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Kultur

»Für mich ist Marilyn ein ruheloser Geist«

Die US-Schauspielerin Michelle Williams über ihre Rolle als Marilyn Monroe und ihre Begeisterung für Wim Wenders

  »Für mich ist Marilyn ein ruheloser Geist« | Die US-Schauspielerin Michelle Williams über ihre Rolle als Marilyn Monroe und ihre Begeisterung für Wim Wenders

Als Jen Lindley in »Dawson's Creek« wurde sie einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Der Leinwanddurchbruch gelang ihr mit Wim Wenders »Land Of Plenty«. Für ihre Rollen in »Brokeback Mountain« (R: Ang Lee, 2005) und »Blue Valentine« (R: Derek Cianfrances, 2010) erhielt sie jeweils eine Oscar-Nominierung. Auch ihre überzeugende Darstellung der Marilyn Monroe in »My Week With Marilyn« wurde mit einer Oscar-Nominierung bedacht. Die Kritik zum Film finden Sie in der aktuellen Ausgabe des kreuzer.

kreuzer: Eine Ikone wie Marilyn Monroe zu spielen ist keine leichte Aufgabe. Wie viel Respekt hatten Sie vor dieser Rolle?

MICHELLE WILLIAMS: Ich kam zu diesem Filmprojekt wie zu jedem anderen. Das Skript kam mit einem ganzen Bündel von Drehbüchern in einem Paket zu mir nach Hause. Ich habe das Drehbuch im Bett in einem Zug durchgelesen und mir war sofort klar, dass ich diese Rolle spielen will. Ich wusste noch nicht, ob ich es kann und ob ich gut genug dafür war, aber ich wusste, dass ich es wollte. Die Bedenken kamen erst am nächsten Tag, als mir bewusst wurde, auf was ich mich da einlasse. Da nisteten sich die Zweifel in meinem Kopf ein, mit denen ich mehr als ein Jahr gekämpft habe. Aber auf solche Herausforderungen lasse ich mich gern ein, weil ich als Schauspielerin immer etwas dazulernen will: über mich selbst, mein Handwerk, über die Person, die ich spiele, und über die Welt im Allgemeinen. Ich bin immer noch sehr neugierig.

kreuzer: Was haben Sie über Marilyn Monroe dazu gelernt?

WILLIAMS: Wo soll ich da anfangen? Mit ihrem Sinn für Humor, ihrem sprühenden Geist, ihrer Verspieltheit, ihrer scharfen Intelligenz, die sich schon in normalen Geschäftsbriefen zeigt. Meine Vorstellung, die ich von ihr vor der Arbeit an diesem Film hatte, war sehr unvollständig. Als Jugendliche hatte ich in meinem Zimmer ein Foto, auf dem sie barfuß über die Wiese geht. Mein Bild von ihr als unschuldiges Wesen, als Kind im Körper einer Frau war sehr stark mit dieser Aufnahme verbunden. Aber da kam natürlich durch die Vorbereitung auf diesen Film noch einiges dazu. Ich habe über sie so viel Material wie möglich in mich aufgenommen. Sogar während des Drehs habe ich noch weiter gelesen. Für mich ist Marilyn Monroe vor allem ein ruheloser Geist, der ein Leben lang um Wertschätzung gerungen hat. Dieser alltägliche Kampf um Anerkennung spiegelt sich in ihren Briefen und Tagebüchern deutlich wieder. Da war immer dieses Bemühen, dieses Streben, das Bedürfnis sich zu beweisen.

kreuzer: War Marilyn Monroe süchtig nach Aufmerksamkeit?

WILLIAMS: Marilyn Monroe brauchte diese Aufmerksamkeit, um das auszugleichen, was ihr als Kind fehlte. Sie hat in ihrer Kindheit enorme Verluste erlitten. Ihre Mutter war in der Psychiatrie und ihren Vater hat sie nie gekannt. Sie hat ein Leben lang nach ihm gesucht. Aber auch als sie schon ein Filmstar war, wollte sich keiner zur Vaterschaft bekennen. Vor jeder Tür, an der sie klingelte, hieß es: »Nein, du bist nicht mein Kind.« Aus all diesen offensichtlichen Gründen war Aufmerksamkeit für sie von enormer Bedeutung. Wenn ein Baby zu lange keinen Körperkontakt hat, stirbt es. Marilyn Monroe brauchte die Aufmerksamkeit, um zu überleben.

kreuzer: Gleichzeitig wurde die Aufmerksamkeit, um die sie gerungen hat, zu ihrem Gefängnis.

WILLIAMS: Genau das finde ich interessant. Aufmerksamkeit ist immer eine zweischneidige Angelegenheit. Als sie mit 15 zum ersten Mal im Bikini am Strand entlang ging und die Reaktion der Männer sah, hat sie gehofft, über diesen Effekt endlich etwas von dem Zeug zu bekommen, das sich Liebe nennt. Deshalb hat sie diese Kunstfigur der Marilyn Monroe aufgebaut – und das hat sie meisterhaft gemacht. Es sah aus, als wäre ihr alles von Gott gegeben, aber sie hat diese Ikone mit ihrem Intellekt selbst erschaffen. Sie konnte aus dieser Figur auch nach Belieben ein- und aussteigen. Sie musste nur einen Regenmantel überziehen und einen Hut aufsetzen und konnte unbehelligt durch New York laufen. Als sie das Bild der Marilyn Monroe schließlich perfektioniert hatte, versuchte sie dann – oftmals vergeblich – die Aufmerksamkeit auch auf andere Eigenschaften ihrer Persönlichkeit zu lenken.

kreuzer: Worum ging es Ihnen, als Sie mit dem Schauspielen angefangen haben?

WILLIAMS: Als Kind wollte ich zuerst Boxerin, dann Fernfahrerin und schließlich Schauspielerin werden. Es muss also schon etwas Masochistisches in mir stecken. Aber bei der Wahl meines Berufes ging es mir nicht um die Aufmerksamkeit, die man damit erlangen kann. Ich wollte von Anfang an eine ernsthafte Schauspielerin werden und die Wertschätzung haben, die damit einher geht.

kreuzer: Diese Wertschätzung bringt Ihnen die Filmbranche heute reichlich entgegen. Wie haben Sie das geschafft?

WILLIAMS: Das hat sehr viel mit Glück zu tun und mit Erfahrungen und Momenten, die einem noch jahrelang zum Weitermachen ermutigen. Dazu gehörten das erste Theaterstück, in dem ich auf der Bühne stand, die Rolle, die Wim Wenders für mich in »Land Of Plenty« geschrieben hat, und Sandra Goldbachers »Meine beste Freundin«, wo ich eine jüdische Intellektuelle und Schriftstellerin spielen konnte. Das waren Filme, wie ich sie mir selbst gern im Kino angeschaut habe und immer schon machen wollte. Aber dafür braucht man Menschen wie Wim Wenders, die einen in diese Welt führen und dir sagen: »Hier gehörst du hin.« Ich war damals erst 21, als ich mich das erste Mal mit Wim Wenders getroffen habe. Und wenn mich damals jemand nach meinen drei Lieblingsfilmen gefragt hätte, hätte ich geantwortet: »Paris, Texas«, »Paris, Texas« und »Paris, Texas«. Mit Wenders zu drehen, war für mich eine Riesensache. Mir hätte es damals schon gereicht, mich mit ihm zum Frühstück zu treffen und einfach nur zuzusehen, wie er seinen Croissant isst. Als er dann später anrief und tatsächlich einen Film mit mir machen wollte, konnte ich das kaum glauben. Von dieser Erfahrung habe ich noch jahrelang gezehrt.


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