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Kultur

»Uns geht es um Anspruch und kreatives Potential«

Matthias Puppe vom (Pop Up-Team zur diesjährigen Messe für (Indie-)Popkultur

  »Uns geht es um Anspruch und kreatives Potential« | Matthias Puppe vom (Pop Up-Team zur diesjährigen Messe für (Indie-)Popkultur

Eine ganze Schar von jenen angehenden Nostalgikern versammelt sich alljährlich im Leipziger Süden. Nach einem kurzen, gelungenen Abstecher in den Volkspalast im letzten Jahr wurde die Musikmesse (Pop Up mit angeschlossenem Festival wieder auf das Gelände des Werk II verlegt. Wir sprachen mit Matthias Puppe vom Pop Up-Team über die Gründe für die Wiederkehr und die diesjährigen Inhalte und Programmhöhepunkte.

Eine ganze Schar von jenen angehenden Nostalgikern versammelt sich alljährlich im Leipziger Süden. Nach einem kurzen, gelungenen Abstecher in den Volkspalast im letzten Jahr wurde die Musikmesse (Pop Up mit angeschlossenem Festival wieder auf das Gelände des Werk II verlegt. Wir sprachen mit Matthias Puppe vom Pop Up-Team über die Gründe für die Wiederkehr und die diesjährigen Inhalte und Programmhöhepunkte.

kreuzer: Was ist deine Funktion im (Pop Up-Team?

MATTHIAS PUPPE: Ich bin seit neun Jahren beim (Pop Up Team. Wir sind eine Vereinsrunde, also eine freie, offene Runde. Wie alle anderen bei der (Pop Up bin ich als Teil des Teams für alles mitverantwortlich, weil wir alles Grundsätzliche zusammen entscheiden. Natürlich bilden sich auch Spezialisierungen heraus. Ich bin zum Beispiel für Pressearbeit zuständig und kümmere mich auch um die Foren.

kreuzer: Wird über das Programm demokratisch entschieden?

PUPPE: Grundsätzlich entscheiden wir alle strittigen Fragen im Team. Im Detail haben wir aber auch eine Bookerin und einen Booker, die sich das gesamte Jahr über mit allen Anfragen auseinandersetzen und natürlich ihren subjektiven Geschmack mit einbringen. Das ist auch wichtig. Bei den Foren ist es so, dass sich fünf bis zehn Leute Gedanken machen, wen man einladen könnte und wer interessante Positionen mitbringen könnte. Prinzipiell wird demokratisch entschieden, aber es gibt natürlich Spezialisierungen. Nicht jeder kann sich um jede einzelne Anfrage kümmern. Dafür muss es Verantwortlichkeiten geben.

kreuzer: Was sind die diesjährigen musikalischen Highlights?

PUPPE: Neben The Divine Comedy freue ich mich insbesondere auf Kleerup, einen großartigen, schwedischen Elektronikproduzenten. Ich bin auch gespannt auf die Bachelorette und den zweiten Teil der »Whale Watching Tour«, die bereits im letzten Jahr im UT Connewitz stattfand. Ich freue auch sehr auf John Roberts von Dial Records und Mathias Schaffhäuser.

kreuzer: Mathias Schaffhäuser ist auch bei den Panels dabei. Wie wird das Publikum beteiligt?

PUPPE: Grundsätzlich sind das immer Publikums-Panels. Es geht auch darum, dass das Publikum dabei ist und Fragen stellen kann. Dafür gibt ein Publikumsmikrofon, über das man beispielsweise sagen kann: »Du erzählst totalen Mist. Das kenne ich ganz anders aus eigener Erfahrung.« Wir überlegen uns Themen, die zum einen etwas mit der Musikbranche zu tun haben und zum anderen eine wichtige Rolle im Zeitgeist spielen. Dieses Jahr wollen wir beispielsweise Social Networks für Musik wie Hype Machine, Soundcloud oder Blip.FM diskutieren. Uns stellen sich Fragen wie: »Wie kann man diese nutzen? Ist das alles legal? Helfen sie der Musikbranche oder nicht? Haben Musiker damit Probleme?« Dazu suchen wir dann Leute wie Mathias Schaffhäuser, der ein web-affiner Musiker ist, um sich dazu zu positionieren. Denkt er als Label-Betreiber: »Ich finde es doof, dass dort meine Musik umsonst zu hören ist.«? Oder hält er diese für ein nützliches Promotion-Tool für Platten und Konzerte. Bei diesem Panel ist auch jemand eingeladen, der die rechtliche Komponente beleuchtet. Letztlich versuchen wir eine Fragestellung aufzuwerfen, die das Publikum und die Fachbesucher interessiert und dazu verschiedene Positionen zusammenzubringen und Argumente auszutauschen. Am Ende wird bestenfalls ein Weg vorgegeben, aber das schafft man eher selten.

kreuzer: Werden die Panels in irgendeiner Form dokumentiert oder protokolliert?

PUPPE: Seit vier Jahren werden alle Panels in Audio-Form mitgeschnitten und spätestens zwei Wochen nach der Messe auf unsere Website gestellt. Dann kann man sich alles noch einmal komplett als Stream anhören. Seit letztem Jahr versuchen wir, die Positionen auch in schriftlicher Form zusammenzufassen, damit man den Verlauf komprimiert und mit Fazit auf unserer Website nachlesen kann.

kreuzer: Die Messe fokussiert das, was man früher einmal Independent-Popkultur genannt hat. Gibt es Schnittstellen zu dem, was man früher Industrie, Majors oder kommerzielle Musikkultur genannt hat und was es in gewisser Form noch gibt?

PUPPE: Wir versuchen, nicht zwischen Groß/viel Geld und Klein/wenig Geld zu unterscheiden. Das ist eine Unterscheidung, die man sicher schnell machen kann. Für uns sind aber eher Künstlerinnen und Künstler wichtig, für die kreatives Schaffen im Vordergrund steht und finanzielle Aspekte nachrangig behandelt werden. Auch unsere Aussteller denken eher in diese Richtung. Das heißt aber im Umkehrschluss auch: Wenn etwa Sony eine Platte von einem tollen Künstler veröffentlichen würde, den wir großartig fänden, könnte dies auch bei uns stattfinden. Uns geht es um Anspruch, kreatives Potential und wie damit seitens der Künstler und der Leute, die die Musik vertreiben, umgegangen wird.

kreuzer: Ein Stand von Sony oder BMG auf der Messe wäre aber schon problematisch, oder?

PUPPE: Die haben in der Regel auch gar kein Interesse. Meistens haben sie schon ein Problem damit, dass alle Stände bei uns gleich groß sind. Und dass sie bei uns nicht ihre Potemkinschen Dörfer aufbauen können, wie sie es früher auf der Popkomm gemacht haben, sondern dass sie neben einem kleinen Label stehen und die gleiche Präsenz haben. Praktisch ist es noch nicht vorgekommen, dass zum Beispiel Universal angeklopft hat. Im Zweifelsfall wird im Team darüber entschieden. Vor einigen Jahren gab es zum Beispiel eine Anfrage von Jägermeister, die ihre Rockliga auf der (Pop Up präsentieren wollten. Das haben wir diskutiert und abgelehnt, da sie Musik nicht in unserem Sinne behandeln, sondern Künstler nach einem Sportprinzip gegeneinander ausspielen und in ihrer Werbung nicht selten sexistisch sind.

kreuzer: Es besteht ja immer die Gefahr der Eindimensionalität der Diskussion, wenn sich die Teilnehmer subkulturell auf einer ähnlichen Wellenlänge befinden und sich auch das Publikum in denselben Diskursen bewegt. Insofern wäre es ja nicht uninteressant, die Vertreter der Industrie zu hören.

PUPPE: Was die Panels anbelangt, auf jeden Fall. Letztes Jahr hatten wir eine Diskussion zum Thema »Branding in der Musik«: Das meint, dass man als Band beispielsweise seinen Song an die Werbung verkauft und eine Automarke damit werben kann. Bei dieser Diskussion war auch ein Vertreter eines großen Labels anwesend, der sich gerade auf solche Dinge spezialisiert hat. Denn wir wollten auch seine Position zur Sprache bringen. Ob The Divine Comedy bei EMI unter Vertrag ist oder bei einem Wald-und-Wiesenlabel, spielt keine Rolle. Hinter The Divine Comedy steckt ein sehr guter Künstler, der aus den richtigen Gründen und mit dem richtigen kreativen Potential aktiv ist. Ich glaube auch, dass das Major-Independent-System, mit dem wir vor neun Jahren angefangen haben, ohnehin nicht mehr existiert. Das alte Raster ist nicht mehr vorhanden. Letztlich sind jetzt alle an dem Punkt, wo sie überlegen müssen, wie sie ihre Musik an den Mann bringen und wie man als Künstler überleben kann. Viele Künstler brauchen gar keine Labels mehr, es gibt völlig neue Strukturen.

kreuzer: Die Relikte der alten Struktur sind durchaus noch spürbar. Die ehemaligen Majors versuchen noch, den Fuß in der Tür zu behalten. Regelmäßig wird über Verluste gejammert. Firmen wie Universal beschreiten Grenzgebiete: Auf der einen Seite haben sie Shout Out Louds unter Vertrag. Gleichzeitig vertreiben sie aber auch genügend Viva-und MTV-Müll…

PUPPE: …und haben noch andere Firmen-Bereiche, die den Musikbereich mitfinanzieren. Letztlich kann niemand mehr ausreichend Geld mit Platten verdienen. Wahrscheinlich reichen 4000 im Supermarkt verkaufte Einheiten, um auf Platz 1 der Charts zu gelangen. Das alte Rollen-und Wertesystem der Musikbranche gibt es nicht mehr und niemand weiß, in welche Richtung es momentan geht. Inzwischen gibt es technische Möglichkeiten, über die man ganz legal gestreamte Musik hören kann. Es gibt fast keine Notwendigkeit mehr, Platten zu besitzen.

kreuzer: Wie kam die Entscheidung zustande, wieder ins Werk II zu gehen? War der Gang in den Volkspalast im letzten Jahr von Anfang an als Zwischenlösung gedacht?

PUPPE: Da wir alles ehrenamtlich organisieren, suchen wir jedes Jahr nach neuen Herausforderungen, weil wir nicht neun Jahre lang das Gleiche machen wollen. Spätestens seit letztem Jahr wollten wir das Konzept der Messe verändern und suchten nach mehr Raum dafür, weil die Halle A und Halle 5 im Werk II zu klein waren. Dann sind wir im Volkspalast gelandet. In diesem Jahr gibt es mit der Halle D im Werk II eine zusätzliche Halle. Diese wird saniert, zur Messe eröffnet und ist für uns eine weitere Konzerthalle. Nach acht Jahren Klubfestival auf der Südmeile, versuchen wir nun ein klassisches Festival mit dem Werk II als Mittelpunkt und den drei Bühnen UT Connewitz, Halle 5 und Halle D und zu veranstalten. Dort kann man sich dann wie auf einer Wiese zwischen den Bühnen bewegen.

kreuzer: Gab es eine bewusste Entscheidung gegen den Volkspalast?

PUPPE: Der einstige Betreiber des Volkspalastes, unser damaliger Ansprechpartner, ist fast direkt nach unserer Veranstaltung dort Pleite gegangen. Dann wurde bekannt, dass die Halle D im Werk II womöglich zur (Pop Up 2010 fertig werden könnte und es somit mehr Raum geben könnte. Wir waren immer sehr zufrieden mit dem Werk II und mit mehr Kapazität ist es jetzt natürlich perfekt.

kreuzer: Was ist in diesem Jahr neu?

PUPPE: Dieses Jahr gibt es zum Beispiel erstmals eine Lesebühne, auf der Elisabeth Rank, Wolfgang Frömberg und Sax Royale lesen werden. Die Couch vom letzten Jahr wird zum Interviewformat in einem Boxring ausgebaut. Dort werden Mohna, Carol von Rautenkranz, Shain Shapiro und Lars Lewerenz von Audiolith ihre musikalischen Vorlieben zu Besten geben. Es wird auch sonst viel zu sehen geben. Zum Beispiel eine Ausstellung mit Fotos eines Künstlers, der seinen Hund »Girella« zusammen mit vielen bekannten Musikern fotografiert hat. Erstmals gibt es ein Panel-Zelt auf dem Hof, damit alles ein wenig luftiger ist. Und wir versuchen diesmal mehr Lounge-Ecken zum angenehmeren Aufhalten einzubauen.

kreuzer: Dieses Mal sind es nur zwei Tage?

PUPPE: Bisher gab es nur einen wirklichen Messetag und vier Festivaltage. Dieses Jahr sind es nur zwei Tage, dafür finden aber auch an beiden Messe und Konzerte statt. Am Donnerstag gibt es zudem eine Vorab-Show mit Leipziger Bands im Ilses Erika und am Freitag geht es dann richtig los.

kreuzer: Der berühmte überfüllte Abend im Ilses Erika fällt also weg?

PUPPE: Das Ilses Erika ist neben UT Connwitz und den Bühnen im Werk II als einziger der Klubs der früheren Tage als After-Show-Location dabei. Das legendäre Sonntagmorgen-Besoffen-Tanzen im Ilses Erika bleibt also nicht aus. Darauf freuen sich schließlich auch unsere Aussteller.


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