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Stadtleben

Schutz von Wohnraum in Leipzig

Leipzig wächst, bezahlbarer Wohnraum ist knapp. Kann ein neues Gesetz Abhilfe schaffen?

  Schutz von Wohnraum in Leipzig | Leipzig wächst, bezahlbarer Wohnraum ist knapp. Kann ein neues Gesetz Abhilfe schaffen?  Foto: Symbolbild/Marc Schorter

Kaum sind die aktuellen Gäste weg, beginnt das große Aufräumen. Die Waschmaschine schleudert gerade die zweite Ladung Bettdecken, der Geruch von Waschpulver zieht in den Flur. Laken müssen gewechselt, die Herdplatte geschrubbt werden. Zigarettengeruch hängt in der Luft, obwohl alle Fenster schon auf kipp sind - die Gäste haben sich nicht an das Rauchverbot gehalten. Auch das kaputte Kopfteil am Bett haben sie nicht gemeldet, sodass der Student, der für Patrizia die Reinigung der Wohnung übernimmt, kurzfristig ein Talent zum Polsterbeziehen entwickeln muss. Doch um sich zu ärgern, bleibt keine Zeit, denn die nächsten Airbnb-Gäste lassen nie lange auf sich warten.

Patrizia hat die Wohnung vor knapp einem halben Jahr mit einem Geschäftspartner gekauft. Die beiden betreiben eines von dutzenden Airbnbs, in denen Feriengäste in Leipzig unterkommen können. Den damaligen Mietern erzählen die beiden nichts von ihren Plänen, in der Wohnung ein Airbnb zu eröffnen. Stattdessen steht in der Kündigung: Eigenbedarf. Eine Notlüge, wie Patrizia, die selbst in Hamburg lebt, zugibt. »Für uns war klar, dass wir nicht selbst in der Wohnung wohnen werden.« Eine Notlüge, die im Zweifelsfall teuer werden könnte: bei vorgetäuschtem Eigenbedarf haben Mieter Anspruch auf Schadenersatz, beispielsweise für Umzugs- oder Maklerkosten. Sogar die Erstattung der Mehrkosten durch eine höhere Miete kann eingefordert werden. Vor allem aber hätten die Mieter einen Anspruch, wieder in ihre alte Wohnung zurückkehren zu dürfen. Deshalb ist Patrizia auch nicht ihr richtiger Name. 

Dazu kommt es in Patrizias Fall jedoch nicht: Um den Mietern den Auszug schmackhaft zu machen und eine gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden, übernehmen sie nicht nur die Umzugskosten, sondern zahlen auch eine Abfindung. Wenig später beziehen die ersten Feriengäste ihr Domizil in der Nähe der Karl-Liebknecht-Straße. Die Wohnung in der Südvorstadt ist Patrizias erstes Investment. Erst sei sie skeptisch gewesen, habe sich dann aber für den Kauf entschieden, auch um später finanziell abgesichert zu sein. »Mein Bekannter sagte, Leipzig wird das nächste Berlin.«

 

Gutachten geht von 21.000 betroffenen Wohnungen aus

Zumindest was den Wohnungsmarkt angeht, könnte Patrizias Geschäftspartner recht behalten. Leipzig verzeichnet eine extrem geringe Leerstandsquote. Laut dem Empirica-Leerstandsindex sank sie innerhalb von zehn Jahren von sechs auf aktuell 1,6 Prozent, während der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum steigt. Gleichzeitig gibt es in Leipzig viele Wohnungen, in denen Büroräume eingerichtet wurden oder die absichtlich leer gehalten werden, um damit zu spekulieren – oder eben, weil Wohnungen als Ferienunterkünfte angeboten werden. Ein Gutachten der Stadt Leipzig von 2019 geht von rund 21.000 Wohnungen aus, die zwar als Wohnraum deklariert, aber für andere Zwecke genutzt werden. Jährlich kämen laut Gutachten knapp 500 Wohnungen hinzu. 

Der Sächsische Landtag hat darum Ende Januar das »Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum in Sachsen« beschlossen. Es enthält kein direktes Zweckentfremdungsverbot, sondern gibt Kommunen die Möglichkeit, eine entsprechende Satzung zu erlassen, wenn »die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist«. Dann kann eine Kommune verbieten, dass Wohnungen länger als 12 Wochen im Jahr zur Fremdbeherbergung genutzt werden oder länger als 12 Monate leer stehen. Leipzig hat bereits jetzt angekündigt, eine Satzung erlassen zu wollen, sie wird für die Jahresmitte erwartet.

12 Monate hält Anke Matejka, die Geschäftsführerin des Leipziger Mietervereins, für deutlich zu lange. »Jede Wohnung, die dem Wohnungsmarkt entzogen wird, ist eine zu viel.« Sie hält darum eine Frist von maximal sechs Monaten für notwendig, damit leerstehende Wohnungen schneller wieder neu vermietet werden. Der größte Kritikpunkt des Mietervereins ist aber, dass anders als beispielsweise in Berlin oder München die gewerbliche Nutzung, also beispielsweise eine Wohnung als Lager- oder Büroraum zu nutzen, nicht als Zweckentfremdung definiert ist.

 

»So will man doch nicht leben«

Rubén (33) und Tobias (34) wird das Gesetz darum vorerst nicht helfen. Anfang 2019, erzählt Tobias, sei das Haus in Alt-Lindenau, in dem seine Vierer-WG wohnt, an eine Investmentfirma aus Kanada verkauft worden, die sich auf Immobilien im Gesundheitssektor spezialisiert hat. Die Verwaltung des Hauses geht damals an eine Tochtergesellschaft in Berlin über. 

Vor knapp einem Dreivierteljahr kontaktiert die WG ihre Vermieter. Die Eingangstür schließt nicht mehr richtig, weil eine Feder im Mechanismus kaputt ist. Zusätzlich habe es kurz vorher einen Einbruchversuch gegeben, erinnert sich Rubén. Ab da habe ein Gefühl der Unsicherheit geherrscht. »So will man doch nicht leben.« Damals sei der Geschäftsführer der Hausverwaltung persönlich zu einem Gespräch vorbeigekommen. Während er auf der grünen Kunstledercouch der WG sitzt, hinter der die Farbe von der Wand blättert, eröffnet er der Gruppe, dass in der Wohnung keine Instandsetzungen mehr geplant seien. Die Wände, von denen der Putz rieselt, die undichten Fenster, das kaputte Türschloss, das nur manchmal schließt – all das sei ohnehin bald hinfällig.

Denn der Besitzer will das Haus kernsanieren, um dort Arztpraxen, Räume für Physiotherapie und eine Anwaltskanzlei unterzubringen. Ob die WG schon einmal daran gedacht hätte, umzuziehen? Vielleicht auch gegen Zahlung einer Abfindung? Auch anderen Mietern seien solche Angebote gemacht worden, erzählt Tobias, während er die abblätternde Wandfarbe betrachtet. Die genaue Summe könne er nicht benennen, er schätzt sie auf einen niedrigen fünfstelligen Betrag. Bislang habe er sich noch keine ernsthaften Gedanken darüber gemacht. »Ich habe keinen besonders großen Druck, umzuziehen.« Ihn störe auch das generelle Vorgehen der Gesellschaft, denn seit 2020 ist Alt-Lindenau einer von acht Leipziger Stadtteilen, in denen eine Soziale Erhaltungssatzung gilt. Das heißt: Bestimmte Nutzungs- oder bauliche Veränderungen müssen von der Stadtverwaltung genehmigt werden. So soll beispielsweise verhindert werden, dass Wohnungen luxussaniert werden, um sie anschließend teuer zu vermieten. Während das nun geplante Gesetz an dieser Stelle keine Regelung trifft, schützt diese Satzung Rubén und Florian vor der Verdrängung: Für die Umwandlung von Wohnraum in Gewerbefläche werde laut Satzung grundsätzlich »erhaltungsrechtlich keine Genehmigung« erteilt, eine gewerbliche Umnutzung von Wohnflächen ist damit faktisch untersagt. Einen umfangreichen Fragenkatalog des kreuzer zum Sachverhalt ließ der Immobilienkonzern unbeantwortet. 

 

Opposition kritisiert Lücken im Gesetz

Die Opposition im Landtag kritisiert derweil die fehlende Regelung zur gewerblichen Nutzung von Wohnraum scharf. Juliane Nagel (Die Linke) begleitet das Thema als wohnungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion schon lange. Ein eigener Entwurf, der die gewerbliche Nutzung beinhaltet hätte, wurde von den Regierungsfraktionen abgelehnt. Vom nun verabschiedeten Gesetz erwartet Nagel allenfalls eine geringe Entlastung. »Vielleicht werden Airbnbs ein bisschen eingedämmt, aber das Gesetz wird den Wohnraummangel nicht beheben.«

Denn auch wenn Airbnbs häufig als Problem genannt werden: Zahlenmäßig machen sie einen relativ geringen Anteil an der Zweckentfremdung aus. Zumindest professionelle Vermieter planen ihre Wohnungen häufig von vornherein auf Gewerbeflächen, sodass kein Wohnraum betroffen ist. Das Gutachten der Stadt Leipzig schätzt die Anzahl der Ferienwohnungen auf 600 der insgesamt 21.000 zweckentfremdeten Wohnungen, den größten Anteil machen leerstehende und verfallende Wohnungen aus, etwa 12.000 betroffenen Einheiten. Immerhin 8.000 Wohnungen würden hingegen für Gewerbe genutzt. 

Wäre es nach der SPD gegangen, hätte das Gesetz auch diesen Tatbestand umfasst, erklärt Albrecht Pallas, der wohnungspolitische Sprecher der Fraktion. Er beklagt eine Wohnungspolitik der CDU »auf dem Rücken der Mieterinnen und Mieter«. In der Koalition habe man lange über diesen Punkt gestritten, gerade weil Leipzig und Dresden immer wieder auf den angespannten Wohnungsmarkt hingewiesen hatten. »Ich bedauere sehr, dass sich die CDU nicht darauf einlassen konnte.« Oliver Fritzsche, der wohnungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, hält dagegen. »Als CDU-Fraktion erachten wir eine Regelung zur Zweckentfremdung für Gewerbe weder als notwendig noch als sinnvoll.« Eine zu starke Regulierung könne private Investoren verschrecken, auf deren Kapital der Bausektor dringend angewiesen sei. 

Um private Investitionen zu schützen, sieht das Gesetz beispielsweise auch vor, dass der Betrieb existierender Ferienwohnungen so lange genehmigt wird, bis diese sich »substanziell amortisiert« haben, der Kredit also weitgehend abbezahlt ist. Für Patrizia, die die Wohnung erst vor Kurzem gekauft hat, würde das eine Nutzung auf Jahre, möglicherweise Jahrzehnte sicherstellen. Aktuell decken die Einnahmen gerade so die Bankrate, 1.500 Euro jeden Monat. »Würden wir wieder Langzeitmieter aufnehmen, würde eine Lücke entstehen.« Sollte Leipzig wie erwartet eine Satzung gegen Zweckentfremdung erlassen, könnte Patrizia sich dennoch vorstellen, die Wohnung auch wieder regulär zu vermieten. Die aktuelle Situation habe sie nachdenklich gemacht, sie wolle nicht langfristig daran mitwirken, dass Wohnraum noch knapper wird. »Ich sehe mich in der Verantwortung, bei mir hat in Bezug darauf definitiv ein Umdenken stattgefunden.«


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2 Kommentar(e)

Karin 05.05.2024 | um 09:47 Uhr

Das derzeitige durchschnittliche Mietniveau in Leipzig liegt unter dem durchschnittlichen Mietniveau in Deutschland. Selbst in eher unattraktiven Umlandgemeinden von Leipzig liegen die Angebotsmieten unterdessen über dem, was der Leipziger Mietspiegel hergibt. Ich kann demzufolge in Leipzig zwar eine Angebotsknappheit an Mietwohnungen, aber keine unangemessenen Konditionen erkennen. Das wird sich bei der derzeitigen Politik auch absehbar nicht ändern. Denn: Warum sollte jemand, der bei klarem Verstand ist und rechnen kann, in Leipzig investieren, wenn er hier bloß gegängelt und veräppelt wird, aber nix verdienen darf bzw. noch drauflegt ? PS. Frau Nagel kann sich gerne mal die aktuellen Preise einer Studentenwohnung beim Studentenwerk anschauen...die müssen kostendeckend vermieten, sind aber nicht gewinnorientiert.

Constance Rattigan 18.05.2024 | um 16:04 Uhr

"...den größten Anteil machen leerstehende und verfallende Wohnungen aus, etwa 12.000 betroffenen Einheiten." Das kann ich nur bestätigen. In meinem direkten Wohnumfeld in Lindenau - immerhin einem sog. "angesagten" Stadtteil stehen Gewerberäume (vor allem Läden im Erdgeschoss von Wohnhäuden) jahrelang leer. Ein ganzes Kaufhaus samt Tiefgarage in der Endersstraße rottet seit fast 10 Jahren vor sich hin. Gleichzeitig werden wertvolle Grünräume gerodet für den Bau von Wohn- und Gewerbeimmobilien. Welche rechtlichen Möglichkeiten hat hier eine Kommune, um Eigentümer zur Sanierung und Nutzbarmachung zu zwingen? Notfalls zu enteignen und an Selbstnutzer zu übergeben. Läden im Erdgeschoss könnten zu Wohnungen umgebaut werden. Ein weiteres Missverhältnis auf dem Wohnungsmarkt ist das wachsende Angebot von "Wohnen auf Zeit" zu horrenden Pauschalmieten, durch das reguläre Wohnungen dem Markt entzogen werden. Bei Immobilienscout24 gibt es in Lindenau inzwischen mehr "Wohnen auf Zeit"-Angebote als normale Wohnungen.