In der Titelgeschichte des aktuellen kreuzer geht es um rechtsradikale Gewalt auf Fussballplätzen und um sie herum – ein Phänomen, das nur wenig mit Sport zu tun hat und vor dem die Gesellschaft oft die Augen verschließt. Als kleinen Mehrwert zu diesem Debattenanstoss veröffentlichen wir an dieser Stelle einen persönlichen Erlebnisbericht von Christoph Gollasch zum Sachsenpokalspiel zwischen Erzgebirge Aue und Lok Leipzig, bei dem es im letzten Monat ebenfalls zu rassistischen Ausfällen kam.
In der Titelgeschichte des aktuellen kreuzer geht es um rechtsradikale Gewalt auf Fussballplätzen und um sie herum – ein Phänomen, das nur wenig mit Sport zu tun hat und vor dem die Gesellschaft oft die Augen verschließt. Als kleinen Mehrwert zu diesem Debattenanstoss veröffentlichen wir an dieser Stelle einen persönlichen Erlebnisbericht von Christoph Gollasch zum Sachsenpokalspiel zwischen Erzgebirge Aue und Lok Leipzig, bei dem es im letzten Monat ebenfalls zu rassistischen Ausfällen kam.
14.11.2009. Sachsenpokal. Erzgebirge Aue kommt. Die Veilchen aus der Bergbaustadt an der Zwickauer Mulde spielten vor kurzem noch in Deutschlands zweiter Fußballliga. Derzeit steht der Verein auf Platz sechs der dritten Liga. Lok Leipzig dagegen, einstiger Verein für Bewegungsspiele (VfB), nimmt aktuell den neunten Rang der sächsischen Oberliga ein. Eine klare Angelegenheit, könnte man meinen. Profi- gegen Amateursport. Doch obschon oft zitiert und überstrapaziert, Pokalspiele haben in der Tat ihre eigenen Gesetze.
Kann es folglich einen besseren Grund geben, Männer-Fußballsport in Leipzig zu erleben? Wohl kaum. Kein Verein spielt in einer höheren Liga. Profifußball ist auch mit Rasenballsport Leipzig, einem von der Trendmarke Red Bull aus dem Boden gestampften Retorten-Club, noch in weiter Ferne. Dies trifft nicht zuletzt auf die Fankultur des inoffiziellen Werksvereins zu. Eine Alternative? Eben die erwähnte Lok, eine über 100 Jahre alte Dame, welche 1903 unter dem Namen VfB erster deutscher Fußballmeister wurde. Sozusagen die Wiege des deutschen Fußballs.
Internationaler Flair im »Bruno«
Heinrich* und Emma* sind ausländische Studierende britisch-amerikanischer Wurzeln. Seit Beginn des Wintersemesters im Oktober absolvieren sie den Aufbaustudiengang »Global Studies« an der Universität Leipzig. Ziel des Studiengangs sei es, so die beiden, Studierende unterschiedlichen kulturellen sowie fachlichen Hintergrunds zusammenzubringen und so neue Perspektiven auf das Phänomen Globalisierung zu entwickeln. Wie platt es auch klingen mag, jenes Phänomen vermag tatsächlich alle Facetten des täglichen Lebens zu durchdringen. Ebenso den Fußball. Gut die Hälfte aller in der BRD arbeitenden Lizenzspieler hat keinen deutschen Pass. Damit nimmt die Bundesliga einen Spitzenrang im Kreis der europäischen Topligen ein.
Geradezu aufdringlich muten dabei die Werbekampagnen jener Fußballkonzerne an, die ihren Bekanntheitsgrad stetig ausweiten. Bayern München in Asien, Trikots von Manchester United auf Märkten in Afrika, Lothar Matthäus und David Beckham in den Vereinigten Staaten. So schwappt die Fußballwelle auch nach Übersee. Experten sehen die US-Boys in absehbarer Zukunft als Anwärter auf internationale Titel.
Auch Heinrich und Emma sind fußballerprobt. Obgleich sich die Rollen eher stereotypisch ausmachen – er American Football, sie Fußball – sind sie firm in der »schönsten Nebensache der Welt«, kennen die Regeln des Sports. Dementsprechend aufgeregt wird dem Pokalfight im Bruno-Plache-Stadion entgegengefiebert. »That’s so exciting«, meinen beide unisono beim Betreten der von Lok-Fans nur »Bruno« genannten Spielstätte.
Nichts für Hotdog & Co
Sportevents in den USA gleichen Familienausflügen. Man stelle sich dazu ein Baseballmatch im neunten und letzten Inning vor. Drei Stunden sind gespielt. Der Junior verlangt nach dem nächsten Hotdog und einer großen Coke. Währenddessen gelingt es der Heimmannschaft im zweiten Halbinning, mit der Gastmannschaft gleichzuziehen. Es kommt zum so genannten Extrainning. Gespielt wird bis zum Sieg einer Mannschaft, früher sogar bis zum Abbruch wegen Dunkelheit.
Fußball wird in Sachsen auch bisweilen bis zum Spielabbruch gespielt. So erst Ende Oktober im Leipziger Vorort Brandis, als Spieler und Fans des links-alternativen Fußballklubs Roter Stern Leipzig Opfer eines brutalen, rassistisch-nazisitisch motivierten Überfalls wurden, dem weder die wenigen Polizisten vor Ort und schon gar nicht die ortsansässige Zivilgesellschaft gewachsen war. Und kommt es doch zum regulären Ende nach vorgesehener Spieldauer, so bleibt immer noch die »Dritte Halbzeit«, um Gegner und Polizei auf Trab zu halten.
Auch heute wieder sind die Ordnungshüter omnipräsent. Hundertschaften, Reiterstaffeln, ein Hubschrauber kreist beständig über dem Stadion. Kein Wunder, bitten doch die berüchtigten Ultras und Hooligans von Aue und Lok zum Tanz. Im Fachjargon Mitglieder der Kategorien B und C. Erstere werden kategorisiert als gewaltbereit, letztere sogar als Gewalt suchend. Doch die Grenzen verwischen längst. Ebenso diejenigen zwischen rein von Gewalt bestimmter Gruppendynamik und rassistischem Gedankengut. Dagegen erscheint die Separation der „Anderen“ von der aktuell so häufig aufs Tapet gebrachten »bürgerlichen Mitte« beständig. Nur wenige Kinder säumen die Stadionränge, nur marginal mehr Frauen. Die Männer dominieren das Bild. Keine Individualisten in bunten Farben, keine zotteligen Langhaarigen in Vagabundenklamotten, sondern schwarz bekleidete Torsos mit kahl geschorenen Schädeln. Auf den ersten Blick wird klar, dies ist kein Ort für einen kleinbürgerlichen Familienausflug mit Hotdog und Coke.
Vom Führer und Negern
Heinrich, Emma und ich sind auf dem Weg zum Dammsitz, der Stehplatz-Traverse unterhalb der gut 1000 Zuschauern Sitzplätze bietenden Holztribüne. Es hat den Anschein, als sei vieles im Originalzustand von 1922 belassen. Im August dieses Jahres erhöhte das Bauordnungsamt Leipzig die zugelassene Zuschauerzahl wieder von 4999 auf 7000. Etwa 12500 freiwillige Arbeitsstunden, in denen Traversen begradigt, neue Fluchtwege und Wellenbrecher gesetzt und die Tribüne in Sachen Brandschutz auf Vordermann gebracht wurden, gingen der Entscheidung voran. Seit Anbeginn der Saison wird unter anderem auf alle Eintrittskarten ein Aufschlag von einem Euro erhoben, um der Sanierungskosten Herr zu werden.
Fußball wird bei Lok noch zelebriert, ist keine reine Spekulation, kein ausgefeilter Businessplan. Allein, die Kehrseite der Lokschen Medaille ist der Rassismus. Die Klamottenmarke Thor Steinar ist überproportional häufig vertreten. »What’s the brand about?«, fragt Emma mit großen Augen. Für die rechte Szene ist die Marke Erkennungsmerkmal und Statement zugleich. Spätestens seit der Eröffnung eines Thor Steiner-Ladens 2007 im Leipziger Stadtzentrum und den anschließenden Auseinandersetzungen sollte diese, mit nordisch-heidnischen Runen agierende Marke jedem Leipziger ein Begriff sein.
13:30 Uhr. Die Spieler betreten das Feld. Es erfolgt eine Schweigeminute für den just verstorbenen Nationaltorwart Robert Enke. »Wir huldigen dem Führer.« Ein ewig Gestriger zerreißt die Stille für einen Augenblick. Nach wenigen Sekunden beenden L.O.K.-Schlachtengesänge die Trauerminute. Das Spiel kann beginnen. Der Underdog dominiert das Spiel, kommt gleich in der Anfangphase zu hochkarätigen Chancen, doch nicht zum verdienten Führungstreffer.
Zweite Halbzeit, immer noch 0:0. Aue schwimmt nicht mehr so sehr, hat sich ein wenig gefangen, die Zweikämpfe werden angenommen. Strittige Schiedsrichterentscheidungen ergeben sich notwendigerweise. »Juden, Juden«, ertönt es aus mindestens zehn Kehlen. Die rassistischen Äußerungen häufen sich. Zwei schwarze Aue-Spieler rücken nun in den Fokus. »Schwarze Sau«, »da fällt er schon wieder, der Neger«, »nehmt endlich den Nigger raus«. Rassistische Äußerungen, mal vom alten Herrn zur Linken, mal vom Teenager zur Rechten. Hobbyfußballer würden sich dem wohl kaum freiwillig aussetzen. Ergo: Kein Mensch sollte unter solchen Bedingungen arbeiten müssen.
15:18 Uhr. Steffen Kubald, Leipziger Urgestein und Lok-Präsident, marschiert rein in eine Gruppe finsterer Typen. Einer wird mit beherzten Griffen nach draußen befördert. Kubald macht die Arbeit allein, zwei Ordner stehen nur dabei. Keiner traut sich, handgreiflich gegen den Zweimeterhünen zu werden. Er ist hier der Boss, wird respektiert. Ex-Hooligan und Jetzt-Geschäftsmann. Seitdem er 2003 das Heft in die Hand genommen hat, ist Lok Leipzig – sportlich gesehen – eine Erfolgsgeschichte. Nach der Insolvenz des Traditionsklubs führte er ihn wieder bis in die fünfte Liga.
Zeit für Emanzipation
Das Spiel ist aus, die Sensation verpasst. Vier Minuten vor Ende der zweiten Verlängerung legt Aue der aufopferungsvoll kämpfenden Heimmannschaft doch noch ein Ei ins Nest. Für manch Rowdy beginnt erst jetzt der spannende Teil, heute nicht die dritte, sondern fünfte Halbzeit. Später wird die Leipziger Volkszeitung schreiben, die befürchteten Krawalle seien ausgeblieben. Dass es nicht zu Kämpfen zwischen den verfeindeten Fans gekommen ist, lag aber vor allem am beschränkten Kontingent an Tickets für Anhänger des Erzgebirgsvereins. Nur 300 wurden ihnen zur Verfügung gestellt. Und dennoch kommt es in der Prager Straße, Höhe Nieritzstraße, zu Gewaltexzessen.
Nein, Lok ist nicht rehabilitiert. Noch lange nicht. Dies ist die bittere Erkenntnis nach dem heutigen Samstag. Beteiligungen an Aktionen gegen Rassismus sind löblich und greifen doch zu kurz. Erreicht werden muss eine Gesundung von Innen heraus. Die Mobilisierung alteingesessener Anhänger, ihrer zivilgesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen und Rassismus aktiv zu begegnen. Striktere Einlasskontrollen sind dabei unumgänglich. Ebenso die Infiltration der Fans durch couragierte Ordner, autorisiert zur Vergabe von Platzverweisen, was unvermeidlich einen nicht unerheblichen Aderlass nach sich ziehen würde.
Mangelhafte Kooperationsbereitschaft der Stadt gegenüber Ex-Hooligan Kubald greift allerdings noch kürzer. Vielmehr sollte stetig evaluiert werden, ob und in welche Richtung sich der Verein bewegt. Das einzige normative Kriterium müssen dabei Anti-Rassismus und Toleranz sein. Erst, wenn es den Lok-Fans gelingt, politisch unkorrekt rassistische oder sexistische Stereotype zu bedienen, und sich gleichzeitig der Lächerlichkeit ihrer Aussagen bewusst zu sein, ist die alte Dame gesundet.
Auf dem Heimweg frage ich Emma und Heinrich: »Was assoziiert ihr mit Rasse?« »Nationalstaatliche Herkunft«, lautet die Antwort. Hautfarbe spielt für die beiden, in multi-ethnischen Gesellschaften sozialisierten Studierenden keine Rolle. Das gleiche gilt für die Akteure auf dem Platz. Es wird Zeit, dass dies in allen Köpfen Fußballdeutschlands ankommt.