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Kultur

Wie viel Rute darf es sein?

Eine kleine Theaterdebatte um die Rolle des Weihnachtensmanns in der Heiligabendinszenierung

  Wie viel Rute darf es sein? | Eine kleine Theaterdebatte um die Rolle des Weihnachtensmanns in der Heiligabendinszenierung

»Lieber guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an«: Ist das Weihnachtsmann-Ritual mit Rutendrohen und Sackschütteln am Gabentisch überhaupt noch zeitgemäßes (Laien-)Theater? Ein Pro und Contra.

Pro – Säge nicht am Evergreen

Theater braucht Gemeinschaft und welch besseres Mittel kann es geben, ein solch inniges Fest wie jenes der Liebe mit Theater zu zelebrieren? Die Runde um den Tannenbaum ist ohne Weihnachtsmann gar nicht vorstellbar. Denn Gemeinschaft baut auf Opfer und Bereitschaft, was man am Gabentisch lernen kann. So gewinnt man hier eine tiefe pädagogische Einsicht. Einer muss sich bereit erklären, in einem albernen roten Kostüm mit Plüschmütze und dick wattiertem Gesicht bei 25 Grad Zimmertemperatur fürs Familienglück fast zu verglühen. Dieser Schwitzensmann darf einmal im Jahr das tun, was auf allen Bühnen heutzutage mit »Igitt!« und »Pfui!« abgewatscht wird: den moralischen Zeigefinger heben. Wo sonst noch sollen Kinder erfahren, dass Handeln auch Konsequenzen hat? Die Schule hat keinen pädagogischen Auftrag mehr, das Krippenspiel fördert kleine Paschas und Diven zuhauf: Kaum geboren und nichts geleistet, dennoch machen gleich Könige ihre generöse Aufwartung.

Die Inszenierung mit dem drohenden Ruterich atmet den Geist der Aufklärung. »Habe Mut, für dein Handeln die Verantwortung zu übernehmen«, das trainiert für die Leistungsgesellschaft. Zudem fördert das Rollenspiel rund um den grünen Baum Geduld und Konzentration nicht nur bei den Kleinen. Auch die Eltern verinnerlichen das Motto »Wer nicht arbeitet, der bekommt auch keine Geschenke« erneut. Wiederholung ist ein uraltes Theaterprinzip. Nicht jede tradierte Aufführungspraxis muss ewig neuem, ewig beliebigem Regietheater mit selbstgeschriebenen Märchen weichen oder ins Stroh der christlichen Mythoskiste zurückfallen. Manchmal darf es eben auch der moderne Klassiker sein.

Contra – Krippenspiel,  ja, Weihnachtsmann, nein

Glasige Kinderaugen, gerötete Wangen und freudige Erwartung. Tatsächlich kann Weihnachten den Jüngsten solch frohen Momente bieten oder aber auch ganz andere. Zu den frohen gehört das Krippenspiel oder – säkular gewendet – das selbstgemachte Weihnachtsmärchen. Die Kinder spielen entweder selbst Josef, Maria, Engel und Schaf oder sehen ihren Freundinnen und Freunden beim bunten Treiben rund um Krippe, Stern oder eben im Märchenwald zu. Die uralte Kulturform Theater zeigt sich hier als nahbarer Einfühlraum, als Selbstbewusstseinsgenerierungsapparat für jene auf der Bühne und als Motivation für die davor.

So weit die gute Pädagogik, kommen wir zur dunklen Seite der Weihnachtsmacht. Er ist groß, in Coca-Cola-Markenfarben angestrichen, ist vermummt und mit Rute und Sack bestimmt. Repression pur! Rund dreimal so groß wie der Delinquent trägt er diesem nach einschüchterndem »Ho-Ho-Ho« aus einem goldenen Buch die Verfehlungen des letzten Jahres vor. Dahinter stehen die selbstgerechten Eltern, die in ihrer Inkonsequenz nicht selbst den Mumm haben, mit ihrem Kind über die Verfehlungen in Dialog zu treten, sondern eine imaginierte Moralinstanz als letztes Erziehungsmittel aus der Kategorie Angst und Terror anrufen. Zuckerbrot und Peitsche, die Geschenke aus dem Kartoffelsack gibt es danach. Erniedrigung statt Selbstbewusstsein. Kriechen um zu kriegen. Das ist dem Fest der Liebe unwürdig und so etwas von vormodern, das man am liebsten die Rute greifen würde, um sie an den wahren Tätern anzuwenden. Aber wir bleiben friedlich und freuen uns auf postmoderne Seligkeit – ohne Weihnachtsmann, aber mit viel Theater.


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