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Kultur

»Die Mucke ist ganz chillig«

Das Festivaltagebuch, Teil 4: Letztes Bierchen beim L*abore

  »Die Mucke ist ganz chillig« | Das Festivaltagebuch, Teil 4: Letztes Bierchen beim L*abore

Das kleine Festival L*abore am Hauptmannsgrüner Mühlteich begeisterte auch bei Nieselregen. Mit Eierlikör, psychedelischen Rock und Synthesizersounds. Gummistiefel brauchte man nicht.

Das Vogtland ist landschaftlich reizvoll. Pop- und subkulturell sieht es dagegen verdammt traurig aus. Die regionalen Diskos und Vogtlandhallen bieten eher Schaumdiskos als subversiv wertvolle Kulturangebote, die Jugend zieht es in die Ferne. Doch einmal im Jahr wird Hauptmannsgrün zum gallischen Dorf in dieser subkulturellen Tristesse, denn die unerschrockene »Dorfjugend« setzt der Übermacht an zweifelhaften Dorffesten ein liebevolles Musikfestival entgegen, für das sie alle Kräfte mobilisiert – auch die der Weggezogenen und jung Gebliebenen. Ohne Sponsoren oder Fördergelder gelingt es dem Verein Borwaerk Jahr für Jahr sein beachtliches Festival L*abore durchzuziehen, das stets auch einige Leipziger ins Vogtland lockt.

Wir schaffen es leider erst am Samstag nach Hauptmannsgrün. Die Kurznachrichten, die uns im Vorfeld erreichten, berichten von tollen Konzerten am Freitag, vor allem von Fenster aus Berlin und Pttrns aus Köln. Und sie legen uns ausdrücklich ans Herz, Gummistiefel und Wintermützen einzupacken. Wir lassen uns weder vom nicht enden wollenden Nieselregen noch von eher herbstlichen Temperaturen abschrecken. Von Leipzig zum Hauptmannsgrüner Mühlteich sind es knapp 100 km auf der Landstraße. Der vermeintlich kurze Hinweg wird am Ende zu einer kleinen Qual, die Festivalmacher haben die Ausschilderung vergessen. Nach einer schier unendlichen Tour durch die benachbarten Dörfer finden wir das Festival dann doch. Der Ärger ist schnell vergessen, denn von den Jungs am Parkplatz und an der Kasse werden wir mit urigem Charme empfangen. Auch der Schlamm auf dem Gelände hält sich in Grenzen, die Gummistiefel sind nicht nötig.

Vom Campingplatz sind es nur wenige Meter bis zu den Bühnen. An kleinen Ständen werden Getränke zu fairen Preisen, veganer Gulasch oder Eierlikör ausgeschenkt. Auf der Zeltbühne spielen gerade Candelilla aus München, die beim Hamburger Label ZickZack unter Vertrag sind und bereits am frühen Abend einige Zugaben spielen müssen, was auch dazu führt, dass sich das restliche Programm Stück für Stück verzögert. Ein durchaus schrulliger Holländer kümmert sich um die Pausenansagen. Der etwa 50-Jährige, den alle nur Ben rufen, ist eines Tages per Zufall beim L*Abore gelandet und moderiert seit Jahren voller Inbrunst durchs Festival.

Das Programm lässt sich vereinfacht so zusammen fassen: Im Zelt gibt’s Pop und Elektronik, draußen wird gerockt. Auf der sogenannten Sonnenbühne begeistern uns Kadavar. Das Berliner Trio ist der Prototyp einer psychedelic Rockband, optisch wie musikalisch brillant. Auch im Zelt werden alle Bands, wie zum Beispiel die Elektropopband Me Succeeds aus Hamburg oder die gänzlich unbekannte Session-Band Knarz aus Dresden, Berlin und Leipzig wie große Stars gefeiert. Gegen fünf Uhr beschließt der Leipziger Electronic-Act Porkfour mit seinen Synthesizer-Sounds eine gelungene Festival-Nacht.

Für den Sonntag hat das Borwaerk-Team eine Künstlerinn eingeladen, die in der Indie-Szene schwer angesagt ist. Die isländische Sängerin Sóley hatte am Vorabend in Erfurt ein restlos ausverkauftes Konzert gegeben. Da sie am Freitag oder Samstag für das kleine Festival unbezahlbar wäre, wurde Sóley zum vergleichsweise günstigen Matinee-Konzert nach Hauptmannsgrün gelotst. Eine ausgesprochen gute Idee, denn der Isländerin gelingt der perfekte Soundtrack zum Abschied. Manche Gäste, die übers Wochenende wahrlich hart durchgefeiert haben, sind beim letzten Bierchen von den ruhigen Klängen sichtlich irritiert. Ein Rockertyp kauft sich trotzdem gleich mal eine Sóley-CD. Dabei meint er nur: »Die Mucke ist ganz chillig!« In diesem Moment scheint auch endlich die Sonne über Hauptmannsgrün.


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