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»Ich will doch nur leben«

Thomas Bach kam aus Mannheim nach Leipzig - und nach einem Schicksalsschlag zur Kippe

  »Ich will doch nur leben« | Thomas Bach kam aus Mannheim nach Leipzig - und nach einem Schicksalsschlag zur Kippe  Foto: Christiane Gundlach


Thomas Bach geht rüber zu seinem Auto und sieht, dass der kleine Yorkshire ausgeschlafen hat. Der große Mann lässt ihn auf die Wiese des Tagestreffs Insel in der Plautstraße laufen. »Er ist erst 17 Wochen alt, der läuft noch nicht weg«, sagt Bach und hebt ihn auf seinen Arm. Der Hund sei übrig geblieben aus einer inzwischen verflossenen Beziehung, erzählt er. »Aber das ist kein Grund zum Jammern, es geht immer weiter.« Bach holt sich in der Kippe-Redaktion seine Exemplare für die nächste Woche ab, er wird sie am Hit-Markt auf der Alten Messe und am Connewitzer Kreuz verkaufen. »Gute Plätze«, sagt er, »inzwischen mit vielen Stammkunden, und auch mit immer mehr jüngeren Käufern. Das ist schön.«

Arbeiten kann der gebürtige Mannheimer. Anfang 1989 schickte ihn die BASF als Chemielaboranten zu Robotron nach Dresden, damit er die DDR-Arbeiter in eine frisch importierte Galvanik-Anlage einarbeiten konnte. »Hätte ich geahnt, was in dem Jahr noch passierte, wäre ich gleich da geblieben.«

So dauerte es noch ein paar Jahre, bis Thomas Bach in den Osten zurückkam – und in Leipzig ein paar Neubaublöcke in Lößnig mitsanierte. Da hatte er den Job bei BASF schon an den Nagel gehängt, arbeitete in seinem zweiten Beruf als Klempner und lernte bald seine zweite Frau Roswitha kennen. Damals war er selbst Kippe-Stammkäufer, bei Henry vom Moritzhof, ließ ihn acht Jahre in seiner Gartenlaube wohnen. Und als Henry gestorben war, hatte es auch Bach langsam aus dem geregelten Leben rausgekegelt: Umschulung zum dritten Beruf als Zentralheizungs- und Lüftungsbauer, aber immer nur kleine Arbeiten, Minijobs. »Roswitha war krank geworden, und ich wollte sie nicht ins Heim geben. Aber wenn ich mich um sie kümmern wollte, konnte ich keine Vollzeitstelle mehr annehmen.« Also begannen beide, zusammen am Hit-Markt auf der Alten Messe die Kippe zu verkaufen. Nicht nur aus Geldnot, sondern auch, weil es Roswitha draußen auf der Straße bei den Leuten besser ging. »Natürlich wurde sie nicht gesund. Aber sie war stabil, sie musste in ihren letzten fünf Jahren nicht mehr ins Krankenhaus.« Vor zweieinhalb Jahren ist Roswitha dann plötzlich gestorben. Sie liegt im Friedwald unter einer Rotbuche – wie sie es sich gewünscht hat. Thomas Bach hat ihr einen Baum an der Tabaksmühle gespendet, das ist sein Platz für sie.

Jetzt nimmt er ab, passt auf seine Herzwerte auf und will in Leipzig bleiben: »Ich hatte es anfangs auch nicht leicht als Wessi im Osten, die ersten zwei Jahre hier waren hart. Die Ossis haben ihren Frust an mir ausgelassen.« Aber dieser »Ost-Spirit« habe ihm damals trotzdem schon gefallen: »Es ist auch immer noch viel davon zu spüren.« Drei Jahre noch bis zur Rente. Als engagierter Kippe-Verkäufer. Mit etlichen tausend Followern bei Tiktok. Mit warmen Klamotten für den Winter. Mit ein paar selbstgedrehten Zigaretten. Thomas Bach zuckt mit den Schultern: »Ich will doch nix mehr erreichen, ich hab alles. Ich will doch nur leben.«

Seine fünf Kinder sind groß und haben ihre Wege gefunden. »Nur Enkel haben sie irgendwie noch nicht hinbekommen«, sagt er lachend. Dann packt er seinen kleinen Hund ins Auto und fährt los. Es ist um zwölf und er hat heute noch nichts verkauft.


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