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Kultur

Transformation durch Musik

Am vergangenen Sonntag endete das Leipziger Bachfest

  Transformation durch Musik | Am vergangenen Sonntag endete das Leipziger Bachfest  Foto: Bachfest Leipzig/Gert Mothes

Unter dem Motto »Transformation« feierte Leipzig mit über 200 Veranstaltungen vom 12. bis 22. Juni das Bachfest, dessen Veranstaltungen zu 90 Prozent ausgelastet waren. Besucher aus 53 Nationen konnten täglich von 9 Uhr morgens bis in die späten Abendstunden hinein Musik hören. Anja Kleinmichel besuchte für den kreuzer einige Veranstaltungen.

Jubelnder und anhaltender Applaus entlädt sich am Sonntagabend nach dem »Dona nobis Pacem« der h-Moll Messe in der Thomaskirche. In der Begeisterung mischen sich Dankbarkeit und Verehrung für Johann Sebastian Bachs Musik, für die herausragenden Interpreten Ton Koopman und sein Ensemble, das Amsterdam Baroque Orchestra and Choir, für die Sopranistin Hana Blažíková und die anderen Solisten. Inbegriffen ist in Applaus dieser Qualität während der vergangenen Tage immer auch Anerkennung für das Lebenswerk der Pioniergeneration der historischen Aufführungspraxis. Zu ihr gehört an vorderster Stelle ebenso John Eliot Gardiner, der mit seinen 2024 neu gegründeten Ensembles The Constellation Orchestra und The Constellation Choir zu erleben war.

In seinem zweiten Konzert in der Thomaskirche erklangen Kantaten zum 16. Sonntag nach Trinitatis, welche die Sehnsucht nach Transformation in ein nachirdisches Leben thematisieren. Geradezu soghaft wirkte Gardiners klangliche Realisierung, verbunden mit seinem untrüglichen Gespür für ideale Tempi im jeweiligen Raum. Die Natur Bachscher Musik lädt durch das ihr eigene Gleichgewicht aus komplexer Struktur, Harmonik und tiefem emotionalen Gehalt in besonderer Weise zu Kontemplation und geistiger Transformation ein. Insofern war das Bachfestmotto in elementarer Weise vielen außerordentlichen Konzerten natürlich eingeschrieben. Die Feier der Musik selbst wurde ermöglicht ebenso durch so außergewöhnliche Künstlerinnen und Künstler wie den Cellisten Jean-Guihen Queyras mit seiner Interpretation von Bachs Cellosuiten in der Thomaskirche oder die Sopranistin Dorothee Mields.In unerwarteter Weise demonstrierte sie die atemberaubende Wandlungsfähigkeit ihres Ausdrucksspektrums bis hin zu hochexpressiver, beklemmender Unmittelbarkeit durch ein kontrastreiches Programm, welches sowohl Arien von Bach als auch Schostakowitschs Sieben Romanzen op. 127 nach Texten von Alexander Blok einschloss.

Auch in diesem Werk ist es die Musik selbst, die den Zyklus symbolisch krönt, hier heißt es: »Musik, Beherrscherin der Erde! Der letzte Becher, den ich leere, sei noch in Demut dir geweiht!« Zu den wichtigsten Höhepunkten des Festivals gehörte selbstredend der Abend mit dem Pianisten András Schiff. Er spielte den gesamten zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers im großen Saal des Gewandhauses. Diesmal kam der Pianist ohne den eigenen Bösendorfer, an dessen warmen Klang sich Besucher seiner Konzerte während der letzten Jahre gewöhnen konnten. Musste er erst Freundschaft mit dem heller und schärfer klingenden hauseigenen Gewandhaus-Steinway schließen? Es brauchte eine Zeit, bis Schiff sich aus einer unerwartet heterogenen Manier mit streckenweise demonstrativen Passagen in seine legendär über den Dingen schwebende Spielqualität hineintransformiert hatte.

Menschliches Musizieren im Konzertraum ist nicht »erwartbar« oder berechenbar, bleibt fragil und flüchtig. In diesem Sinne kontrastierte das besondere »Highlight« der Saison gewaltig. Im Bachmuseum konnte man unter einer speziell entwickelte VR-Brille Bachs Avatar aus dem berühmten Hausmann Portrait steigen sehen. Sächselnd und Schnupftabak inhalierend gab dieser Anekdoten aus seinem Leben zum Besten. Etwas steif, arm an Mimik und behäbig, brachte es der transformierte Bach jedoch noch nicht fertig, seine Hände am Cembalo gründlich mit seiner eigenen Musik zu synchronisieren. Fraglich gelungen als Unterhaltung für Bachverehrer, möglicherweise geeignet als stabiler Spaß für Schulklassen jüngeren Alters. Gerade jetzt, wo die Schulkonzerte der Stadt Leipzig für die kommende Saison 2025/26 zusammengespart werden.

War der Bachfest-Jahrgang 2018 mit seinem legendären »Kantaten-Ring« in der Außenwirkung noch recht elitär und vor allem ein Fest für besserverdienende Kulturkonsumenten, wurde es unter dem Intendanten Michael Maul in den folgenden Jahren immer mehr ein Anliegen, das Festival einem breiten Publikum zu öffnen und Bachs Musik auch als gemeinschaftsstiftende Realität erfahrbar zu machen. In diesem Jahr integrierte man wiederum neue und aktuelle Themenkreise. In der Arabischen Passion fanden auf der Bach Stage vor dem Rathaus Bachs Musik und Klänge aus dem Nahen Osten zusammen. Mit der »QueerPassion«, einer mit komplett neuem Libretto überschriebenen Johannes-Passion, richtete man sich explizit auch an die Queer-Community. Neben Bachs zeittypischen Transformationen eigener und fremder Kompositionen im so genannten Parodieverfahren gab es zahlreiche Formate, in denen seine Musik neu arrangiert, im Jazzgewand oder auch in Begleitung von Text dargeboten wurde, wie beispielsweise bei »Bachs Faust« in Auerbachs Keller.

In der Veranstaltung »Blackbox Transformation« in der Oper Leipzig wurden drei Mitglieder des Ballett-Ensembles choreographisch aktiv. Die drei überraschend traditionellen Kurzballette setzten vor allem auf technische Perfektion, weniger auf kontrapunktische Durchdringung von Musik und Bewegung. Ausgerechnet hier büßten Bachs Kompositionen ihr immanent tänzerisches Potenzial ein. Vermutlich ließen sich ein Großteil der geplanten Bewegungsabläufe, welche auf detaillierter Dopplung von Rhythmen und Charakteren der musikalischen Grundlage basierten, nur im behäbigen Modus eines in die Vergangenheit der 50er Jahre hineintransformierten schwerfälligen Bachspiels realisieren. Musikalisch mussten die Musikerinnen und Musiker des Gewandhausorchesters unter Leitung von Yura Yang der Tanzkompanie hier zu weit entgegenkommen. Transformation war dennoch Thema im zweiten Kurzballett »Silent Battles«, hier stand Transgender im Mittelpunkt (Choreografie: Marcelino Libao). Im allgemeinen Kleider- und Rollentausch verschwammen dabei die Grenzen zwischen den Geschlechtern.

Das Gleichgewicht zu finden zwischen dem Sinn für das Wesentliche und einer Tendenz zur Eventisierung bleibt eine herausfordernde Aufgabe für die Bachfest-Planung kommender Jahre. »Wesentlich« würde dabei an erster Stelle die Bewahrung des Bewusstseins für den unersetzbaren Wert kostbarer Live-Aufführungen Bachscher Werke bedeuten.

Das Bachfest der Saison 2026 unter dem Motto »Im Dialog« findet vom 11. bis 21. Juni 2026 statt. Die zentrale Konzertreihe präsentiert dann die in einem Voting ermittelten beliebtesten 50 Bachkantaten, gespielt von weltweit führenden Ensembles Alter Musik und einer vollständigen Aufführung der Zyklen Clavierübung Teil I-IV durch Andras Schiff.


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1 Kommentar(e)

Ralf E. 25.06.2025 | um 10:23 Uhr

Kommerz - Mehr steckt hinter dieser Veranstaltung nicht mehr. Hohe Ticketpreise gepaart mit schlechten Service, im Grunde typisch für Leipzig!