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Kultur

Ins Dunkle verdrängte Vergangenheit

Zum dritten Tag der Filmkunstmesse Leipzig 2008

  Ins Dunkle verdrängte Vergangenheit | Zum dritten Tag der Filmkunstmesse Leipzig 2008

Zwei Schauspielerinnen beherrschten mit ihrer Leistung den gestrigen dritten Tag der Leipziger Filmkunstmesse: In »Novemberkind« begeisterte Anna Maria Mühe mit sympathischer Unverblümtheit, während in »So viele Jahre liebe ich dich« Kristin Scott Thomas mit fesselndem Spiel überzeugte.

»Novemberkind« ist eine eindringliche Spiegelung tragischer Ereignisse in der späten DDR, die einen Bruch durch eine Familie ziehen. Die junge Inga lebt bei ihren Großeltern im Glauben, ihre Mutter wäre in der Ostsee ertrunken. Als ein westdeutscher Fremder in ihrem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern auftaucht und von seiner Begegnung mit der Mutter erzählt, macht sie sich mit seiner Hilfe gen Westen auf die Suche nach ihr.

In parallelen Sequenzen werden die Suche Ingas und die Fluchtodyssee ihrer Mutter verwoben und offenbaren nach und nach das Ausmaß der Tragödie und den Kampf, den Inga mit sich und ihrer Vergangenheit ausfechten muss. Anna Maria Mühe in der Doppelrolle von Mutter und Tochter erfreut mit einem bemerkenswert authentischen, frischen Stil und trägt den Film mit herrlich sympathischer Unverblümtheit.

Ein Übriges tut die schnörkellose Inszenierung von Christian Schwochow, der in seinem Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg storytechnische Gradlinigkeit und sensible Charaktergestaltung mit schön fotografierten, stilistisch angenehm zurückhaltenden Bildern verbindet. Dabei erzählt er eine intensive Selbstfindungsgeschichte in einem unaufgeregten Wendefilm weitab von (N)Ostalgie und Vergangenheitsverteufelung.

Szene aus »So viele Jahre liebe ich dich«
Im Debütfilm des französischen Schriftstellers Philippe Claudel, »So viele Jahre liebe ich dich«, wird die junge Léa ebenfalls mit ihrer längst ins Dunkle verdrängten Vergangenheit konfrontiert, als ihre ältere Schwester Juliette nach 15 Jahren Haft wegen Mordes aus dem Gefängnis entlassen wird und bei ihr und ihrer Familie einzieht. Die anfängliche gegenseitige Distanz und Kälte weicht auf und legt aber nun alles Ungesagte, Verheimlichte und Vergessene zwischen beiden offen.

In faszinierender Kleinarbeit, mit dem Blick für die Details, ohne aber ins Banale auszuufern, zeichnet Claudel die Annäherung Juliettes an ihre Umwelt und ihre Schwester nach. Er ist ganz auf seine großartige Hauptdarstellerin Kristin Scott Thomas konzentriert, die in ihrer inneren Zerrissenheit zwischen Schuld, Anklage und Lebenslust in einem fesselnden Spiel die Leinwand beherrscht.

Ganz seinem literarischen Stil vertrauend ist es das Unausgesprochene, das in Gesten und Blicken Ausgedrückte, das diesem Film eine spannende Faszination verleiht. Dabei betreibt der Regisseur keine angestrengte Suche nach Antworten oder nach dem Begreifen des Unfassbaren, sondern fragt nach der Möglichkeit von Vertrauen, um das innere Eingesperrtsein überwinden zu können.


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