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Filmkritik

Kribbeln, Schmerz und Euphorie

»Anne liebt Philipp« zeigt die erste Liebe bei Zehnjährigen

  Kribbeln, Schmerz und Euphorie | »Anne liebt Philipp« zeigt die erste Liebe bei Zehnjährigen

Mit Zärtlichkeit und Witz widmet sich die norwegische Regisseurin Anne Sewitsk dem Verliebtsein und all seinen Facetten aus der Sicht eines Kindes.

Liebe ist etwas für Erwachsene. Davon ist die zehnjährige Anne (Maria Annette Tanderø Berglyd) fest überzeugt. Dass das eine viel zu komplizierte Angelegenheit ist, sieht man schon an den Eltern. Wenn die Mutter im Streit das Geschirr zerschlägt, die beiden sich schon bald danach wieder küssen und der Vater das Porzellan neu zusammenkittet. Oder an ihrer Freundin Beate, die in den Einar verliebt ist, ihm das aber nicht sagen kann und lieber mit einem Liebesroman in der Hand zu Hause auf dem Sofa schmachtet. Und dann gibt es auch noch die Geschichte von Helga, die ein paar Straßen weiter wohnte und spurlos verschwand. Man erzählt sich, sie habe sich in einen jungen Mann verliebt, den der Vater nicht akzeptieren wollte. Ob sie sich aus Kummer ins Meer gestürzt hat oder von ihrem Vater lebendig eingemauert wurde, weiß niemand so genau. Auf jeden Fall spukt es seit ihrem Verschwinden im leerstehenden Helga-Haus. So wie Helga möchte Anne auf keinen Fall enden. Sie ist die einzige in der Klasse, die sich nicht für Jungs interessiert, höchstens für die lässigen Hosen ihres großen Bruders, die sie ihm klaut - und mitten auf dem Schulhof wieder hergeben muss. Aber dann zieht Philipp (Otto Garli) in die Stadt - ausgerechnet ins Helga-Haus - und Anne spürt, dass es im Bauch kribbelt, wenn sie ihn sieht. Und das ist nur eines von vielen Gefühlen, die über das Mädchen hereinbrechen. Später kommt auch noch Eifersucht hinzu, als sich Ellen mit ihrem blonden Shampoowerbungshaar an den Neuling in der Klasse heranmacht.

Eltern wollen es oft nicht wahrhaben, aber auch mit zarten zehn Jahren können sich Mädchen und Jungen verlieben, mit genau dem gleichen Kribbeln, genau dem gleichen Schmerz und einer vielleicht noch größeren Euphorie als es Jugendliche und Erwachsene tun. Ganz ohne tantige Betulichkeit widmet sich die norwegische Regisseurin Anne Sewitsky, die hier das Kinderbuch von Vigdis Hjorth aus dem Jahre 1984 verfilmt, der allerersten Liebe und begegnet dem plötzlich hereinbrechenden Chaos der Gefühle auf Augenhöhe. Nie wird die Perspektive der kindlichen Ich-Erzählerin verlassen. Mit Zärtlichkeit und Witz werden hier die sich verändernden Emotionen verhandelt und durch Fantasievorstellungen, die sich um das gruselige Helga-Haus ranken, poesievoll ins Bild gefasst. Dabei kann sich Sewitsky ganz auf ihre beiden herzallerliebsten Hauptdarsteller verlassen, die die kindliche Liebe füreinander als etwas vollkommen Normales zeigen und das unbeholfene Gekicher im Kinosaal schnell verstummen lassen. »Anne liebt Philipp« ist eine echte Perle in der Kinderfilmlandschaft. Statt allseitiger Belustigung von 0-99, betreibt der Film mit seiner mitreißenden Geschichte voller Tiefgang, Wärme und Humor etwas, das mit dem altmodisch klingenden Begriff der »Herzensbildung« treffend beschrieben werden kann und in der lärmenden Family-Entertainment-Kultur nur noch selten Platz findet. Der Film ist ab sechs Jahre freigegeben, aber eigentlich erst für Kinder ab 10 geeignet.


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