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WSV im Rathaus

Der Stadtrat entscheidet über die Veräußerung von Teilen des Matthäikirchhofs

  WSV im Rathaus | Der Stadtrat entscheidet über die Veräußerung von Teilen des Matthäikirchhofs  Foto: Stefan Ibrahim


Puh – durchatmen. Sind Sie noch aufnahmefähig? Nach den zwei Monsterdiskussionen können ab 19 Uhr – fünf Stunden nach Beginn der Stadtratssitzung – nämlich nochmal ein paar Tagesordnungspunkte abgearbeitet werden. Einige CDU-Männer stampfen aus dem Saal, wahrscheinlich müssen sie vor der Tür Parteikollegen Lucas Schopphoven beruhigen. Der war kurz vorher hinausgestürmt, weil die Sitzung noch bis 21 Uhr dauern soll und er gestern schon bis 22 Uhr im Ausschuss saß. Diese Gen Z will einfach nicht arbeiten.

Baubürgermeister Thomas Dienberg (Grüne) eröffnet trotzdem sein Statement dazu, was für den Matthäikirchhof in der Innenstadt geplant ist, und schaut in viele müde Gesichter. »Wir hatten viel Vorlauf, aber nun wollen wir vom Planen in die Umsetzung kommen«, sagt Dienberg. Zum Verständnis: Der Matthäikirchhof ist die letzte große freie Fläche in der Leipziger Innenstadt und gehört größtenteils der Stadt. Die Gebäude stehen leer und müssen dringend saniert werden. Seit 2017 plant die Stadt dort ein »urbanes Viertel«. Dafür gab es mit Beteiligung der Öffentlichkeit den Entschluss eines Städtebau-Wettbewerbs. Der Gewinner steht seit Januar 2024 fest. Nun stellt Dienberg den Fahrplan vor: »Für die Umsetzung der ersten Bausteine, brauchen wir die Hilfe von Dritten.« Aufgrund der schwierigen Haushaltslage – Sie haben die Diskussion ja miterlebt – könne die Stadt das alleine nicht stemmen.

Den Partner will Dienberg durch ein Konzeptverfahren finden, der das Grundstück an der Ecke der großen und kleinen Fleischergasse entwickelt. Dafür muss dort das ehemalige Polizeigebäude abgerissen werden. »Ohne Abbruch«, das will Dienberg nochmal betonen, »kommen wir bei all diesen Vorhaben nicht voran.« Wie diesem Partner das Grundstück übergeben werden soll, da scheiden sich mal wieder die Stadtrats-Geister: Einige, vor allem die CDU, sind für den Verkauf des Grundstücks, andere, insbesondere die Grünen, für eine Vergabe per Erbbaupacht. Letzteres würde bedeuten, die Stadt wäre weiterhin Eigentümer des Grundstücks, jedoch nicht der Gebäude, die darauf gebaut werden. Dass die Stadt überhaupt wieder dazu übergeht, den Verkauf von Flächen in Betracht zu ziehen, bedeutet einen Paradigmenwechsel in Zeiten knapper Kassen. Jahrelang wäre das nicht infrage gekommen.

Die Stadtverwaltung bietet für den Matthäikirchhof einen Kompromiss: Sie möchte zuerst eine Vergabe per Erbbaupacht versuchen. »Auf dem Leipziger Immobilienmarkt gibt es Akteure, die langfristige Entwicklungen mit Erbbaupacht nicht scheuen«, sagt Dienberg. Sollte dieses Verfahren ergebnislos enden, hätte die Stadt immer noch die Möglichkeit alternativ zu verkaufen. Zusätzlich schlägt die Verwaltung einen Eigentümermix vor: Die LWB soll 50 Prozent der Wohnungen erhalten, 30 Prozent sollen Sozialwohnungen werden. Das sei ein wichtiges Signal in dieser Stadt, gibt Dienberg zu bedenken und appelliert an die Stadträtinnen und -räte dem Vorschlag zuzustimmen.

Das einzige SPD-Mitglied im Anzug, Marius Wittwer, findet, das sei ein kluger Schachzug: »Dieses weitgehend ungenutztes Areal ist die letzte größere Entwicklungsfläche, die sich noch im Eigentum der Stadt befindet.« Und der große, graue Stasi-Block, der darauf steht, das sei das Gegenteil eines gelungenen Stadtraums, findet Wittwer. Die einzige CDU-Frau im Poncho, Sabine Heymann, erinnert, dass die Stadt nicht die Kosten für den Abriss übernehmen solle, sondern der neue Eigentümer und kritisiert, dass der Plan noch nicht ganz ausgereift ist.

Der inzwischen zurückgekehrte Schopphoven muss nochmal beim Baubürgermeister nachfragen, wie das mit dem Erbpachtrecht gemeint ist. Zwei Stadtratsmitglieder flüstern sich in der letzten Reihe zu: »Was will der denn schon wieder?« Daraufhin der andere: »Der will noch was werden.« Schopphoven muss ein zweites Mal nachfragen, versteht dann doch und setzt sich brav auf seinen Platz zurück. Schließlich stimmt der Stadtrat dem Fahrplan mit 41 zu 17 Stimmen zu. Lucas Schopphoven enthält sich.


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