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Kultur

»Heute muss mal Richard ein paar Federn lassen«

Gewandhaus-Konzerteinführerin Ann-Katrin Zimmermann im Porträt

  »Heute muss mal Richard ein paar Federn lassen« | Gewandhaus-Konzerteinführerin Ann-Katrin Zimmermann im Porträt  Foto: Frank Schlößer


Auf dem Rechner von Ann-Katrin Zimmermann liegt ein Audiofile für den heutigen Abend: die Tannhäuser-Ouvertüre. Wuchtig, romantisch, ergreifend. »Ja, heut muss mal Richard ein paar Federn lassen«, kommentiert die Musikwissenschaftlerin, »vor allem die fremden, mit denen er sich so gern schmückt.« Es klingt beiläufig, aber es kommt von Herzen: Zimmermann mag auch Wagner – zumindest seine Musik. Die Hütte wird voll und natürlich sind auch diesmal die Stühle im Schumann-Eck im Foyer des Gewandhauses zuerst besetzt: Nur wer eine Stunde vor Konzertbeginn kommt, kann der Einführung in den Wagner-Abend des Orchesters zuhören. Es wird launig, unterhaltsam, informativ. Zimmermann holt in ihren Konzerteinführungen die Komponisten vom Sockel und erzählt längst nicht nur von deren Verdiensten. Viel Musik ist zu hören, die Fährten auslegt für intensives Erleben anschließend im Konzert. Und Ann-Katrin Zimmermann verrät, wo sich Komponisten ihre »Inspirationen« geholt haben. 

Seit heute Morgen um sechs sitzt sie an ihrem Schreibtisch in der »Dramaturgie« des Gewandhauses. »Ich kann morgens, bevor der Trubel beginnt, einfach am besten arbeiten«, sagt die schmale, drahtige Professorin. Natürlich wird sie auch selbst das Konzert besuchen, das gehört zum Job. Ein sehr langer Tag. Wie so oft. 

Für Ann-Katrin Zimmermann sind das glückliche Tage. »Ich mache hier das, wofür ich brenne«, sagt sie. Als sie im Januar 2013 erfuhr, dass sie die Stelle am Gewandhaus bekommt, war das für die Schwäbin einerseits der Sprung ins kalte Wasser und andererseits die willkommene Alternative zum Wissenschaftsbetrieb – kreativ, näher an der Kunst und an denen, die Musik machen und lieben. »Hier bin ich nicht Einzelkämpfer, sondern Teamarbeiter«, sagt sie fröhlich. »Und habe das Gefühl, noch mehr von dem einbringen zu können, was mir wichtig ist.« Wobei sie der Uni (in Tübingen) als Dozentin treu geblieben ist.

Musik als Beruf kam in ihrer Familie nicht vor. »Wir haben viel gesungen«, sagt Ann-Katrin Zimmermann. »Aber Sport war in der Freizeit genauso wichtig wie das Musizieren. In meinem Heimatstädtchen Ebersbach an der Fils gab’s ein naturwissenschaftliches Gymnasium und ich wollte Biologie studieren. Erst kam die Philosophie dazwischen und dann die Musikwissenschaft.« Mit musikalischer Praxis von der Blockflöte über das Klavier und die Orgel zum Fagott. Als Kirchenmusikerin, Chorleiterin, Musikschullehrerin und Kuratorin einer Instrumentensammlung. Promotion und Habilitation dabei irgendwie aus der Bewegung heraus. »Schreiben und Musik – das hab ich schon immer leidenschaftlich gern gemacht. Schreiben über Musik war für mich die perfekte Kombination und eine Herausforderung. Noch dazu in Leipzig, wo Musikgeschichte hinter jeder Ecke lauert! Nahezu alle Komponistenwaren mal irgendwann hier.« Mozart, Mendelssohn Bartholdy, die Schumanns, Wagner, Brahms, Bruckner, Tschaikowski, Mahler, Schostakowitsch … Und Bach? Hat sie etwa Bach vergessen? Ann-Katrin Zimmermann winkt ab: »Bach! Bach ist in Leipzig und für mich persönlich eh allgegenwärtig. Seinetwegen hab ich Orgel gelernt!«

Im Jahr 2022 meldeten sich plötzlich alte Freunde und fragten am Telefon: »Anni, stimmt das? Bist du das?« Ja, es hatte sich rumgesprochen: Ann-Katrin Zimmermann ist für einen Grammy nominiert. In der Kategorie »Best Album Notes«. Die sie geschrieben hat für die Aufnahme von Beethovens drei letzten Sonaten, gespielt vom koreanischen Pianisten Sunwook Kim im Kunstkraftwerk, hier in Leipzig. »Das war surreal«, sagt Zimmermann heute. »Eigentlich so ein schnell hingeworfener Text, den man lieber nochmal bearbeiten möchte. Und dann war ich eine der ganz wenigen Deutschen auf der Grammy-Liste 2022 – zusammen mit Hans Zimmer.«

Ihre Begeisterung für Leipzig hält an, auch weil hier alles kompakt beieinanderliegt. Egal, wo sie hinwill – es sind immer nur ein paar Minuten mit dem Rad. »Es gibt hier bunte musikalische Szenen, fantastische Bibliotheken, Ausstellungen – alles in gutem Mix von Aushängeschildern und Geheimtipps.« Und Musikgeschichte nicht nur zum Nachlesen, sondern zum Miterleben. Der Job bringt Themenvielfalt und gibt Gelegenheit, in die Tiefe zu gehen. »Mal ehrlich: Ich weiß nicht, ob ich mir freiwillig so viel Schostakowitsch auf einmal angetan hätte. Aber eine riesige Werkschau wie das Schostakowitsch-Festival im vergangenen Mai nutzt man als Chance, ihn umfassend zu erkunden – auch den Schostakowitsch, den wir vielleicht noch nicht kennen.« Unser Bild von ihm sei von wenigen populären Werken geprägt: »der Fünf, der Sieben, der Zehn, dem Streichquartett Nr. 8 – aber da gibt’s noch so vielmehr« – freilich auch einiges, was Ann-Katrin Zimmermann unter »gutem Handwerk« und »effektvoller Propaganda« einordnet. 

Gibt es eigentlich klassische Komponisten, deren Musik sie nicht mag? Ann-Katrin Zimmermann muss länger nachdenken. »Ich kann fast allen was abgewinnen.« Sie zuckt mit den Schultern. »Aber von einigen werde ich schnell satt. Sorry, aber süßlich-seichte Schunkelklassik vertrag ich nur gering dosiert.« 

Ihr schönster Platz in Leipzig liegt gar nicht in der Stadt. »Ich radle raus zum Werbeliner See –Laufen, Fotografieren, den Vögeln zuhören. Schwimmen darf man dort ja nicht. Eigentlich.« Das ist der Ausgleich. Irgendwie habe auch das mit Musik zu tun und sei einfach nötig, wenn man nicht verbrennen will mit der Sache, für die man brennt.


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