Sie sind Freundinnen der Nacht und Schwestern nicht nur im Geiste: Sandra und Kerstin Grether. Die Erste ist bekannt durch die Riot-Grrrl-Punkband Parole Trixie, die Zweite durch ihren Pop-Roman »Zuckerbabys«. Zusammen organisierten sie den Slutwalk in Berlin und brachten eine Anthologie über Madonna heraus. Und jetzt ihre erste gemeinsame Platte als Doctorella. »Drogen und Psychologen« heißt die und was das jetzt werden soll, verraten uns die beiden im Interview. Dass Sandra und Kerstin Grether die Antworten in trauter Zweisamkeit geben, liegt nicht daran, dass die beiden sie im Chor sangen – auch wenn das eine schöne Vorstellung wäre –, sondern am schriftlich geführten Austausch.
kreuzer: Wer lügt mehr, wer lügt besser: Drogen oder Psychologen?
KERSTIN UND SANDRA GRETHER: Drogen lügen mehr, aber Psychologen lügen besser!
kreuzer: Ihr singt »Lass uns Märchenwesen sein«. Was für ein Märchenwesen ist Doctorella?
GRETHERS: Wenn man den Begriff des Märchens nicht allzu eng fasst, würden wir sagen: Doctorella ist eine moderne Mischung aus Barbarella und Cinderella. Oder auch Schneeweißchen und Rosenrot, inklusive des Bärs in doppelter Ausfertigung, das sind die Jungs in der Band.
kreuzer: Und was unterscheidet sie von Parole Trixi?
GRETHERS: Alles! Parole Trixi war Punk-Rock und Doctorella sind Electro-Rock-Chansons mit Pop-Appeal und Underground-Prägung. Doctorella ist also ein völlig anderer musikalischer Entwurf. Bei Parole Trixi ging es darum, die Albträume auszuloten und bei Doctorella geht es darum, die Träume und Utopien auszukosten. Die Unterschiede könnten kaum größer sein. Zur Utopie gehört nämlich auch die Fähigkeit zur Verwandlung.
kreuzer: Manche sagen, Parole Trixie war die einzige deutsche Riot-Grrrl-Band. Seid ihr noch Riot-Grrrls? Braucht man die heute noch?
GRETHERS: Das muss jede Frau für sich selber beantworten. Ich möchte jedenfalls nicht in einer Gesellschaft leben, in der es keine zornigen Mädchen oder Frauen gibt, die auf den Tisch hauen und für ihre Rechte einstehen. Der Begriff »Riot Grrrl« ist für uns zu so einer Art Pendant zum »Angry Young Man« geworden. Ich möchte auch nicht in einer Gesellschaft leben, in der es keine zornigen jungen Männer gibt.
kreuzer: Wisst ihr, warum es so wenig erfolgreiche Mädchen-Gitarrenrock-Bands gibt? Oder wenn ihr es auch nicht wisst, habt ihr einen Erklärungsversuch?
GRETHERS: Weil die Leute sich einfach weigern, die Gitarrenrock-Mädchenband aufs selbe Mixtape zu packen wie die Gitarrenrock-Männerband. Gitarrenrock von Frauen spielt in allen Sphären, in denen Musik vorkommt, in einer anderen Liga. Völlig unabhängig davon, wie die Band klingt.
kreuzer: Ihr beschwert euch einerseits darüber, dass euch als Mädchenband mehr der Vorwurf gemacht wird, auf Teufel komm raus zu reimen, Männern eher nicht. Andererseits könnte man auch den Eindruck bekommen, dass die Beachtung in den Medien deswegen so groß ist, weil ihr weiblich seid. Welche Rolle spielt das Geschlecht?
GRETHERS: Wir sind keine Mädchenband! Doctorella besteht aus zwei Mädchen und zwei Jungs. Deine Frage impliziert, dass wer Vorteile hat, auch Nachteile in Kauf nehmen muss. Aber wir haben keinen Erfolg, weil wir Frauen sind, sondern weil wir interessante Frauen sind. Und wenn wir interessante Männer wären, hätten wir dieselben Vorteile. Aber eben nicht die Nachteile. Denn als Künstlerin wird man ständig mit Vorurteilen über das angeblich »typisch Weibliche« konfrontiert. Viele Leute denken immer noch, eine Musikerin hätte nicht die volle Kontrolle über ihre ästhetischen Mittel.
kreuzer: Ihr habt in Berlin den Slut-Walk mitorganisiert. Eure Tipps für den nächsten in Leipzig?
GRETHERS: Den ironischen Begriff »Slutwalk« auch kritisch betrachten in der Öffentlichkeitsarbeit. Die Ziele so genau wie möglich formulieren. Letztlich geht es darum, den Betroffenen von Vergewaltigungen zu helfen und die Tolerierung von Vergewaltigungsmythen zu skandalisieren. Betonen, dass es keinen Dress Code gibt.
kreuzer: In »Ich hol dich aus dem Irrenhaus« geht es um Spinner. Wie ist man verrückt mit Stil?
GRETHERS: Indem man Neurosen nicht kaschiert oder verbirgt, sondern ihnen einen schönen samtenen Seidenschal mit roten Punkten umbindet. Bis der Tag gekommen ist, an dem man den Schal nicht mehr braucht.
kreuzer: Habt ihr jetzt selber Groupies?
GRETHERS: Hatten wir schon immer. Aber das waren meistens Rockstars. Seitdem wir gemeinsam als Doctorella auf der Bühne stehen, machen sich aber auch »normale« Groupies an uns ran. Das empfinden wir als enorme Erleichterung.
kreuzer: Bei eurem Konzert in der naTo werdet ihr auch vorlesen. Was?
GRETHERS: Lyrik und Manifeste. Mal liest die Lyrikerin und Schriftstellerin Marica Bodrozik, mal lesen wir. Die Gedichte von Marica Bodrozik passen auf wundersame Weise zu unseren Songs. Und so ergibt sich eine unverwechselbare poetische Rockshow zu dem Thema »Drogen und Psychologen«, bei der die Leute hoffentlich aufhören zu denken und anfangen zu fühlen.