anzeige
anzeige
Kultur

Bretter, die die Welt bedrohen

Black-Metal-Bildungsrevue: Warum das Stück »Invisible Orange« eine Theaterempfehlung nicht nur für Metal-Fans ist

  Bretter, die die Welt bedrohen | Black-Metal-Bildungsrevue: Warum das Stück »Invisible Orange« eine Theaterempfehlung nicht nur für Metal-Fans ist

»Dark Throne«, »Mayhem«, »Haemorrhage« – Die verästelten Logos, die die zwei Catwalk-Modelle mit Corpsepaint im Gesicht auf T-Shirts zur Schau tragen, sind für Laien nicht gleich erkennbar. Und doch liefern sie Unbedarften eine kleine Stilkunde der Metal-Mode. Diese Laufstegeinlage ist nur einer der vielen Einfälle, mit der die Inszenierung »Invisible Orange« gespickt ist wie die Nietenrüstungen mancher Metal-Musiker. Originell im Zuschnitt, ist die Theater-Produktion von Friendly Fire für Fans wie Unbedarfte ein Smash-Hit.

»Metalion and his Slayer Mag are responsible for me (and a lot of other Swedes) getting into the death metal underground…« – Tomas Lindberg, Musiker bei Größen wie Grotesque, At the Gates. Disfear, fasst zusammen, was viele Metal-Fans und -Musiker Jon »Metalion« Kristiansen und seinem Fanzine Slayer zu verdanken haben. Im Jahr 1985 zum ersten Mal herausgekommen, wurde das Magazin zu einem wichtigen Sprachrohr des extremeren Metals. Die 2011 erschiene Anthologie »Metalion: The Slayer Mag Diaries« feiert die Heftreihe, die weit mehr als eine Chronik des norwegischen Black Metals darstellt. Sie gaben den Anlass für die freie Theatergruppe Friendly Fire, eine Black-Metal-Inszenierung ins Werk zu setzen.

Das Slayer Mag ist ein wirkliches Provinzgezücht. Metalion wuchs in der Kleinstadt Sarpsborg im norwegischen Südosten auf, einem Ort, der von einer Papierfabrik geprägt ist. Hier sollte Metalion auch kurz einem Job nachgehen, bis er bemerkte, dass er für das geregelte Leben nicht recht taugte. Metal wurde für ihn zum Fluchtpunkt und Aufgabe zugleich, zum Rettungsanker aus der langweiligen Normalität. Davon berichtet er ausführlich in den »Diaries«, die sich als Coming-of-Age-Story streckenweise lesen wie Rocko Schamonis Bildungsroman »Dorfpunks«. Nur ist es eben nicht der Punk, der Metalion zum Ausbruch aus der Bürgerswelt inspirierte. »Invisible Orange« setzt an diesem biografischen Punkt an und parallelisiert Metalions Erwachsenwerdung mit der größeren Metal-Geschichte. So ist von seiner Freundschaft mit den Mayhem-Musikern ebenso zu erfahren, wie juvenilen Saufgelagen und deren Auswirkungen auf Teppichböden und den Tag danach. Dabei nimmt die Produktion die Musik absolut ernst, lässt die Bretter, die die Welt bedrohen, auch ungefiltert zum Röhren kommen. Es gibt auf die Fresse. Das ist die erste gute Nachricht: Die Musik steht für sich selbst.

Im Spiel mit den Posen und Elementen der Differenz zeigt sich die Inszenierung zudem paradigmatisch für die Ich-Werdung junger Menschen an sich. Projektionen und Entfremdungen unterstützen diesen allgemeineren Zugriff, der das schiere Abfeiern der Szene vermeidet. Ein weiterer Pluspunkt, weil das schon so oft geschehene und immer langweilige bloße auf die Bühne-Heben einer Subkultur unterbleibt. Da ist »Invisible Orange« schon ein bisschen sperriger, ist weder Aufklärungsstück noch plakatives Postulat. Der theatrale Trip im Rückspiegel der Musikgeschichte beinhaltet eben auch Brüche und Friktionen, die einer heilen Metal-Welt-Beschreibung entgegenstehen. Und sogar eine Spur Lokalkolorit findet sich hier: So ist zu erfahren, wie das Mayhem-Album »Live in Leipzig« entstand, und durch welche Umständen die Black-Metal-Legende einst im Eiskeller spielten.


Kommentieren


0 Kommentar(e)