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Kultur

»Welch ein riesiges Abenteuer!«

Intendant Michael Maul über das diesjährige Leipziger Bachfest, das auch große Namen der Literatur bietet

  »Welch ein riesiges Abenteuer!« | Intendant Michael Maul über das diesjährige Leipziger Bachfest, das auch große Namen der Literatur bietet  Foto: Gert Mothes

Eine gigantische Vielfalt an Konzerten und Themen verspricht das diesjährige Bachfest unter dem Motto »Transformation«. Wir haben mit Michael Maul gesprochen, der seit 2018 Intendant des Festivals ist.

Im Unterschied zu den letzten Jahren ziert nicht E. G. Haußmanns berühmtes Porträt von Johann Sebastian Bach das Festivalprogramm, sondern ein Bild von Ritchie Riediger. Er verwandelt mittels Braun’scher Röhren Klänge in Grafiken. Ist in diesem Motiv auch ein Werk von Bach zu »hören«?

Aber ja. Wir haben hier ein passgenaues Motiv zu unserem Motto »Transformation«. Ritchie Riediger hat schon vor längerer Zeit ein System entwickelt, aus Klängen Grafiken zu gestalten und auf diese Art bereits eine Bach’sche Orgelfuge verwandelt. Bach hat zum Ende seines Lebens eine sehr komplizierte Fuge mit drei Kontrasubjekten konzipiert, in der das letzte eingeführte Thema aus den Noten B-A-C-H besteht. Somit hat er seinen eigenen Namen in Musik verwandelt. Diese Fuge ist die Grundlage des Titelmotivs. Es handelt sich bei der Grafik also um eine doppelte Transformation – weil Bach hier seinerseits schon eine vorgenommen hat, indem er seinen Namen zum Gegenstand einer Fuge machte, und Riediger diese nun in eine Grafik verwandelt hat.

Die »Transformation« rückt in der Dramaturgie des Festivalprogramms zum Beispiel spezielle Kompositionstechniken, Arrangements, Neutextierungen oder die Rekonstruktion verschollener Bachwerke in den Mittelpunkt. Steht das Fest selbst oder dessen Ausrichtung auch in einem Wandel?

Ganz klar: Ja. Im Zentrum stand die Frage, was wir intensivieren könnten, um das Prinzip eines internationalen Festivals mit den Geboten der Nachhaltigkeit zu vereinen. Leider ist das ein unauflösbares Problem, denn je internationaler ein Festival ist, desto größer ist sein CO₂-Fußabdruck. Viele unserer Gäste aus Übersee haben nicht die Möglichkeit, nachhaltig anzureisen. Nun haben wir beschlossen, den bisherigen Festival-Pass durch den »Klima-Pass« zu ersetzen. Besitzer eines solchen Passes freuen sich über 15 Prozent Ermäßigung bei den Ticketkäufen. Aber die Einnahmen aus dem Verkauf des Klima-Passes gehen zu 100 Prozent in den Bach-Wald – unser Herzensprojekt: ein Wald, den wir seit fünf Jahren am Westufer des Störmthaler Sees anpflanzen und stetig vergrößern. Zu unserem Nachhaltigkeitskonzept gehört auch, dass wir fast alle Künstler mindestens zweimal auftreten lassen. Denn so ergibt sich ein besseres Verhältnis zwischen Reiseweg und Aufenthalt.

Wir leben im Zeitalter der Digitalisierung. Neben digitalen Konzertübertragungen wird es beim Bachfest zum Beispiel auch Veranstaltungen mit Augmented Reality geben.

Das ist momentan mein aufregendstes Projekt. Dass aus Haußmanns Porträt ein sprechender, lebendiger, musizierender Bach wird, das ist eine Transformation, an die viele Musikliebhaber sicher bislang nicht einmal in ihren kühnsten Träumen geglaubt haben. Wir setzen diese Idee jetzt um. Welch ein riesiges Abenteuer! Dabei möchten wir den Komponisten natürlich nach bestem Wissen und Gewissen so realistisch wie möglich darstellen. Während der 54-minütigen Performance im Sommersaal des Bosehauses steigt unser virtueller Bach aus dem Bild und gibt ein launiges Gesprächskonzert. Diese Augmented-Reality-Produktion wird übrigens das Bachfest überdauern und künftig zweimal täglich laufen.

Es wird sogar eine »Queerpassion« geben: Bachs Johannespassion mit einem komplett neuen Libretto, geschrieben von Thomas Höft. Wie kam es dazu?

Die Queerpassion wurde bereits vor einigen Jahren in Utrecht uraufgeführt. Höft verwandelte die Texte in der Musik der Johannespassion, die ja die Passion, also das Leiden Jesu Christi, erzählen, in eine Darstellung weiterer Leidensgeschichten aus Vergangenheit und Gegenwart. Ganz konkret: furchtbare Leidensgeschichten von queeren Menschen. Im Prinzip macht Höft dabei nichts anderes, als Bach selbst oft getan hat: einen neuen Text unter alte, bereits existierende Noten zu setzen. Im Parodieverfahren entstanden übrigens weite Teile des Weihnachtsoratoriums. Ich fand Thomas Höfts Ansatz spannend. Unser Motto »Transformation« soll nicht zuletzt auch den modernen Umgang mit Bachs Musik zeigen. Darin ist inbegriffen, dass man die Wirkung seiner Musik in die Gegenwart holt und diese Wirkung nutzt, um andere Inhalte wirken zu lassen. Außerdem hat mir der Ansatz gefallen, dass fantastische Profis aus der Alte-Musik-Szene dafür mit zwei Leipziger Laienchören zusammenarbeiten. Zudem möchten wir auch Leute für Bach interessieren, die sich vorher vielleicht noch nicht mit seiner Musik auseinandergesetzt haben.

Was genau erwartet das Publikum bei der Lese-Reihe »Über Bach«?

Eigens für diese Veranstaltungsreihe im Paulinum wurden Texte von hochkarätigen Autorinnen und Autoren verfasst. Christoph Hein wird aus seinen eigens dafür geschriebenen Bach-Novellen lesen. Omri Boehm spricht über den Bach’schen Universalismus. Ian McEwan wird den jungen Bach und seinen Fußmarsch nach Lübeck beleuchten und auch Angela Steidele sowie Robert Schneider werden etwas eigens für das Bachfest Geschriebenes vorstellen. Musikalisch begleitet werden die Lesungen von den Preisträgern der Bach-Wettbewerbe 2024 und 2025. Das wird ein sehr spannendes Format!


> Bachfest »Transformation«: 12.–22.6., verschiedene Orte,

> www.www.bachfestleipzig.de


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