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Kultur

Rohe Zitronen bei der Tour de Franz

Die neue »Raw Lemon Gallery« bringt eine frische Note in den Leipziger Westen

  Rohe Zitronen bei der Tour de Franz | Die neue »Raw Lemon Gallery« bringt eine frische Note in den Leipziger Westen  Foto: Neue Blickwinkel in der Raw Lemon Gallery/Anna Hofer

Am 24. und 25. Mai findet wieder die alljährlicheTour de Franzstatt und damit ein Wochenende voller Kunst, Musik und Begegnungen in der Franz-Flemming-Straße im Leipziger Westen. Rund 40 internationale Künstlerinnen und Künstler zeigen in vier großen, ehemalige Fabrikgebäuden und mehreren Kunsträumen ihre Werke – ganz frisch mit dabei, die neue »Raw Lemon Gallery«, welche heute, am 23. Mai ihre Eröffnung feiert.​

Die kleine Ausstellungshalle einen Tag vorher: neben ordentlich geweißten Wänden wird der industrielle Charme von unverputzten Ziegelmauern und gigantischen Betonsäulen aufrechterhalten. Jörg Schenderlein und Lara Popp haben soeben noch letzte Hand an die Hängung gelegt. Das frisch gebackene Galleristen-Duo hat die »Raw Lemon Gallery« erst kürzlich gegründet und blickt nun voller Stolz auf die stimmig arrangierte Mischung aus farbintensiven Plastiken und Malereien.

»Es war ein besonderes Gefühl, heute früh den ersten Nagel in die Wand zu schlagen«, erzählt Schenderlein. »Das Hängen ist wie die Kunst selbst auch ein Schaffensprozess, den ich gerade zum ersten Mal erlebe.« Der studierte BWLer ist eigentlich Kunst-Laie, hat sich aber mit der Galerie einen Lebenstraum erfüllt. Für die Expertise hat er sich Unterstützung geholt: Lara Popp, 24 Jahre alt, studiert Kunstgeschichte im Master an der Uni Leipzig und weiß, worauf es ankommt.

»Ich hab ihm erstmal eine Checkliste geschrieben!« schmunzelt sie. » ›What To Do Before Vernissage‹. Da steht alles drauf: Werkzeug für den Aufbau besorgen, Getränke für die Party bestellen, Layout für die Website und den Social Media-Auftritt bestimmen…«

Mit letzterem kennt Popp sich besonders aus. Sie steckt hinter dem Insta- und TikTok-Projekt »bibliotheca slaybertina«, in dem sie gemeinsam mit zwei Kommilitoninnen den alltäglichen Uni-Wahnsinn – irgendwo zwischen Bibliothekschaos, Koffeinrausch und Campus-Realität – dokumentiert. Doch während andere in ihren Zwanzigern gerade an ihren Abschlussarbeiten verzweifeln, gründet sie eine eigene Galerie. Ob sich das nicht manchmal nach einer Nummer zu groß angefühlt habe?
»Nein«, sagt sie klar. »Es ist eine total große Chance, ja, und gewiss nicht üblich, noch während des Studiums bereits eine Galerie zu managen – aber ich arbeite schon seit fünf Jahren in dem Bereich, habe viele Erfahrungen und Kontakte gesammelt und kenne mich aus. Hundert Prozent gewappnet ist man nie… Aber es ist ein stetiges learning by doing. Man muss einfach anfangen und alles mitnehmen, was man während des Studiums in dieser Branche zu fassen kriegt.«

Frisch, frech, formbar

»Raw Lemon Gallery« – der Name klingt nicht zufällig so spritzig. »Der Titel soll international anschlussfähig sein und eine gewisse Edgyness mitbringen«, erklärt Schenderlein. Sauer sei hier nichts – höchstens die Frische des Neuanfangs.

Starten werden Popp und Schenderlein mit der Gruppenausstellung »Shapeshifting«, die die Werke von Juliana Ortiz, Petra Polli und Kathrin Thiele miteinander vereint. Letztere war Schülerin von Neo Rauch und hat das Trio aus Leipzig überhaupt erst zusammengebracht. »Eine Konstellation, die es so noch nie gab«, sagt Popp – und die doch verblüffend stimmig ist.

Ein geknautschtes Stück Metall von Polli hängt glänzend gelb lackiert an einer Betonsäule und erinnert ein bisschen an einen zerplatzten Luftballon. Die Struktur der Plastik findet sich in den Gemälden von Thiele wieder, welche das Faltenspiel von Stoff und Papier gekonnt in Szene setzen. Aufmerksamkeit zieht vor allem die Darstellung eines zerknüllten Stück Malerkrepps mit neonfarbenen Sprenkeln auf sich, das einem geradezu plastisch aus der Leinwand entgegenspringt. Durchbrochen wird diese Lebendigkeit von Ortiz abstrakter Bilderreihe, deren klare symbolische Formen ein kleines, aber erfrischendes Störgefühl hervorrufen. Ihre feinkörnige Oberfläche aus eingefärbtem Sand bringt eine weitere Textur mit ins Spiel, über die man gerne einmal drüber streichen würde. Form, Oberfläche, Transformation – der Ausstellungstitel ist Programm.

»›Shapeshifting‹, also Gestaltwandlung, meint nicht nur die äußere Form«, erklärt Popp, »sondern auch innere Prozesse der Verwandlung – in der Kunst, in uns selbst.« Die Künstlerinnen arbeiten mit traditionellen wie experimentellen Techniken und loten das Spannungsfeld zwischen Figuration und Abstraktion, Gegenständlichkeit und Symbolik aus.

Gibt’s ein Lieblingswerk? »Nein«, kommt die prompte Antwort von Popp. «Sie harmonieren alle so gut miteinander – gerade in diesem Raum.«

Und tatsächlich: Die kleine Industriehalle erlaubt überraschende Blickachsen und lässt die Werke miteinander korrespondieren. »Von jedem Winkel aus entdeckt man etwas Neues«, sagt sie. «Wir konnten die Arbeiten so hängen, dass sie sich spiegeln, ergänzen, herausfordern.«


Kunst im Westen

Braucht Leipzig noch einen weiteren Kunstraum? «Unbedingt«, sagen Schenderlein und Popp ohne zu zögern. »Jeder neue Raum ist eine Bereicherung.« Vor allem in der Franz-Flemming-Straße, wo sich in den letzten Jahren eine lebendige Szene entwickelt hat. »Man unterstützt sich, vernetzt sich, entwickelt neue Formate. Das ist ein idealer Ort, um etwas zu starten«, sind sich beide einig. 

Für Schenderlein ist die Galerie ein Experiment mit offenem Ausgang – für Popp der nächste logische Schritt ihrer Karriere als Kunsthistorikerin. Eines ist klar: Die »Raw Lemon Gallery« bringt eine frische Note in Leipzigs Galerielandschaft. Und die Tour de Franz? Die bekommt damit ein neues Highlight.


> Vernissage, 23.5., 19 Uhr, Raw Lemon Gallery, Franz-Flemming-Str.9, 04179 Leipzig
> www.rawlemongallery.com


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