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Politik

Zentrale Rolle im Nationalsozialismus

Bis zu 100.000 NS-Zwangsarbeiter wurden in Leipzig ausgebeutet – erinnert wird daran bislang kaum

  Zentrale Rolle im Nationalsozialismus | Bis zu 100.000 NS-Zwangsarbeiter wurden in Leipzig ausgebeutet – erinnert wird daran bislang kaum

Obwohl die Stadt Leipzig im NS-System der Zwangsarbeit eine zentrale Rolle spielte, wird in der Erinnerungskultur Leipzigs die Stadtgeschichte 1939-1945 kaum thematisiert. Verbreitung und Ausmaß der NS-Zwangsarbeit sind wenig bekannt. Die Erinnerung an die Friedliche Revolution liegt der Stadt näher und erzeugt positives Identifikationspotential mit der Vergangenheit. Das soll sich nach dem Willen des Fördervereins »Dr. Margarete Blank« ändern, wenigstens in kleinen Schritten.

In der Permoserstraße, auf dem Gelände, wo sich heute das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung befindet, wurden bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Munition und Waffen gefertigt. Die Rüstungsfabrik war der Stammsitz eines der größten Rüstungskonzerne Deutschlands, der Hugo-Schneider-Aktiengesellschaft, kurz HASAG. Vor allem Jüdinnen und Sinti und Roma wurden bei HASAG zur Arbeit mit giftigen Stoffen gezwungen und litten unter unmenschlichen Arbeits- und Wohnverhältnissen. Viele starben infolge dieser Bedingungen, die perfide Devise lautete: »Vernichtung durch Arbeit«.

Auch in Abtnaundorf gab es ab 1943 ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald, dessen Insassen man zur Arbeit in den Erla-Flugzeugwerken in Heiterblick zwang. In den Junkers-Flugzeugwerken Markkleeberg mussten Zwangsarbeiter an der Herstellung von Kriegsgerät mitarbeiten, das im Krieg gegen ihr eigenes Volk eingesetzt wurde. Darüber hinaus beutete der HASAG-Rüstungskonzern, der neben Werken in Altenburg, Meuselwitz und Schlieben auch Werke in Polen, in Kamienna, Kielce und Częstochowa unterhielt, tausende Kriegsgefangene und Häftlinge der Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück aus.

Heute informiert in der Permoserstraße die Gedenkstätte für Zwangsarbeit, die 2001 eingeweiht wurde und unter der Leitung des Fördervereins »Dr. Margarete Blank« steht, an die ZwangsarbeiterInnen, die während der Zeit des Nationalsozialismus in Leipziger Rüstungskonzernen ausgebeutet wurden. Dies war die erste Gedenkstätte in Deutschland, die sich mit diesem Thema auseinandersetzte. Ihr Ziel ist es, »das Leid der Menschen im nationalsozialistischen System von systematischer Ausbeutung und Vernichtung durch Arbeit« zu dokumentieren. Dieses Wissen über die Vergangenheit müsse in eine Beziehung zur Gegenwart gebracht werden: »Als Verpflichtung, nationalistischen, rassistischen, antisemitischen und anderen Ungleichwertigkeitsideologien in der Gegenwart stets und stetig entgegenzutreten«, so das aufklärerische Anliegen der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig.

In Leipzig gibt es drei Gedenkorte zur NS-Zwangsarbeit: Das Mahnmal in Abtnaundorf, den Gedenkstein in der Permoserstraße sowie eine Gedenktafel »Am Wolfswinkel« in Markkleeberg. Die Stele an der Theklaer Straße in Abtnaundorf etwa erinnert an 84 Zwangsarbeiter, die 1945 nach der Räumung des Abtnaundorfer Lagers bei lebendigem Leib verbrannt sind, nachdem die Aufseher während des Mittagessens ihre Baracke angezündet hatten. Diese drei Orte erinnern an Verbrechen an KZ-Häftlingen in den KZ-Außenlagern doch an die Zwangsarbeit sogenannter ZivilarbeiterInnen und Kriegsgefangener wird bis heute an keiner Stelle gedacht. Und das trotz der bis zu 100.000 ausländischen Arbeitskräfte, die im Leipziger Stadtgebiet in 750 Lagern für Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden. Eine immens hohe Zahl, hatte Leipzig zu dieser Zeit doch insgesamt nur 580.000 Einwohner.

Obwohl die Stadt Leipzig im System der nationalsozialistischen Zwangsarbeit eine zentrale Rolle spielte, wird in der Erinnerungskultur Leipzigs die Stadtgeschichte 1939-1945 nur wenig thematisiert. Verbreitung und Ausmaß der NS-Zwangsarbeit sind wenig bekannt. Die Erinnerung an die friedliche Revolution liegt der Stadt näher und erzeugt positives Identifikationspotential mit der Vergangenheit. Das soll sich ändern, wenigstens in kleinen Schritten.

Deshalb veranstaltet der Förderverein »Dr. Margarete Blank« am Donnerstag um 19.30 Uhr eine Podiumsdiskussion zum Thema »NS-Zwangsarbeit in der lokalen Erinnerungskultur Leipzigs – Entwicklungen und Perspektiven«. Das Podium wird sich umfassend mit dem Stellenwert von NS-Zwangsarbeit im Gedächtnis Leipzigs beschäftigen, und das nicht in irgendeinem Hinterzimmer des Vereins, sondern an passenderer Stelle: im Ratsplenarsaal des Neuen Rathaus.


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