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Kultur

Extreme Musik für Extremisten?

Musik oder Lärm – Dokumentarfilm erzählt die Entstehungsgeschichte des Black Metal

  Extreme Musik für Extremisten? | Musik oder Lärm – Dokumentarfilm erzählt die Entstehungsgeschichte des Black Metal

Nehmen sich die Typen selbst ernst oder ist das eine große Groteske? Und wie viel Satan steckt drin, im »100 % true Norwegian Black Metal«? Die Dokumentation »Until the Light Takes Us« widmet sich diesen Fragen und wirft diffuse, weil vielstimmige Schlaglichter auf die Entstehungsgeschichte des Black Metal in Norwegen. Das ist ihre Stärke!

Im Zentrum dieses gerade erschienenen Dokumentarfilms »Until the Light Takes Us« stehen drei Protagonisten der ersten Stunde, als der Metalstil in den späten 1980ern und frühen 90ern gerann. Unter den sehr unterschiedlichen Black-Metal-Geburtshelfern darf selbstredend der berüchtigte Varg Vikernes, besser bekannt als »Count Grishnackh« von der Band Burzum nicht fehlen. Zur Zeit des Drehs saß er noch im Gefängnis, weil er einen Musikerkollegen erstach.

Hat Vikernes insbesondere durch seine Hinwendung zu nationalsozialistischen Denkschemata und Antisemitismus die Black-Metal-Szene gespalten – viele fanden diese Art der Politisierung nicht verkehrt –, so gibt er sich im Interview milder und ist vielleicht auch ein Stück weit geläutert. Und doch schimmert ein krudes Weltbildes durch, etwa wenn er vom globalen Gefängnis der jüdisch-christlichen Weltordnung und Zerberus USA schwadroniert, gegen die eine Rückwendung zu früheren skandinavischen Kulturen und die Odin-Verehrung Abhilfe schaffe.

So richtig anfreunden kann man sich mit dem Mayem-Drummer Jan Axel »Hellhammer« Blomquist – der ein größeres Intermezzo gibt – auch nicht, besonders wenn mit Sätzen wie: »Als ich hörte, dass Faust in Lillehammer diese Schwuchtel umgebracht hatte, war ich sehr überrascht« einen homophoben Mord kommentiert und den Täter, der befreundete Musiker Faust, lobt: »Denn ich hätte nicht gedacht, dass er soviel Mut hatte. Ich bewundere ihn dafür.« So nimmt es nicht Wunder, dass sich alle heimliche wie offene Sympathie des Zuschauers in der Person Gylve Nagells, Kampfname »Fenriz«, bündelt. Der Darkthrone-Schlagzeuger ist ein Eigenbrötler von echtem Schrot und Korn und man kann sich seiner Spielart von Charme nicht entziehen.

Nagell spricht über moderne Kunst und spielt seine Lieblingsplatten vor. Man reist mit ihm durch die Lande, stapft durch verschneite Wälder und lässt eine Personenkontrolle über sich ergehen. Der Verkauf von schwarzem Lippenstift habe sich wohl sehr erhöht, meinte Nagell ironisch-lakonisch, als er auf die spätere Popularität der Nischen-Kultur Black Metal und das satanische – von vielen Musikern auch selbst gepflegte – Image angesprochen wird. Denn eine Ansammlung brennender Stabkirchen und die Teufelsanbetung sind die Marker, welche medial bis heute das Bild des Black Metal bestimmen.

Daran sind die Selbstinszenierungen vieler Protagonisten nicht unschuldig und doch konterkariert sich ihr dämonisches Bild, wenn sie auf Fotografien mit Monsterschminke und Schmuck-Waffen vor der IKEA-Einbauschrank-Welt posieren. Es gibt eben auch kein richtig böses Leben im Falschen. Wenn der einzig-wahre Black-Metal-Sound als unkommerzielles Unterground-Geballer zelebriert wird, und erst durch schlechte Mikros und einfache Aufnahmegeräte auf räudige Demotape-Qualität gebracht als »true« angesehen wird, zeigt sich Black-Metal als Wiedergeburt des Punk in langen Loden und Corpse Paint.

Und wie bei diesem so kann auch der Black Metal seiner kulturindustriellen Vermarktung nicht entgehen und wird zu einem Trend, wie der dritte Protagonist des Filmes zeigt: Kjetil »Frost« Haraldstad von Satyricon. Der Zuschauer wohnt seiner Performance vor der Mailänder Kunstszene bei: Erst brennt er Zeichnungen an den Wänden nieder, dann setzt er das Messer an einer Couch an, dann bei sich selbst. So krass man seine Aktion auch finden mag, im geschützten Raum einer Galerie stattfindend, sieht sich die Selbstzerstörung unterscheidungslos zu anderen Acts der Body-Art-Szene – der suggerierte Ausnahmezustand Black Metal ist hier perdu.

Ein kleines Kunststück ist den Filmemachern Aaron Aites und Audrey Ewell gelungen: Weder vergöttert der Film den Black Metal, noch spielt er ihn herunter, macht ihn lächerlich. Ohne Erklärungen, Belehrungen und Kommentare lässt der Film die Protagonisten ungefiltert zu Wort kommen. Selbst auf die entsprechende E-Gitarren-Musik wird fast durchgängig Verzicht geleistet: Es dominieren elektrische Modulationen als Hintergrunduntermalung. Herausgekommen ist dabei eine widersprüchliche Montage, welche die Züge des Absurden genauso wie die Anziehungskraft des metallischen Subgenres abbildet. Ist Black Metal extreme Musik für extreme Menschen (um den Deathmetaller Morbid Angel zu paraphrasieren)? Positionieren muss sich der Zuschauer – in erster Linie ästhetisch, aber nicht nur.


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