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Kultur

Schutzraum für neue Perspektiven

Im Grassi-Museum für Völkerkunde treffen sich regelmäßig PoC-Jugendliche, um den Ausstellungen ihre eigene Perspektive hinzuzufügen

  Schutzraum für neue Perspektiven | Im Grassi-Museum für Völkerkunde treffen sich regelmäßig PoC-Jugendliche, um den Ausstellungen ihre eigene Perspektive hinzuzufügen  Foto: Tom Dachs


In dem hellen großen Raum stehen Nähmaschinen auf den Tischen, bunte Stoffe sind darauf verteilt, die von Christian, Elenor, Mathilda und Sarah konzentriert bearbeitet werden. Die vier Jugendlichen treffen sich zweimal im Monat im Rahmen des Young Museum im Grassi-Museum für Völkerkunde. Heute werden Scrunchies genäht – also Zopfgummis. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussieht, hat es viel mit dem Versuch des Grassi-Museums zu tun, sich neuen Perspektiven zu öffnen.

Seit Ende 2022 gibt es deshalb das Young Museum in dieser Form. Am Anfang stand der Wunsch, einen Beirat zu etablieren, der jungen Menschen eine Stimme in dieser »alten« Institution gibt, wie Sabine Wohlfarth erklärt. Sie ist im Museum für den Bereich Bildung und Vermittlung zuständig: »2020 haben wir begonnen, Jugendliche anzusprechen, um ihre Themen aufzugreifen. Zum Beispiel über das Spielmobil. Wir haben aber schnell gemerkt, dass es besser ist, sich regelmäßig mit den gleichen Personen zu treffen.« Da kam der Zufall zu Hilfe. In einem Mehrzweckraum des Museums, der auch von externen Gruppen genutzt wird, gab es bereits einen Treff für PoC-Kinder. Das Angebot des Museums, diesen Treff mit dem Young Museum zu kombinieren, traf auf offene Ohren. Ein »Match made in Heaven«, nennt Wohlfahrt diesen Zufall. Das Museum profitiere sehr von dieser Zusammenarbeit. »Die Perspektiven junger PoC-Personen aus Ostdeutschland auf Ausstellungsinhalte und die Sammlungen geben Anstöße zum Umdenken, Neudenken oder Diskutieren.« Das alles soll den Raum für Diskussionen öffnen. »Und gleichzeitig ist es so toll zu sehen, wie selbstbewusst sich die Jugendlichen inzwischen hier in den Räumen bewegen.« Das Young Museum richtet sich explizit an People of Color ab 11 Jahre. Sie treffen sich etwa alle zwei Wochen und werden hauptamtlich von der Museumspädagogin Nathalie Geise begleitet, ehrenamtliche Leiterin ist Alexandra Koppo, die schon den Treff für PoC-Kinder initiiert hat.

Jedes Treffen steht im Zeichen einer Aktivität. Nicht immer muss das direkt etwas mit dem Museum zu tun haben: Die Gruppe hat auch schon Sushi selbstgemacht und den Film »Black Panther« geschaut – »Hier sind viele Marvel-Fans«, erklärt Geise mit einem Schmunzeln. Aber natürlich wird auch das Museum mit einbezogen: »Hier sollen große Themen greifbar gemacht werden. Deshalb bieten wir regelmäßig Workshops an. Und auch Filme wie ›Black Panther‹ können helfen, sich Themen wie Kolonialismus niedrigschwellig anzunähern.«

Im Moment sind fünf Jugendliche regelmäßig dabei. Wer dazu kommen möchte, kann die Gruppe erst mal kennenlernen, es ist kein offener Treff. »Hier muss man gut miteinander können«, erklärt Geise das Vorgehen. Dadurch ist eine Vertrautheit entstanden, in der sich die Jugendlichen öffnen können. »Wie doll man sich öffnet, ist jedem selbst überlassen«, erklärt Mathilda, »aber es ist ein Ort, um mit anderen Schwarzen Jugendlichen zu connecten. Ein Ort, an dem man sich sicher fühlen und über Erfahrungen sprechen kann.« Um diese Erfahrungen gut auffangen zu können, werden auch mal Referentinnen oder Referenten eingeladen. So wie beim Vorgespräch zum Thema Schutz im Rahmen der Ausstellung »Re:Opening #5«: »Wir haben schnell gemerkt, dass es für die Jugendlichen ein sensibles Thema ist, das wir als weiße Personen gar nicht auffangen können«, berichtet Wohlfahrt. Deshalb wurde David Zabel eingeladen, ein Bildungsaktivist und Sozialpädagoge, der selbst in Ostdeutschland aufgewachsen ist. Bei der Beschäftigung mit dem Begriff »Schutz« seien sie dann schnell aufs Thema Haare gekommen, erzählt Mathilda. Denn die Jugendlichen haben die Erfahrung gemacht, dass ihre Haare oft von Fremden angefasst werden, ohne dass sie vorher um Erlaubnis gefragt werden. Entstanden ist am Ende des Prozesses ein Bonnet – eine Haube für die Haare –, das die Jugendlichen selbst genäht haben. Es ist in der aktuellen Ausstellung im Grassi-Museum zu sehen. Der zugehörige Text gibt einen Einblick in die Gedanken der Jugendlichen: »Das Anfassen nervt uns – selbst, wenn wir vielleicht währenddessen lachen«, steht dort. Entstanden ist auch ein Podcast, der auf der Seite des Grassi-Museums abrufbar ist.

Nicht alle Workshops fließen direkt in Ausstellungen ein, Hauptsache sei, dass die Jugendlichen Spaß haben, erklärt Geise. »Aber die Projekte, deren Ergebnisse jetzt in der Ausstellung sind, sind natürlich besonders cool.« Die Arbeit der Gruppe zieht sich wie eine Spur durch die Ausstellungsräume. Manchmal sind es Gedanken zu Exponaten, manchmal partizipative Stationen wie eine Protestwand, an der Besucherinnen und Besucher eigene Gedanken aufschreiben können.

»Wenn ich an die Gruppe denke, denke ich an Sonnenschein«, erklärt Christian, der glücklich über sein selbstgenähtes Haarband ist. »Es ist lustig«, bestätigt Elenor. »Chaos«, trifft es für Sarah besser, alle kichern. »Es bringt Empowerment, sich mit anderen Schwarzen Teens über die Erfahrungen auszutauschen«, sagt Mathilda.

Für ihre Arbeit wurden die Jugendlichen bereits geehrt: Beim Zukunftsgut-Preis der Commerzbank erhielt das Young Museum als eins von zwölf Projekten 2.000 Euro. Es soll in Workshops und Projekte investiert werden.


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