Nach der zweiten Planungswerkstatt, in der es um die Struktur der Gebäude und die Verteilung der Freiräume im Dialogverfahren der Stadt für die Zukunft des sogenannten Jahrtausendfeldes am 25. März ging, rissen einigen Beteiligten endgültig die Geduldsfäden. Seit Jahrzehnten liegt das ehemalige Betriebsgelände für Bodenbearbeitungsgeräte zwischen Karl-Heine-Kanal, Karl-Heine-Straße, Gießerstraße und Aurelienstraße brach und befindet sich im Eigentum der Stadtbau AG. Nun kann es scheinbar nicht schnell genug gehen, um es ab 2025 zu bebauen, damit zum Schuljahresstart 2027/28 zweitausend junge Menschen der Leipziger International School und der neu entstehenden Europäischen Schule hier lernen können. Dazu organisierte die Stadt ein Dialogverfahren mit insgesamt 30 Menschen – zehn ausgelosten Bürgerinnen und Bürgern und fünf Vertretern von Initiativen sowie Mitarbeitenden der Stadtverwaltung, der Bauherrin, Vertreter/-innen aus der Politik und des Eigentümers – Stadtbau AG – wie im kreuzer 4/2024 beschrieben.
Monolog statt Dialog
Im Februar und März organisierte die Stadt jeweils eine Planungswerkstatt um die Interessen der Stadt Leipzig, der Bürgerinnen und Bürger vor Ort und die Interessen der Leipzig International School in Einklang zu bringen. Denn unbestritten besitzt das Jahrtausendfeld als urbaner Freiraum eine besondere Bedeutung für den Leipziger Westen. Dieser wurde im frühen 19. Jahrhundert von Karl Heine geleitet von Kapitalinteressen dicht mit Industrie bebaut, sodass bereits damals Freiflächen für Alle Mangelware darstellten. Daher wird das Feld von der Nachbarschaft nicht nur wegen seiner soziokulturellen Funktion als Heimstätte temporärer Nutzungen geschätzt, sondern auch aufgrund seiner Rolle für das Stadtteilklima. Das Dialogverfahren sollte »die Grundlage für eine bauliche, freiräumliche und gemeindewohlorientierte Entwicklung im Sinne einer doppelten Innenentwicklung auf dem Jahrtausendfeld« bilden. »Die erforderlichen Schulgebäude und Sportflächen sowie die öffentlich zugänglichen Freiflächen und andere gemeinwohlorientierte Angebote sollen in diesen städtebaulichen Kontext verträglich integriert werden« und der Sicherstellung dienen, dass »alle Stimmen gehört und berücksichtigt werden«, heißt es dazu von der Stadt auf ihrer Homepage. Dies bildet einen gewissen Widerspruch zur Ansage der Stadt bei der ersten Informationsveranstaltung, dass die Bebauung an sich in keinster Weise zur Debatte steht. Bereits in der dritten Planungswerkstatt am 21. Mai stellen fünf Architekturbüros ihre Entwurfskonzepte vor und am 18. Juni findet die Jurysitzung statt.
Proteste
Zwei Stimmen werden – Stand jetzt – bei der Veranstaltung am 21. Mai fehlen. Vergangene Woche verkündete der Bund Leipzig, dass er aus dem Beteiligungsprozess zum Jahrtausendfeld aussteigt. Dem voraus ging eine »gründliche Abwägung« wie auf der Homepage zu lesen ist. Martin Hilbrecht, der Vorsitzende des Bund Leipzig, begründet den Ausstieg mit den Worten: »Der Bauumfang auf dem Jahrtausendfeld stand bereits vorher fest und die Möglichkeiten der Grünflächengestaltung sind enorm begrenzt. Daher haben wir erkennen müssen, dass unsere Möglichkeiten der Einflussnahme in diesem Beteiligungsformat sehr begrenzt sind. Das zu erwartende Ergebnis wollen wir als Umweltverband nicht mittragen.« Denn wie sich nach der zweiter Werkstatt herausstellte, werden die Gebäude den größten Teil des Geländes einnehmen. Vielmehr fordert der Bund einen »qualifizierten Bebauungsplan mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Im B-Plan sollen klimabedeutsame Flächenanteile von Bebauung freigehalten und begrünt werden. Gleichzeitig soll ein Anteil der Fläche als öffentliche Grünfläche gestaltet werden, welche in Größe und Ausstattung dem Bedarf im Stadtteil entspricht.«
Auch Claudia Scholz (Die Linke), Stadtbezirksbeirätin, steigt aus dem Beteiligungsverfahren aus. Sie begründet ihren Schritt in einer Pressemitteilung vom 26. April nach »reichlicher Überlegung und zwei von drei Planungswerkstätten« mit den Worten: »Leipzigs größtes Schulbauprojekt wäre ein Investorenprojekt mit sehr hohen monatlichen Schulgebühren. Im Rahmen des sogenannten Dialogverfahrens durften weder die Nutzungsart, der Anteil der bebauten Fläche oder bauordnungsrechtliche Genehmigungsverfahren verhandelt werden – also genau die Punkte, die die Bürger*innen interessieren. Trotz eines Stadtratsbeschlusses von Februar 2021, der vorsieht, anschließend ein ordentliches Bebauungsplanverfahren durchzuführen, scheint dieses von Seiten der Vorhabenträger und der Stadtverwaltung weder gewünscht noch geplant zu sein. Damit sehe ich mich als Stadtbezirksbeirätin nicht mehr in der Lage, die Interessen der Bürger*innen in dem Gremium zu vertreten und ziehe mit meinem Austritt die Konsequenzen.« Vielmehr unterstützt Scholz die Petition gegen die Bebauung und für den Erhalt der Fläche als Stadtteilpark.
»Keine Bebauung – Jahrtausendfeld retten! Ein Stadtteilpark für Alle!«
Bis Donnerstag unterzeichneten mehr als 4.400 Menschen die Petition »Keine Bebauung – Jahrtausendfeld retten! Ein Stadtteilpark für Alle!«, die bis Juli läuft. Formuliert von einer Gruppe engagierter Anwohnerinnen und Anwohnern, eingereicht von Nora Fleischer richtet sich die Kritik an viele Punkte der geplanten Bebauung. Dazu gehört, dass die komplette Bebauung und teilweise Versiegelung der Fläche große Auswirkungen auf das Klima, auf Hitzebelastung und auf Luftqualität hätte. Das zu erwartende tägliche Verkehrsaufkommen zu dem bereits heute von der Grundschule fabrizierten, wird ebenso kritisiert wie der Umstand, dass es sich bei dem Bauvorhaben um eine Privatschule handelt. Dies sehen sie »im eklatanten Widerspruch zum Flächennutzungsplan, in dem die Nutzung des Jahrtausendfelds als Gemeinbedarf ausgewiesen ist.«
Nora Fleischer und Nadine von der Initiative sind von der bisherigen Zahl der Unterschriften für die Petition sehr überrascht, wie sie im Gespräch mit dem kreuzer erzählen. Ihnen gehe es darum, dass dieser diverse Ort im Leipziger Westen seine Qualitäten nicht verliert. Das Jahrtausendfeld dürfe sich nicht zu einem Ort für Wenige entwickeln, die noch nicht mal vor Ort leben. Zudem kritisieren sie, dass kein wirkliches Dialogverfahren stattfand, vielmehr eine Scheinbeteiligung mit handverlesenem Publikum.
Sie fordern daher »die Aufstellung eines qualifizierten Bebauungsplanes, in dem das Jahrtausendfeld als Grünfläche erhalten, qualitativ aufgewertet und öffentlich zugänglich bleibt. Den Erhalt des Areals als Gemeinbedarfsfläche und einen ganzheitlichen Plan der Stadt Leipzig zum Erhalt und zur Schaffung notwendiger Grünflächen, der endlich gesetzliche Grundlage ist.«
> Petition
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> Mailkontakt: jahr1000feld[@]riseup.net