Horizon-Europe-Forschungsprojekt PLAN-B, das die Auswirkungen von Licht und Lärm auf die Biodiversität untersucht, entwickeln wir derzeit konkrete Vorschläge für gesetzliche Regelungen zur Lichtverschmutzung.


Was sind sinnvolle Maßnahmen?

Licht nur dort einsetzen, wo es gebraucht wird. Beleuchtung gezielt ausrichten, um Streuverluste zu minimieren. Eine runde Außenlampe mag schön aussehen, ist aber ökologisch fatal – sie strahlt in alle Richtungen. Warme Lichtfarben wählen (gelblich statt blauweiß). Zeitliche Begrenzung durch Bewegungsmelder oder Timer. Das Beste, was man für seinen Körper tun kann: tagsüber raus in die Sonne – und nachts das Licht auslassen!

> Mehr Informationen zur Leipziger Naturschutzwoche finden Sie im Veranstaltungsprogramm.


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