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off campus – Die zweite Woche

Der neue Blog auf kreuzer online von Tobias Bernet. Teil 2: Unser Schiff werden sie nicht entern

  off campus – Die zweite Woche | Der neue Blog auf kreuzer online von Tobias Bernet. Teil 2: Unser Schiff werden sie nicht entern

Im Sommer zog Tobias Bernet mit Freunden von Zürich nach Leipzig-Lindenau. Den WG-Alltag und das Studentenleben in der neuen Stadt beschreibt der 23-jährige Gaststudent ab jetzt wöchentlich auf kreuzer online.

Im Sommer zog Tobias Bernet mit Freunden von Zürich nach Leipzig-Lindenau. Den WG-Alltag und das Studentenleben in der neuen Stadt beschreibt der 23-jährige Gaststudent ab jetzt wöchentlich auf kreuzer online.

Teil 2: Unser Schiff werden sie nicht entern

Die Nachricht ging durch die lokalen Medien, noch nicht eindringlich genug, aber immerhin, viele werden es mitbekommen haben: Die NPD hat in Lindenau ein Büro eröffnet.

Ich behaupte von mir selbst, ich sei ein politischer Mensch, also kann ich nach dem ersten Blog-Beitrag, der quasi in »Pilot«-Funktion schon länger geschrieben war, nicht gleich wieder so ein harmloses Alltagstextchen bringen – ich hätte etwas über Mayonnaise geplant gehabt – sondern muss mich mit dieser Sache, die sich in unmittelbarer Nähe meines Wohnorts ereignet, befassen.

Ich bin eben erst hierher gezogen, ich fühle mich ein bisschen wie ein Matrose, der auf einem Schiff neu angeheuert hat. Das Schiff ist ziemlich abgewrackt, es hat offensichtlich einiges mitgemacht, dadurch aber eben auch einen unverwechselbaren Charakter gewonnen, einen ganz eigenen Charme. Das gefällt dem Matrosen und die bunt gemischte Besatzung erscheint ihm vertrauenswürdig. Also steigt er ein, die Fahrt geht los und es herrscht ein günstiger Wind. Aber kaum hat der alte Segler abgelegt, heißt es: So Junge, jetzt gleich mal hinter die Kanonen, Piratenangriff.

Nein, halt, das Martialische gefällt mir nicht; gegen eine Ideologie der Gewalt helfen Kanonen sicherlich nicht. Und die Gefahr erscheint in diesem Bild übertrieben. Die »Lindenau« ist nicht unter Beschuss. Sie schwankt wohl merklich ...»nec mergitur«. Keine Ahnung, wieso ich weiß, dass das die zweite Hälfte des Wahlspruchs der Stadt Paris ist und zusammen mit der ersten, die ich nachschlagen musste – »fluctuat« – auf Lateinisch »es schwankt, doch geht nicht unter« bedeutet. »Es« ist das Schiff im Wappen der Stadt, weiß auf rot. Es sieht ein bisschen aus wie das kreuzer-Logo.

Nec mergitur also, aber ein bisschen geschockt sind hier viele schon von diesem Versuch der Rechtsextremisten, im Viertel Fuß zu fassen. Beim Treffen der Bürgerinitiative Plagwitz/Lindenau wurden ein paar sehr unappetitliche Dinge berichtet. Aber die Schiffscrew, vertreten in ihrer ganzen Vielfalt, schmiedete auch schon eifrig Pläne, um den Neonazis öffentlich klar zu machen, dass sie hier absolut unerwünscht sind. Die Bürgerinitiative organisiert eine Kundgebung auf dem Lindenauer Markt. Andere Gruppierungen unterschiedlicher Couleur haben seit der Eröffnung des NPD-Büros schon mehrmals demonstriert und das Theater der jungen Welt, keine hundert Meter von diesem entfernt gelegen, lädt für Januar bereits zu einem »offenen Haus« unter dem Motto »Farbe bekennen« ein.

Das Perfide am Versuch, rechtsextremes Gedankengut in einem Stadtteil wie Lindenau zu verbreiten, ist, dass er von den eigentlichen Problemen ablenkt. Zwar gibt es auch den Standpunkt, das beste Vorgehen gegen die Rechtsradikalen sei es, ihnen durch schlichtes Ignorieren jede Aufmerksamkeit zu entziehen – aber damit macht man es sich ein bisschen einfach. Es wäre nicht richtig, diese Provokation unbeantwortet zu lassen, Man muss aus Gründen des politischen Gewissens Zeit, Energie, Nerven und Hirnzellen aufwenden – und, eben, eine Blog-Woche opfern – für ein Thema, das man vielleicht persönlich nicht besonders spannend, sondern einfach nur deprimierend findet. Rechtsextreme Ideen sind alles andere als Heilung für die Krankheiten der Gesellschaft, sondern vielmehr Symptome davon. Und eigentlich interessiert mich das Pestbakterium, nicht die Eiterbeulen.

Lindenau is(s)t auch ausländisch: <br>Vorstufe von Hummus in unserer Küche.
Denn auch wenn die falschen Antworten Lindenau von außen aufgedrängt zu werden scheinen, die Fragen stellen sich hier durchaus – die Widersprüche und Ungleichheiten in einer modernen, urbanen Gesellschaft begegnen einem an jeder Ecke. Das, unter anderem, zog mich hierher – einen Ethnologiestudenten, der seiner Alma mater in Zürich noch eine Abschlussarbeit schuldet und sich mehr für europäische Städte interessiert als für die vermeintlich typisch ethnologischen, möglichst exotischen Forschungsfelder.

Als mein heutiger Mitbewohner Jo und ich Leipzig vor knapp zwei Jahren für uns zu entdeckten begannen, fiel dieses akademische Interesse mit einem aufregenden Gefühl von »Hier kann man noch was machen!« zusammen. Wenn man aus einer bis auf die letzte Besenkammer zu horrenden Preisen vermieteten Stadt wie Zürich kommt, spricht einem aus dem hier nach wie vor verbreiteten Leerstand nicht in erster Linie eine Vergangenheit an, die untergegangen ist, sondern eine Zukunft, die sein könnte. Ein Kulturprojekt beispielsweise, Platz dafür gibt’s im alten Ladenlokal gleich unter der eigenen Wohnung, für einen Mietpreis, bei dessen Nennung jeder Besuch aus der Schweiz erst einmal Unglauben bekundet. Und der Versuch, einen Raum für Kultur und Begegnung zu schaffen, wird sich hier – anders als an anderen Orten, auch innerhalb Leipzigs – nicht wie Eulen nach Athen tragen anfühlen. Im Gegenteil: Ein solcher Raum, wenn er nicht von vornherein zu »studentisch« wirkt, sondern echte Offenheit signalisiert, könnte vielleicht einen bescheidenen Beitrag zu einer Entwicklung des Stadtteils leisten, die alle mitzunehmen versucht, und nicht von Ausschlussdenken und Hetze geprägt ist. Eben: Nicht ablenken lassen. Nicht an die Kanonen, sondern die Segel drehen, so dass das Piratenschiff, wenn es hinterher zu manövrieren versucht, von einem starken Gegenwind gestoppt wird.

Die allererste Lobpreisung Leipzigs, die damals Jos Ohren erreichte, kam von einer befreundeten Zürcher Band, die hier aufgetreten war: »Die Leute gehen nirgendwo sonst so ab.« Davon konnte ich mich vor ein paar Wochen beim Egotronic-Konzert im Conne Island selbst überzeugen. Die Bühne war nach wenigen Songs gestürmt, die Mehrheit der Anwesenden konnte alle Texte auswendig und brüllte begeistert mit – auch »nie wieder Deutschland«. Ich fragte mich, ob dieser antinationalistisch gemeinte Slogan nicht auch irgendwie ein Das-Feld-Überlassen sei und erinnerte mich an einen anderen Song, ein Stück eines etwas obskuren linken Rappers, der mir selber nur ein Begriff ist, weil er an den G8-Demos in Rostock im vorletzten Juni, zu denen Jo, Constantin und ich gefahren waren, seine CDs selbst vertickte. Darauf nimmt er sich das pseudointegrative Stadtortbekenntnis »Du bist Deutschland!« vor, wobei die Tonalität des Textes nach den vorhersehbaren Anwürfen – »Du bist Deutschland ... – wie ein Euro für Sammeln von Laub...« – plötzlich ins Gegenteil kippt: »... Deutschland – so wie Rosa und Karl ...«

Deutschland, Leipzig, Lindenau – so wie die Buchkinder deren vor Phantasie sprühende Werke man hier in einem Schaufenster bestaunen kann. So wie der Algerier, der mit einer gefühlten Wochenarbeitszeit von 100 Stunden einen tollen Imbiss betreibt. So wie der Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, dessen Name die Straße trägt, in der ich wohne. So wie Hans, der oft an einer Ecke dieser Straße steht, dem Tag beim Vergehen zuschaut, ein paar Bier trinkt, der einen gewaltigen Schicksalsschlag erlebt hat, seither mit dem Alkohol kämpft, dazu steht und sich von beidem nicht hat unterkriegen lassen. So wie die vielen Leute, jung und alt, deutsch und ausländisch, die diesen Freitag an der erwähnten Kundgebung auf dem Lindenauer Markt tatsächlich teilgenommen haben.


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