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Stadtleben

Sexarbeit im Dialog

Die Veranstaltungsreihe »Huren im Hause des Herrn« in der Peterskirche will mit dem Stigma brechen

  Sexarbeit im Dialog | Die Veranstaltungsreihe »Huren im Hause des Herrn« in der Peterskirche will mit dem Stigma brechen  Foto: Christiane Gundlach

1975 besetzten 150 Sexarbeiterinnen eine Kirche in Lyon, um für gleiche Rechte und gesellschaftliche Anerkennung zu kämpfen. Mit Vorträgen, Ausstellungen und Gesprächen feiern Sexarbeitende nun vom 1. bis 4. Juni in der Peterskirche mit der Veranstaltungsreihe »Huren im Hause des Herrn« 50. Jubiläum des Internationalen Hurentages.

In den letzten Jahrzehnten fühlten sich Sexarbeitende häufig übergangen, wenn politische Entscheidung ohne ihre Einbindung getroffen wurden. Doch inzwischen drängen Sexarbeitende in Räume, in denen sie selbst sprechen und ihr Wissen und ihre Expertise jenseits von Vorurteilen, Stigmatisierung und moralischen Debatten teilen. In Leipzig lädt die Veranstaltungsreihe »Huren im Hause des Herrn« in die Peterskirche ein, um ins Gespräch zu kommen. Organisiert wird sie vom »Bündnis Hurenaufstand 1975«, einem Zusammenschluss aus Sexarbeitenden – teils organisiert im Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen –, der evangelischen Pfarrerin Christiane Dohrn und Wissenschaftlerinnen.

Dass heute über Rechte, Schutz und gesellschaftliche Anerkennung von Sexarbeit gesprochen wird, ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Kampfes um Sichtbarkeit und Selbstbestimmung von Sexarbeitenden. Der Internationale Hurentag am 2. Juni erinnert an dessen Ursprung: Anfang Juni 1975 besetzten 150 Sexarbeiterinnen die Kirche Saint-Nizier in Lyon. Neun Tage lang protestierten sie gegen staatliche Repressionen und das Wegsehen bei Gewalt an Kolleginnen. Sie forderten, als Frauen ernst genommen und nicht länger in »Prostituierte« oder »Frau« geteilt zu werden. Auch Sexarbeiterinnen in anderen Städten schlossen sich dem Streik an. Nach der gewaltsamen Räumung durch die Polizei artikulierten Sexarbeitende auch in anderen Ländern ihren Anspruch auf Selbstbestimmung. Sie kritisierten die staatliche Verfolgung, widersprachen gängigen Vorurteilen und forderten politische Reformen. Dabei war ihr zentrales Anliegen, selbst über ihr Leben und ihre Arbeit entscheiden zu können.

Auch in Deutschland organisierten sich in den 1980ern erste Selbsthilfegruppen, die Beratung, Schutzräume und politische Forderungen vereinten. Ihr Anliegen: Veränderungen in der Sexarbeit dürften nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden, sondern müssten von ihnen selbst mitgestaltet werden. Doch die Gesetze in Deutschland zeugen noch heute von jahrzehntelanger Stigmatisierung von Sexarbeit.

Kriminalisierung durch Sittenwidrigkeit

In der DDR wurde Sexarbeit 1968 gesetzlich verboten und als »asoziales Verhalten« kriminalisiert. In der Bundesrepublik galt sie als sittenwidrig, was Folgen hatte: Sexarbeitende konnten ihren Lohn rechtlich nicht einklagen und waren weitgehend vom Sozialversicherungssystem ausgeschlossen. Eine freiwillige Krankenversicherung unter der Berufsbezeichnung »Prostituierte« war ebenso wenig möglich wie der Zugang zu Arbeitslosenhilfe oder Rentenansprüchen. Gleichzeitig mussten sie ihre Einkünfte versteuern, da ihr »sittenwidriges« Geschäft keine Steuervorteile haben durfte.

Zudem mussten sich Sexarbeitende einer verpflichtenden Untersuchung beim jeweiligen Gesundheitsamt unterziehen, ohne dabei entscheiden zu können, zu welchem Arzt oder Ärztin sie gehen. Bordelle bewegten sich in einer rechtlichen Grauzone, wodurch die Erstellung von Urlaubsplänen, Schichteinteilungen, Anweisungen über Arbeitskleidung aber auch die Schaffung einer gemütlichen Atmosphäre unter der Bezeichnung »Förderung der Prostitution« strafrechtlich verfolgt werden konnte.

Prostitutionsgesetz von 2002

Mit dem Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes im Jahr 2002 entstand erstmals eine rechtliche Grundlage für Sexarbeitende. In drei Paragrafen hielt der Gesetzgeber fest, dass Sexarbeit eine Dienstleistung ist, wodurch Sexarbeitende die Möglichkeit der Anmeldung einer gesetzlichen Kranken- und Sozialversicherung hatten. Mit dem Gesetz endeten die Zwangsuntersuchungen in Gesundheitsämtern und Sexarbeitende konnten erstmalig Lohn einklagen. Schon damals kritisierten Betroffene jedoch, dass Sexarbeit nicht vollständig ins Arbeits- und Sozialrecht integriert wurde.

Prostituiertenschutzgesetz von 2017

15 Jahre später trat mit 39 Paragrafen das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft, das eine Rechte und Pflichten für Sexarbeitende und den Betrieb von »Prostitutionsstätten« vorsieht. Es verpflichtet Sexarbeitende zur persönlichen Anmeldung bei einer Ordnungsbehörde und dazu, die entsprechende Bescheinigung ständig mitzuführen. Für die Anmeldung ist zudem ein regelmäßiges, verpflichtendes Gespräch beim Gesundheitsamt erforderlich. Fachberatungsstellen berichten von sich verschlechternden Arbeitsbedingungen durch das neue Gesetz: Viele sogenannte Terminwohnungen – Orte, an denen Sexarbeitende selbstbestimmt zusammenarbeiten – mussten schließen, weil sie die baurechtlichen Auflagen nicht erfüllten. Zudem entscheiden sich viele Sexarbeitende aus Angst vor der Registrierung, dem ständigen Mitführen des Scheins und der Komplexität des Gesetzes gegen eine Anmeldung – und geraten so in die Illegalität. Auch Sperrbezirke, in denen Sexarbeit verboten ist, wurden im Zuge des Gesetzes eingerichtet. In manchen Regionen bleibt den Sexarbeitenden dadurch nur noch der Ausweg in gefährliche oder abgelegene Gegenden – Schutz und Sicherheit, die das Gesetz eigentlich garantieren soll, bleiben so unerreichbar. Das Prostituiertenschutzgesetz wurde somit an den Lebensrealitäten vieler Sexarbeitenden vorbeigeplant.

Peterskirche in Leipzig als Ort des Austauschs

Was bedeutet es, gleichzeitig Mutter und Sexarbeiterin zu sein? Was ist der Unterschied zwischen Menschenhandel und Sexarbeit? Wer sind und was brauchen Sexarbeitende wirklich? Antworten darauf geben die, die es betrifft. Für die Aktivistin und ehemalige Sexarbeiterin Mia Rose sind die Aktionstage in der Peterskirche eine Chance für echten Dialog: »Wir brauchen gleiche Rechte, vor allem die Entkriminalisierung unserer Arbeit. Wir sind die einzige Berufsgruppe, die sich registrieren lassen muss, wodurch wir in unserer Berufsausübung eingeschränkt sind.« Mitorganisatorin und Sexarbeiterin Stella ergänzt: »Wenn wir sagen, dass wir als Huren arbeiten, wird das oft nicht als echte Arbeit anerkannt.« Obwohl Sexarbeitende selbstständig sind, also Marketing betreiben, Kommunikation mit Kundinnen und Kunden führen und ihre Buchhaltung organisieren, werden diese Kompetenzen kaum gewürdigt. Mia Rose betont: »Sexarbeit ist vielfältig und zwischen den Extremen in der Diskussion liegt die Normalität, über die kaum jemand spricht. Aber die Leute von dort können keine Auskunft geben aufgrund des Stigmas.«

Für Pfarrerin Christiane Dohrn kann die Kirche einen Raum bieten, in dem sich Menschen auf Augenhöhe begegnen und ins Gespräch kommen. Sie habe großen Respekt vor den Sexarbeitenden, die bei der Veranstaltung mitmachen: »Sich dem öffentlichen Gespräch zu stellen, aus der Anonymität zu treten und zu dem zu stehen, was sie tun – das ist eine enorme Kraftanstrengung.«

Stella erzählt, wie wichtig auch die Unterstützung von Fachberatungsstellen für sie sei. »Dort sitzt geschultes Personal, die wissen, wie man mit marginalisierten Menschen umgeht«, erzählt sie. Für sie bedeute die professionelle Unterstützung auch praktische Hilfe, etwa bei bürokratischen Fragen. Doch viele dieser Fachstellen kämpfen ums Überleben. So wie die Fachberatungsstelle Leila, die zur Aidshilfe gehört und aktuell Spenden sammelt, um ihre Arbeit in den kommenden Jahren fortzusetzen. Roxana Schwitalla von der Fachberatungsstelle in Leipzig bestätigt die strukturelle Ausgrenzung, von der auch Stella und Mia Rose berichten: »Sexarbeitsfeindlichkeit und Migrationspolitik erschweren die gesellschaftliche Teilhabe und führen zu Diskriminierung auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt, im Gesundheitssystem sowie im privaten Umfeld«, erzählt sie. Fachberatungsstellen wie Leila leisten Arbeit als Schnittstelle zwischen Sexarbeitenden, Politik und Gesellschaft. Sie beraten, begleiten, klären auf und das momentan unter prekären Bedingungen. »Um die Arbeits- und Lebensrealitäten zu verbessern, braucht es unbedingt die direkte Einbeziehung von Sexarbeitenden. Um diesen Prozess aktiv zu unterstützen, brauchen wir eine gesicherte Finanzierung«, sagt Schwitalla.

50 Jahre nach der Besetzung in Lyon wird erneut eine Kirche zum Ort der Solidarität im Kampf um rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Anerkennung von Sexarbeitenden. Dieses Mal stehen an ihrer Seite Fachberatungsstellen, Wissenschaftlerinnen, Behörden und eine Öffentlichkeit, die zuhört und vielleicht sogar nachfragt.


> Das Veranstaltungprogammfinden Sie hier


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