Letzten Sommer zog Tobias Bernet mit Freunden von Zürich nach Leipzig-Lindenau. Den WG-Alltag und das Studentenleben in der neuen Stadt beschrieb der 23-jährige Gaststudent wöchentlich auf kreuzer online. Nun ist es an der Zeit, sich wieder intensiver dem Studium zu widmen.
Letzten Sommer zog Tobias Bernet mit Freunden von Zürich nach Leipzig-Lindenau. Den WG-Alltag und das Studentenleben in der neuen Stadt beschrieb der 23-jährige Gaststudent wöchentlich auf kreuzer online. Nun ist es an der Zeit, sich wieder intensiver dem Studium zu widmen.
Geschichtsphilosophie aus den Schweizer Bergen
Liebe Leserinnen und Leser, kennt ihr den? Drei Schweine stehen auf einem Feld, eine Krähe fliegt über sie hinweg. Sagt das erste Schwein: »Ich wünschte, ich wäre eine Krähe, dann könnte ich fliegen.« Sagt das zweite Schwein: »Ich wünschte, ich wäre zwei Krähen, dann könnte ich hinter mir selber herfliegen und mir beim Fliegen zusehen.« Sagt das dritte Schwein: »Ich wünschte, ich wäre drei Krähen, dann könnte ich mir zusehen, wie ich hinter mir herfliege und mir beim Fliegen zusehe.«
So erklärte einmal ein gewitzter Professor in einem Seminar, das ich besuchte, das menschliche Empfinden in der als Post-, Nach- oder Spätmoderne betitelten Jetztzeit. Und auch ich bin so ein drittes Schwein, das sich ständig auf der selbstreflexiven Metaebene suhlen muss. Wie wohl fast jede und jeder Schreibende würde ich ja so gerne öfter reine, nüchterne, pure Texte vorlegen, die Erlebnisse, Gedanken oder Gefühle sauber und akkurat in Worte fassen, hinter denen der Autor völlig verschwindet ... Aber das geht nicht. Man denkt beim Schreiben immer auch über das Schreiben nach und schreibt somit oft auch über das Schreiben. Dann zum Abschluss lieber noch mal ganz offen: Hiermit wird dieser Blog selbst thematisiert.
Ich bin ja immer wieder mal ins Lebensfern-Möchtegernintellektuelle abgedriftet, das letzte Mal besonders eindeutig. Ich sollte hier aber eigentlich keine Texte veröffentlichen, die jeder schreiben könnte, der einfach nur die gleichen Zeitungen liest wie ich. Denn die Idee der ganzen Sache war ursprünglich viel mehr: Berichte aus dem Leben eines Austauschstudenten. Und ich hab’s ja versucht, habe die putzigen kleinen Alltags-Kulturunterschiede unter die Lupe genommen und so weiter. Aber mit der Zeit bin ich wohl ein wenig zurückgeschreckt vor der Erwartbarkeit – um nicht zu sagen Klischeehaftigkeit – dieser endlosen Vergleiche: »Oh, das ist hier ja ein wenig anders als in der Schweiz, jaja, wie amüsant, haha.« Also habe ich über das eine oder andere Thema geschrieben, das man vielleicht an dieser Stelle nicht unbedingt erwartet hätte – und das vielleicht auch nicht wirklich hier hin gehört hätte. Und habe trotzdem kleine Bezüge zur »Tobi-in-Leipzig«-Grundidee einzubauen versucht, die mir jedoch manchmal selbst reichlich bemüht erschienen.
Aber hättet ihr, liebe Leserinnen und Leser, diesen kolumnentypischen Egozentrik-Stil lieber gehabt? Ein paar halbbetrunkene Partygespräche wiedergeben, ein bisschen Geplaudere aus dem Sex-Nähkästchen? Ist doch alles schon hundertfach dagewesen. Das ist auch so ein typisches »Problem« im Zeitalter des Dritten Schweines.
Es ist ja nicht so, dass ich zu wenig erleben würde. Aber über manches könnte ich eben nicht schreiben, ohne dass ich mir dabei wie ein von sich selbst eingenommener Langweiler vorkommen würde. Ein einziges Leben wird, auch wenn sich das niemand gern eingesteht, mit der Zeit ein wenig vorhersehbar. Gekonnt formuliert dies das Singer-Songwriter-Duo Lord Lillebror, das ich vor einer Weile auf einer Party in einem Wächterhaus hörte: »Man ist sich einer Meinung im studentischen Untergrund.«
Und aus dem sollte ich ohnehin endlich mal ein bisschen raus. Darauf hat mich ironischerweise die Wissenschaft gebracht. Ich habe mit meiner Professorin in Zürich das Konzept für meine Forschungsarbeit besprochen und dabei gemerkt: Ich kann noch viele kluge Bücher lesen, aber jetzt muss auch mal so richtig die genuin ethnologische Feldforschung intensiviert werden. Wenn ich dem Umgang mit der Stadtentwicklung in Leipzig unter unterschiedlichen sozialen Vorzeichen auf die Spur kommen will – dies eine sehr grobe Formulierung meiner Idee – dann muss ich beginnen, mehr unterschiedliche soziale Gruppen kennenzulernen. »Go everywhere, see everything, overhear everyone«, formulierte einst ein Pionier der Stadtforschung. Also auf zu den Arbeitsämtern und Amtsstuben, zu den Bolzplätzen, Trödelläden und Essensausgaben. Es wird Frühling, da streunt sich’s auch wieder besser durch die Stadt.
Ich habe ja eigentlich noch kaum eine Ahnung von Leipzig. Ein halbes Jahr in einer fremden Stadt sei viel zu kurz, formulierte mein Blog-Vorgänger einst auf dieser Seite. Zum Glück bleibe ich noch. An der kreuzer-Blog-Front werde ich hingegen abgelöst von den neuen Weltmeere-Tagebüchern. Recht so, denn wie gesagt, ich sollte mich ohnehin auf meine »richtige« Forschung konzentrieren. Deshalb nicht an dieser Stelle, sondern vielleicht in einem guten Jahr in Buchform mein ethnographischer Blick auf Leipzig. Wer einen Beobachtungs-Tipp hat, darf gerne ein letztes Mal die offcampus-Mail-Adresse benutzen.
Es gibt noch so viel zu entdecken in dieser Stadt. Ich bin ja eigentlich gerade erst angekommen.