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Eine Familie bei der Kippe

Argentina und Maria aus Rumänien verkaufen am Lindenauer Markt

  Eine Familie bei der Kippe | Argentina und Maria aus Rumänien verkaufen am Lindenauer Markt  Foto: Christiane Gundlach


Es ist Donnerstag, zehn Uhr morgens am Lindenauer Markt. Wenn mal eine Straßenbahn kommt, ist es hier ziemlich ruhig. Nur wenige Menschen sitzen auf den Bänken, die meisten eilen geschäftig weiter.

Argentina steht vorm Eingang des Kauflands. Sie hat eine dicke Jacke an, denn die Sonne hat ihren Stammarbeitsplatz noch nicht erreicht. Ihren Verkaufsausweis trägt die Mittsechzigerin um den Hals. Einige Passantinnen und Passanten grüßt sie freundlich und streckt ihnen eine Kippe-Ausgabe entgegen, andere lässt sie vorbeigehen. Kaum jemand bleibt stehen.

Ein Mann tritt auf sie zu, beide unterhalten sich kurz, dann geht er weiter, in den Supermarkt. Eine Frau wechselt mit Argentina ein paar Worte, bevor auch sie wieder losmuss. Argentina streckt ihre Beine – und macht weiter.

»Der Lindenauer Markt ist wirklich gut«, sagt Argentina mehrmals heftig nickend und den Daumen hochhaltend, als wir sie zusammen mit ihrer Tochter Maria, die ebenfalls Kippe-Verkäuferin ist, und ihrem jüngsten Enkel auf dem Gelände der Kippe in der Plautstraße treffen. Die drei sitzen gemütlich in der Sonne. Elisei übersetzt für die beiden Frauen, die nur bruchstückhaft Deutsch sprechen. Der Zwölfjährige ist neugierig und aufgeweckt, während Mutter und Großmutter noch misstrauisch wirken. Man merkt, dass sie nicht oft im Mittelpunkt medialer Aufmerksamkeit stehen. Mitten im Gespräch fragt Maria noch mal nach, wofür das Ganze hier eigentlich sei, denn: »Im Fernsehen möchten wir nicht gezeigt werden.« Ein Zeitungsartikel sei jedoch in Ordnung, und so geht die Unterhaltung weiter.

Vor rund zehn Jahren sei die Familie – Maria und ihr Mann mit ihren Eltern und ihren drei Söhnen – gemeinsam aus Rumänien nach Leipzig gekommen. Argentina habe dann schnell als Verkäuferin bei der Kippe angefangen, Maria vor ungefähr acht Jahren. Sie verkauft am Konsum in Schleußig. Die Tochter ist die Dominantere, ihre Präsenz ist spürbar, ihr Blick unerschrocken. Immer wieder fällt sie ihrem Sohn ins Wort, kommt es zu hitzigen Wortwechseln auf Rumänisch. Daneben wirkt Argentina zurückhaltend, sagt kaum etwas, lächelt aber hin und wieder zustimmend. »Ihnen macht die Arbeit Spaß«, sagt Elisei, »sie treffen oft dieselben Leute. Inzwischen sind sie schon wie Freunde.« Maria und Argentina arbeiten fast täglich und verkaufen dabei jeweils zwischen zehn und zwanzig Hefte. Maria hat vorher in einem Hotel gearbeitet, aber »nach einer Operation ging das nicht mehr gut und ich bin zur Kippe gegangen, hier kann ich besser arbeiten«.

Mit der Zeit blühen die beiden Frauen auf, finden Gefallen am Interesse für ihre Geschichte. Auch Argentina öffnet sich; sie erzählt von ihren Sorgen abseits des Verkaufsalltags. Ob wir vielleicht wüssten, wo ihr Mann Arbeit finden könnte? Die beiden leben bei der Tochter, wünschen sich aber auf Dauer ein eigenes Zuhause. Für die Wohnungssuche wäre ein weiteres Einkommen hilfreich.

Bei der Verabschiedung bedanken sich die beiden Frauen mehrfach, Maria ist sichtlich stolz auf ihren Sohn, der das Gespräch ermöglicht hat. Vielleicht trifft man sich ja mal wieder, in Lindenau oder Schleußig.


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