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Kultur

Paradies für Popkulturjunkies

Eine Retrospektive auf ein Wochenende voller Musik

  Paradies für Popkulturjunkies | Eine Retrospektive auf ein Wochenende voller Musik

Am vergangenen Wochenende fand in Leipzig nicht nur die Pop Up, die Messe für alternative Musikkultur statt, sondern auch ein äußerst formidables Kopfhörerkonzert im Centraltheater. Wir präsentieren an dieser Stelle einen Auszug aus einer Reise zu einigen der zahlreichen popkulturellen Stationen, die die Stadt in den letzten Tagen zu bieten hatte.

Am vergangenen Wochenende fand in Leipzig nicht nur die Pop Up, die Messe für alternative Musikkultur statt, sondern auch ein äußerst formidables Kopfhörerkonzert im Centraltheater. Wir präsentieren an dieser Stelle einen Auszug aus einer Reise durch einige der zahlreichen popkulturellen Stationen, die die Stadt in den letzten Tagen zu bieten hatte.

Donnerstag, 18.30 Uhr: Absturz

Schon am Donnerstag Abend geht es los. Im Absturz steht das allererste Panel auf dem Plan. Thema: »Die Neuausrichtung des Centraltheaters und die Folgen für die Leipziger Popkultur«. Es diskutieren Christoph Gurk (Musikkurator des CT), Torsten Reitler (Fünf für Leipzig/MB), Roland Bergner (Werk II), Michael Kölsch (Leipziger Stadtrat und Vorsitzender des Kulturausschusses) und Thomas Irmer (Journalist). Hintergrund ist die mit dem Intendantenwechsel im letzten September vollzogene Neuausrichtung des Centraltheaters (vormals Schauspielhaus), die auf eine Verjüngung des Publikums, und eine Öffnung des Theaterbegriffs in Richtung Popkultur abzielt. Jene Ausrichtung wurde innerhalb der Szene teilweise kontrovers diskutiert. Prominentester aller Vorwürfe war der, das CT würde anderen Veranstaltern das Wasser abgraben, weil es dank städtischer „Vollfinanzierung“ in der Lage sei, höhere Gagen zu zahlen und außerdem kein Risiko zu tragen hätte.

Die Sache mit der Vollfinanzierung und die Annahme, er würde über riesige Geldberge verfügen können, entkräftet Gurk, indem er beispielhaft offen legt, wie die Finanzierung im Einzelnen aussieht (Mischkalkulationen, einige der Konzerte laufen ohne Subventionen etc.) und wie die Verteilung der Subventionsmittel im Verhältnis von klassischen Inszenierungen und Konzerten in etwa aussieht (5:1). Die in den Vorwürfen immer wieder zitierten Fallbeispiele wie Whitest Boy Alive, Tocotronic und Kante erweisen sich nach Gurks Ausführungen oft als zu unrecht missbrauchte. Viele der Vorwürfe sind nur schwer haltbar und rutschen im Laufe des Abends endgültig in den Raum des Spekulativen.

Die große Frage indes bleibt: Wo und wer sind die, die tatsächlich Angst haben? Wo manifestiert sich der angebliche Schaden? Wirkliche Angst äußern an diesem Abend nicht einmal die als Vertreter der freien Szene Gesandten. Ansonsten gibt es vereinzelte Stimmen der Skepsis und der Angst, die wissen wollen, wie »gefährlich« die neue Spielzeit wird, oder wie hoch der Etat des CT für Popmusik denn nun tatsächlich ist. Zahlen, bitte! Dass Gurk die an dieser Stelle nicht offen legt, ist mehr als logisch und verständlich. Gegen Ende der Diskussion mehren sich dann die Stimmen derer, die Positives zu berichten wissen und damit den subkutanen Tenor des Abends endgültig seiner Relativitäten („Ich finds ja eigentlich gut, aber ...“) berauben. Für den Konsumenten sind die Konzerte im CT offensichtlich eine Bereicherung. Und so bildet die Diskussion letztlich die gar nicht mal so weit voneinander entfernten Standpunkte aller Beteiligten ab und gibt somit Anlass zur Hoffnung, dass dieses Thema nun bald keines mehr ist.

Freitag, 21.30 Uhr: Adolf Noise (Centraltheater)

DJ Koze aka Adolf Noise (© R.Arnold/CT)
Am Freitag geht es direkt im Gegenstand des Vorabends los, auch wenn das dort stattfindende Adolf Noise-Kopfhörerkonzert kein offizielles Pop Up-Konzert ist. Die Entscheidung gegen Scott Matthew im Volkspalast erweist sich trotzdem als goldrichtig (obwohl auch der nicht schlecht gewesen sein soll). Stefan Kozella aka DJ Koze aka Adolf Noise hat das aufgrund der Anzahl der zur Verfügung stehenden Funkkopfhörer auf 425 Leute begrenzte Publikum bereits nach den ersten Sätzen auf seiner Seite. Der Saal ist relativ dunkel, die Bühne mit ein paar anachronistischen Lampenschirmen, jeder Menge Instrumenten und allerlei Krempel bestückt. Zwischen all den Glockenspielen, Mikrophonen, Laptops, Mini-Steeldrums und einer Katze mit Leuchtaugen sitzen Adolf und sein Sidekick, der Multiinstrumentalist Mense Reents, wie Piloten eines theatralen Jumbojets. Die Situation ist skurril, aber faszinierend.

Kozes Sidekick Mense Reents (© R.Arnold/CT)
Ein Saal voller Menschen und Instrumente, aber bis auf den hoch frequentierten frenetischen Jubel des Publikums und ein paar unverstärkte Klänge der analogen Instrumente ist fast nichts zu hören. Durch die Kopfhörer hingegen fließt allerfeinste Unterhaltung. Etwa zwei Stunden lang samplen, musizieren und plaudern sich Koze und Reents durch den Abend und fahren dabei das volle Programm auf: Ambientflächen, Live-Sampling, Hörspielfragmente, Improvisationen, Remixe. Nach etwa 1 Stunde wird die Ansage, dass nun etwa 10 Prozent des Abends bewältigt seien, mit ausschweifendem Applaus quittiert. Kozella ist 2 Stunden lang Gott, und hier haben sich all seine Jünger zu einer Messe des guten Geschmacks versammelt. Am Ende des Abends schließt sich gedanklich der Kreis zum Vorabend: Wer sonst hätte dieses Kopfhörerkonzert veranstalten können, und wo sonst hätte es einen solch würdigen Rahmen erhalten, wenn nicht im CT?

Freitag, 23.00 Uhr: Niels Frevert, Tele (Frühauf)

Noch vor der ersten Zugabe verlassen wir den Saal, um noch rechtzeitig zu Niels Frevert ins Frühauf zu kommen. Passt auch genau. Nicht so passend ist leider der Raum, in dem nur die ersten 4 Meter wirklich in das Konzert involviert scheinen. Die restlichen Meter erreicht der über weite Strecken akustische und reduzierte Sound des Hamburger Songwriters nicht wirklich. Hier wird geredet, als gäbe es kein Morgen. Schade, aber wer vorne ist, kann den smarten Herren und seine lakonischen Songs trotzdem genießen. Die im Anschluß spielenden Tele haben es da etwas einfacher, allein schon, weil sie zu fünft sind. Guter Dinge und tight wie eh und je mischen die Wahlberliner alte Hits und neue Songs zu einem unterhaltsamen Post-Mitternachts-Konzert.

Samstag, 11.00 Uhr: Pop Up-Messe (Volkspalast)

Alles Neue macht der Volkspalast: Blick in<br>die Kuppelhalle
Am Samstag Vormittag geht es raus zur Messe. Raus heißt in diesem Falle nicht mehr WerkII, sondern Volkspalast. Schon von außen wird klar, dass der Ortswechsel trotz aller Verheißungen und Altlasten eine gute Idee war. Wirkt einfach ein bisschen eleganter und pompöser, so ein Kuppelbau. Drinnen zeigt sich dann die wahre Stärke der örtlichen Gegebenheiten. Neben viel mehr Platz und Freiraum für die einzelnen Aussteller, gibt es auch für Besucher, Journalisten und Künstler überall Rückzugsmöglichkeiten für Gespräche, Interviews und Ruhepausen. Input gibt es an den Ständen, auf den zahlreichen Podiumsdiskussionen, auf der Newcomer-Bühne oder in der Kuppelhalle, in der jeweils für eine halbe Stunde mit Genre-Grenzgängern über die Verbindungen von Musik und anderen Disziplinen wie Film, Mode oder Games geplaudert wird. In den Panels, die im leicht zugigen Raum nebenan stattfinden, wird etwas tiefer in die Materien eingestiegen.

"Alles so schön bunt hier!"

In der Diskussion rund um die Zukunft des Musikvideos nach dem Tod des Musikfernsehens bringt der ehemalige Spex-Chefredakteur und heutige Programmchef der Internetplattform Hobnox.com, Uwe Viehmann, es auf den Punkt: Die Zukunft des Musikvideos, für das die Budgets schon seit einigen Jahren immer schmaler werden, liegt nicht unbedingt nur in den technischen Weiterentwicklungen und im Personalisierungs- oder DIY-Gedanken, sondern im wesentlich weiter gefassten Begriff »Bewegtbild«, zudem z.B. auch ins Netz gestellte Proberaum-Mitschnitte populärer Bands gehören werden.

"Wann ist die GEMA sinnvoll?"

Die anschließende Veranstaltung zum Thema GEMA (was für ein Binnenreim!) bringt wenig Neues und gebiert sich, wie erwartet, etwas dröge – trotz des um Jugendlichkeit und sprachliche Coolness bemühten GEMA-Vertreters Frank Dostal. Fraglich bleibt, ob es nach der Diskussion tatsächlich zur gewünschten Annäherung zwischen der GEMA und dem interessierten Publikum (in dem von hundert Leuten ganze zwei GEMA-Mitglieder sind) gekommen ist. Bei den heiklen Fragen wird jedenfalls viel aneinander vorbei geredet. Und so drängt sich einmal mehr die Frage nach alternativen Lizenzmodellen wie Creative Commons auf.

"Girls who are boys, who like boys to be girls..."

Für sie, ihn und alles dazwischen und daneben:<br>Genderdebatte mit Jens Friebe und Co.
In diesem Panel, in dem die Themenkomplexe Sexismus, Political Correctness und Gender Mainstreaming im Pop verhandelt werden, geht es dann wieder etwas munterer zu. Wie oft bei solchen Diskussionen, gibt es wenig Neues – nicht zuletzt, weil unklar ist, wie tief in die Materie eingestiegen werden kann, wie viel Vorwissen bei den Zuhörern vorhanden ist. Die anschließende obligatorische Publikums-Fragerunde verheißt jedoch einiges an Vorerfahrungen. Spannend wird es, als versucht wird, die theoretischen Aussagen an der Praxis zu messen, und plötzlich die Pop Up selbst und ihr noch immer von männlichen Acts dominiertes Booking in den Fokus der Diskussion geraten. Auch wenn sich aus der Diskussion nicht viel in die Praxis mit hinüberretten lassen wird, so vielleicht doch wenigstens dies, dass auch hier in Zukunft noch sensibler mit dem Thema umgegangen wird. Denn eine Genderquote fürs Booking, wie der spontan eingesprungene Musiker Jens Friebe sie leicht polemisch fordert, wird es in naher Zukunft wohl nicht geben.

"One for the money, two for the show..."

Das letzte Panel an diesem Tag findet dann in der Kuppelhalle statt, die vielleicht sogar ein bisschen geeigneter für alle Diskussionen gewesen wäre. Etwas gemütlicher und mit besserem Sound widmen sich hier alle Beteiligten dem Thema Namebranding im Musikgeschäft. Über große Strecken des Panels geht es vor allem um die Verbindung von Musik und Marken wie Jägermeister, Beck´s, Levi´s und Co. Auch hier gibt es nicht so wahnsinnig viel Neues, auch hier steht am Ende die Forderung nach einer staatlichen Regulierung, zumindest für Sterne-Sänger Frank Spilker. Der ist der Ansicht, die Indie-Musikkultur, oder Popkultur im Allgemeinen, sei genauso fördernswert wie die Hochkultur oder die Filmwirtschaft, die seit Jahrzehnten subventioniert werden. Und auch hier schließt sich wieder der Kreis zum Startpunkt am Donnerstag: „Subventionen und (Central-)Theater“. Der Ex-Von Spar-Sänger Thomas Mahmoud inszeniert sich während der gesamten Diksussion markengerecht als Anti-Marken-Musiker und verkauft anschließend CD´s aus dem Koffer, Robert Krause (This Gun Is For Hire) fordert vor allem ein besseres Management, das weniger deutsch und dafür internationaler denkt, und Dr. Kai-Uwe Hellmann von der TU Berlin will am Ende nur noch die aktuellen Fußballergebnisse wissen.

Samstag, 22.00 Uhr: Wooden Birds, Grand Archive, Shearwater (UT Connewitz)

Zwischen Rhodes-Sounds und<br>Gitarrenbrettern: Shearwater aus Texas
Am Abend dann erste Ermüdungserscheinungen. Trotzdem geht es noch auf ein paar der insgesamt 70 Konzerte, die an diesem Wochenende stattfinden. Ich entscheide mich für´s UT Connewitz, in dem die Wooden Birds mit minimalistischem Analog-Folk aufwarten, Grand Archives mit zotteligen Bärten und Karohemden für meinen Geschmack ein bisschen zu countryesk daherkommen, und Shearwater aus Texas einen merkwürdigen Sound aus Kontrabass, Rhodes-Sounds, Gitarren-Brettern, Harmonica und Glockenspiel fabrizieren. Das Ganze kommt auch visuell etwas schräg daher, nicht zuletzt wegen des Schlagzeugers, der ein wenig aus der Zeit gefallen scheint (Stichwort 80er-Metal) und nicht nur wie ein Berserker auf sein Set (inklusive in 12 Metern Höhe gehängtem China-Becken) haut, sondern zwischendurch auch mal ein bisschen Klarinette und allerlei andere exotische Instrumente am Bühnenrand spielt.

Samstag, gegen 00.30 Uhr: Disko Bomben (Ilses Erika)

Hot or not: Die drei Affen mit den<br>Tiermasken
Als der Spuk vorüber ist, frohlockt Ilses Erika mit der großen Abschlussparty, auf der sich dann auch viele Messe-Gesichter wiederfinden. Drei Affen mit Tiermasken und Adidas-Anzügen versuchen sich darin, der Meute ihre Musik als den heißesten Scheiß der Welt zu verkaufen, und ein paar Leute mit Leuchtstoffröhren um die Handgelenke scheinen es ihnen abzukaufen. Nebenan legen Donis und Tim Hespen Kraftwerk und Artverwandtes auf. Draußen sind mindestens genauso viele Leute wie drinnen. Irgendwann um 2 Uhr wird der Grill angeschmissen, und die überall verstreuten, in der Regel ehrenamtlich arbeitenden, Pop Up-Mitarbeiter zeigen sich zufrieden mit den Ergebnissen des Wochenendes und feiern sich selbst. Zurecht.


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