Wo andernorts der bewegten Bilder wegen rote Teppiche vor den Kinosälen ausgerollt werden, wird in Cottbus, zum satten Blau gegriffen. Dann, wenn die zweitgrößten Stadt Brandenburgs im blauen Glanz erstrahlt, öffnet das FilmFestival Cottbus seine Tore und bittet Filmemacher und Schauspieler, Cineasten und Neugierige zur Filmschau. Als führendes Festival des osteuropäischen Films weltweit bietet das Filmfest einen umfassenden Überblick über die gesamte aktuelle mittel- und osteuropäische Spielfilmproduktion. Mehr als 140 Filme aus über 30 Ländern flimmern in den nächsten Tagen über Cottbusser Leinwände und entführen die Besucher auf einen kulturellen Streifzug durch Polen und Georgien, Rumänien und Russland, durch Litauen, Kasachstan oder die Tschechische Republik.
In diesem Jahr dominieren junge Filmemacher und ihre Geschichten das Festivalprogramm. Allein im Wettbewerb laufen vier Filme über junge Menschen zwischen Hoffnung und Enttäuschung, Träumen und bitterer Realität. Der tschechische Wettbewerbsbeitrag »Personalausweis« von Ondřej Trojan erzählt von Petr und seinen Kumpels, die sich vornehmlich zum Trinken, Musik hören und über Mädchen reden treffen. Doch der sozialistische Staat – die Tschechoslowakei 1974 – wirft seine Schatten weit voraus. Mit dem Übergang zum Erwachsenensein und dem langersehnten Personalausweis verliert sich die jugendliche Sorglosigkeit und die jungen Männer müssen schmerzlich erkennen, dass sie mit dem Dokument ihre Freiheit gegen ein Leben im kommunistischen Korsett eintauschen. Auf kommunistische Zeiten zurück blickt auch Dmitry Povolotsky. In seinem Film »Mein Vater Baryshnikov« tanzt sich der junge Boris im Moskau der 1980er Jahre die Seele aus dem Leib. Der Schüler gehört eher zu den Uncoolen seine Jahrgangs und träumt – natürlich – vom schönsten Mädchen der Klasse. Eines Tages eröffnet er seinen Altersgenossen, dass der berühmte Ballettänzer Mikhail Baryshnikov sein Vater sei und bringt alles durcheinander. Chaotisch geht es auch in Leszek Davids Langfilmdebüt »Ich heiße Ki« zu. David erzählt darin die Geschichte einer jungen Frau, die sich konsequent weigert, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und ziellos durchs Warschauer Nachtleben streift. Tagsüber verdient sie sich ein wenig Geld als Aktmodel, den Rest zahlt das Sozialamt. Ihr kleiner Sohn Pio macht sich irgendwo dazwischen breit.
Leszek Davids Film ist einer von 43 deutschen Erstaufführungen, die vom 1. bis 6.11. in Cottbus gezeigt werden. Neben den jugendhaften Geschichten ist der Wettbewerb geprägt von Geschichten über korrupte Gesellschaften und ehemalige Kriegsgebiete und blickt tief in menschliche Abgründe. Verwirrend und spannend zugleich geht es in einem weiteren russischen Wettbewerbsfilm zu: Angelina Nikonova beleuchtet in »Porträt im Zwielicht« das Verhältnis zwischen einer jungen Frau und ihrem Peiniger. Marina, Mitglied der neuen russischen Oberschicht, ist von ihrem Leben gelangweilt. Als sie von einem Polizisten vergewaltigt wird, ändert sich alles. Sie lauert dem Mann auf, um sich zu rächen. Doch der Rachefeldzug scheitert auf obskure Weise.
Insgesamt zehn Wettbewerbsbeiträge konkurrieren um den Hauptpreis, die Lubina (sorbisch: die Liebreizende), für den besten Film, der mit 20.000 Euro dotiert ist. Am Samstag wird die Festivaljury den Gewinner der gläsernen Lubina küren. Bis dahin bietet das FilmFestival Cottbus einen bunten Mix aus osteuropäischer Filmkost, Konzerten, Retrospektive, Lesungen, Ausstellungen, Partys und zahlreichen Gesprächen mit Filmemachern, Produzenten und anderen Beteiligten. Wer wissen möchte, ob Baryshnikov nun Boris Vater ist oder eines der ältesten deutschen Kinos, das wiedereröffnete 100-jährige Weltspiegel, sehen möchte, das in diesem Jahr als neue Spielstätte des Festivals fungiert, der sollte eine Reise in die Lausitz wagen. Wert ist sie es allemal.