Eigentlich wäre dies der Stoff für ein großes, schwules Melodram, das von den Lügen und der Repression, vom Coming Out und dem viel zu späten Glück erzählt. Aber Mike Mills »Beginners« spielt das Thema über Bande an, indem er den Sohn zur zentralen Erzählfigur macht, der nach dem Tod des Vaters seine Erlebnisse mit den unglücklich verheirateten Eltern Revue passieren lässt. »Beginners« läuft derzeit im Kino.
Den Heiratsantrag machte die Mutter. Dass ihr zukünftiger Gatte schwul war, störte sie nicht. »Das kann ich heilen«, hatte sie damals Anfang der 50er zu ihm gesagt, als man noch fest davon überzeugt war, dass Homosexualität eine Krankheit sei. Der Vater ergriff die Chance in der Hoffnung endlich den eigenen verbotenen, sexuellen Neigungen zu entkommen – ein zum Scheitern verurteiltes Vorhaben und der Beginn einer unglücklichen Ehe. Erst nach dem Tod seiner Frau eröffnet Hal (Christopher Plummer) im Alter von 75 Jahren seinem Sohn Oliver (Ewan McGregor) und dem Rest der Welt, dass er homosexuell ist und stürzt sich freudvoll in die schwule Subkultur.
Allerdings wird der neu erwachte Lebenselan schon wenig später durch eine Krebsdiagnose ausgebremst. Mike Mills hat bereits in »Thumbsucker«, der 2005 im Wettbewerb der Berlinale lief, ein gutes Gespür für dysfunktionale Familienkonstellationen gezeigt. In »Beginners« reflektiert er nun die eigenen persönlichen Kindheitserfahrungen und findet dafür einen angenehm lakonischen Erzählton, der mit humorvoller Distanz die Depressivität seiner Hauptfigur beschreibt.
Begleitet von Olivers Off-Kommentar mäandert der Film entspannt zwischen drei Zeitebenen: Den Rückblenden in die Kindheit, in der der Junge vage zu spüren beginnt, dass in der Beziehung seiner Eltern etwas nicht stimmt. Den Erinnerungen des erwachsenen Sohnes, der seinen Vater nach der Krebsdiagnose pflegt und in den Tod begleitet. Und schließlich der Gegenwartsebene, auf der Oliver sich nach dem Tod des Vaters vorsichtig in die französische Schauspielerin Anna (Mélanie Laurent) zu verlieben beginnt. Das ist für einen Mann wie ihn kein einfaches Unterfangen. Olivers Beziehungen haben bisher nach kurzer Zeit im Ungefähren geendet und nun hat er sich fest in seine Trauergefühle eingewickelt.
Aber auch Anna, die einen ganzen Ozean zwischen sich und ihre Vergangenheit gebracht hat, ist mit der Einsamkeit und dem langsamen Wachstum großer Gefühle vertraut. Die beiden lernen sich auf einer Kostümparty kennen, auf der Oliver als schlechtgelaunter Sigmund Freud erscheint und Anna wegen einer Kehlkopfentzündung nicht sprechen darf. Die Kommunikation über Zettelbotschaften erspart ihnen (und dem Publikum) mühsame Kennenlerngespräche und ist typisch für die augenzwinkernde Art, mit der Mills sentimentale Klischees unterläuft.
In seiner klug konstruierten Erzählung verschlingt Mills die verschiedenen Zeitebenen miteinander und zeichnet ein differenziertes Bild von der seelischen Gemengelage seiner Hauptfigur zwischen Kindheitserinnerungen, Trauergefühlen und einer neu aufkeimenden Liebe. Ganz ohne küchenpsychologische Exzesse zeigt »Beginners« den verheerenden Einfluss gescheiterter Elternbeziehungen – und den langsamen Prozess der Befreiung aus dem Gefängnis der Erinnerung.