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off campus – Die siebente Woche

Der neue Blog auf kreuzer online von Tobias Bernet. Teil 7: Noch neuere Leipziger Schule

  off campus – Die siebente Woche | Der neue Blog auf kreuzer online von Tobias Bernet. Teil 7: Noch neuere Leipziger Schule

Im Sommer zog Tobias Bernet mit Freunden von Zürich nach Leipzig-Lindenau. Den WG-Alltag und das Studentenleben in der neuen Stadt beschreibt der 23-jährige Gaststudent ab jetzt wöchentlich auf kreuzer online.

Im Sommer zog Tobias Bernet mit Freunden von Zürich nach Leipzig-Lindenau. Den WG-Alltag und das Studentenleben in der neuen Stadt beschreibt der 23-jährige Gaststudent ab jetzt wöchentlich auf kreuzer online.

Noch neuere Leipziger Schule

Vier Ideen für Installationskunst nach fünf Monaten Leipzig

1. »Fünf Jahre Trinken«: Das Haus, in dem ich wohne, stand vor dem Einzug unserer WG ungefähr fünf Jahre lang vollständig leer. In dieser Zeit muss jemand mit hoher Zuverlässigkeit mindestens alle zwei Wochen eine Ein-Deziliter-Schnapsflasche durch das Eisengitter in den Schacht vor der Haustür geworfen haben. Als wir im vergangenen Herbst begannen, den Keller aufzuräumen und dabei auch besagten Schacht ausschaufelten, stellten jene Fläschchen den Hauptbestandteil des sich darin befindlichen, mehrere Kubikmeter unfassenden Müllbergs dar. Weit über hundert – ungelogen!

Wilthener Goldkrone, Meyers Klarer (sehr beliebt), Wollbrink Goldsiegel und wie sie alle heißen. Ich habe sie in Müllsäcke abgefüllt und lagere diese zurzeit im Treppenhaus. (Und bin froh um die Toleranz meiner Mitbewohner, die diesen, auf den ersten Blick nicht unbedingt als solchen erkennbaren Schatz schon mehrfach aus dem Weg räumen mussten und trotzdem noch nicht weggeworfen haben.) Ich habe Gummihandschuhe gekauft, um die Fläschchen sorgfältig reinigen zu können, damit die Etiketten nicht abgehen und diese bunte Vielfalt der Absturzmöglichkeiten sichtbar bleibt, wenn ich die Flaschen dereinst zu einem Wandbild oder – eine Idee meines Mitbewohners Jo – einem Kronleuchter verarbeite. Ich komme bald mal dazu, sicher...

Übrigens: Nachdem der Schacht geleert war, verschloss ich die Lücken im Gitter darüber mit Maschendraht. Jetzt liegen die Schnapsfläschchen regelmäßig ein Stück nebenan. Mein unbekannter Material-Mäzen (eigentlich erstaunlich, dass ihn noch keine und keiner von uns je gesehen hat) führt seine Sitte also fort, das gibt dem Ganzen ein interessantes kommunikatives und zeitliches Element. Das Wandbild könnte also stetig anwachsen, wobei neue Beutestücke jeweils mit dem Funddatum versehen würden.

2. »Historischer Hausschrein«: Eine hübsch komponierte Ecke mit allen anderen interessanten Hinterlassenschaften, die sich in den Tiefen des Kellers und anderswo fanden. Beispielsweise das vergilbte »Journal – 10 Konten – 48 Blatt« des Schmuckladens (»13. 2. 1973, Tageseinnahme 1216.07«). Das Merkblatt »Wie pflegt man Wellensittiche?«, herausgegeben von der in der anderen Hälfte des Erdgeschosses gelegenen Zoohandlung (»Beim Flug im Zimmer entfaltet er erst richtig sein drolliges Wesen, macht allerlei harmlosen Unfug und trägt so zu vielen heiteren Stunden bei...«). Oder das große Holzschild, auf dem die damaligen Bewohner aller Stockwerke säuberlich verzeichnet sind, dazu ein »Hausbeauftragter« und ein »Straßenbeauftragter«, bei denen es sich trotz maskulinen Substantivs um zwei Damen handelte, die zudem kurioserweise auch beinahe den gleichen Namen hatten. War sicher praktisch für die Stasi, so eine Übersicht.

3. »Zoo Lindenau«: Bei der Tramhaltestelle Angerbrücke gibt es tatsächlich eine Brücke. Diese kann man jedoch fast nur wahrnehmen, wenn man eben nicht Tram fährt, sondern sich von der Haltestelle aus zu Fuß oder mit dem Rad in Richtung Lindenauer Markt bewegt. Auch mich musste Jo, ein Bei-jedem-Wetter-und-überall-Radfahrer, darauf aufmerksam machen, dass es sich durchaus lohnt, diese Strecke einmal mit eigener Muskelkraft zu bewältigen. An dem kleinen freiliegenden Stück eines nicht einmal auf meinem Stadtplan verzeichneten Baches, das man dabei überquert, tummeln sich nämlich nicht nur Enten, sondern auch putzige Wasser-Nager, von denen ich mir auch nach intensiver Internet-Recherche nicht sicher bin, ob es sich um Bisamratten oder Nutrias (auch Biberratten genannt) handelt. Zoologisch Kundige dürfen sich gerne bei mir melden. Jedenfalls sind diese Tiere einerseits von Nutzen für Leute, die ihnen augenscheinlich ihren Biomüll zum Fraß vorwerfen, andererseits eine große Attraktion für kleine Kinder. Ich habe schon öfter welche mit fasziniertem Blick dort stehen sehen, eine Hand in der der Mutter, die andere am Brückengeländer. Dieses Geländer würde sich bestens zur Installation von Info-Tafeln eignen: Eine über die Enten, eine über die Nager sowie – das war wiederum Jos Idee – ein Schild »Zum Elefantengehege«, das in Richtung des eindrucksvollen Gitterzauns des Straßenbahnhofs weist.

Sternburg all the way: straßenkünstlerische Installation
4. »Sternburg all the way«: Bei den oben erwähnten Schnapsfläschchen waren die Deckel in den meisten Fällen erstaunlicherweise wieder draufgeschraubt; für die Kronenkorken von Bierflaschen haben Trinker in unserer Straße (wie auch anderswo in Leipzig, wo ich dieses Phänomen schon beobachtet habe) jedoch eine spezifische Verwendung: Sie werden auf den etwas weicheren Straßenbelag gelegt, in den die Tramschienen eingelassen sind, und bilden dort, einmal von der Bahn überrollt, mit der Zeit meterlange Muster. Diese Installation haben also Leute, die sich selber wahrscheinlich überhaupt nicht als Künstler verstehen, bereits gemacht, und einer, der anders als ich tatsächlich eine künstlerische Ausbildung genießt, machte mich darauf aufmerksam, das man auch so etwas als »Intervention in den öffentlichen Raum« verstehen kann. Mir bleibt in diesem Fall also nur noch, die Sache zu dokumentieren (siehe Foto).

Bei den anderen Ideen habe ich den Vorteil, dass ich nun, da sie publiziert sind, jederzeit meinen Anspruch auf die Urheberschaft behaupten kann, auch wenn ich es noch ewig vertrödle, sie wirklich durchzuführen.


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