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Joschka, Zyanid und gegärte Pflaumen

  Joschka, Zyanid und gegärte Pflaumen |
Rumänien und Bulgarien sind seit fünf Jahren in der EU – was hat sich getan? Vier junge Journalisten aus Leipzig und ihre osteuropäischen Kollegen mit einem Ziel: Facing Europe. In zwei Teams sind sie vier Wochen in Rumänien und Bulgarien unterwegs und berichten hier, was sich dort tut.
Woche 2, Team Rumänien Deutsche Telefonzellen und Zyanid für Gold Nach zwei Wochen kommen wir in Sibiu in Siebenbürgen an. Die Stadt hat einen deutschen Bürgermeister und so sieht sie auch aus: piekfeine Fußgängerzonen, sanierte Altbauten, Warnschilder, auf denen »Müll abladen verboten, sonst 200 Euro Strafe« steht. Es gibt eine deutsche Buchhandlung, auf deren Grabbeltisch die Biografie von Joschka Fischer liegt. Sogar die alten gelben deutschen Telefonzellen stehen überall in der Innenstadt. Ein echter Kulturschock, kommen wir doch gerade aus den rumänischen Bergen. Dort haben uns jeden Morgen die Hähne aus dem Bett gekräht, zum Frühstück gab es frisch gemolkene Milch und Pflaumen aus dem eigenen Garten. Hier, auf einem Bauernhof in Rosia Montana, ist die Welt noch in Ordnung. Aber der Frieden ist in Gefahr: Unter dem Bergdorf liegen 300 Tonnen Gold und das Fünffache an Silber – im Gesamtwert von 14 Milliarden Euro. Eine kanadische Firma will die Bewohner umsiedeln und die größte Goldmine Europas errichten – hat aber nicht mit dem Widerstand im Dorf und ganz Rumänien gerechnet. »Rettet Rosia Montana« – solche Aufkleber begegnen uns überall. Sie gehen auf das Konto einer Bürgerbewegung, die verhindern will, dass die Natur durch die Mine zerstört wird. Denn um das Gold aus dem Gestein zu lösen, wird giftiges Zyanid benutzt und der Giftschlamm in einem riesigen Becken gesammelt. Sollte der Damm brechen, droht eine Katastrophe wie in der Industriestadt Baia Mare: Dort lief vor zwölf Jahren ein Zyanidbecken aus, die Wasserversorgung mehrerer Dörfer wurde verschmutzt, tausende Fische starben. Der Pressesprecher der Gold Corporation versichert, die Anlage in Rosia Montana sei sicher. »Alles Lüge«, schimpft Eugen David. Der Bauer ist der Kopf des Widerstandes im Dorf, er sitzt auf seiner Bergwiese und zeigt um sich: »Die ganze Landschaft wird durch den Bergbau zerstört!« Er hat ganz andere Pläne für die Region: Tourismus und Biolandwirtschaft. An seinen Hof hat er ein grünes Schild genagelt: Nicht zu verkaufen. »Ich gehe hier nicht weg. Um keinen Preis der Welt!« Das Dorf ist gespalten, die einen glauben an eine Zukunft ohne Bergbau, die anderen hoffen auf die versprochenen Jobs. »Das Minenprojekt hat schon ganze Familien entzweit«, erklärt ein Bewohner. »Das ist ein Nervenkrieg, der hier schon seit 15 Jahren wütet.« Beenden könnte ihn die rumänische Regierung: Auf ihrem Schreibtisch liegt der Antrag der Protestbewegung, die Region zum UNESCO-Weltkulturerbe zu erklären. Aber der Antrag setzt Staub an, statt ordnungsgemäß weitergeleitet zu werden. Bevor wir Rosia Montana verlassen, klettern wir auf eine Bergspitze und schauen ins Tal: Das wahre Gold ist für uns die Schönheit der Landschaft.   Woche 2, Team Bulgarien Artenvielfalt dank Sozialismus Maria Dimiewa versteht sich selbst als Nachfahrin der Thraker. Sie arbeitet für die Parkverwaltung von Bulgariens größtem Naturpark, der sich – halb so groß wie das Saarland – vom Strandža-Gebirge bis hin zur Schwarzmeerküste an der türkischen Grenze erstreckt. Hier zeigt uns Dimiewa die Überbleibsel der Hochkultur. Hoch erhoben auf einzelnen Bergen haben die Thraker auf riesigen Opfersteinen ihren Göttern Wein und Tierblut dargebracht. Surreal thronen die vor Ewigkeiten hergeschafften Steine über die Täler. In einzelne Felsen sind Löcher Richtung Osten gemeißelt worden. Der erste Sonnenstrahl sei so durch das Loch auf den Opferstein gefallen, was für die Thraker die Verbindung zwischen Mutter Gebirge und Vater Sonne symbolisierte. Dass in der Region eine Vielfalt von gefährdeten Tier- und Pflanzenarten wie wilde Orchideen, Schildkröten und Goldadler leben, verdankt die Region paradoxerweise der sozialistischen Ära. Damals war die Region streng bewachte Grenzzone – fast menschenleer und isoliert. Die elf Orte im Park verlieren seit Jahrzehnten an Bevölkerung. Die wenigen Verbliebenen versorgen sich zum Großteil selbst, indem sie in ihren Gärten unter anderem Paprika, Gurken, Tomaten und Kartoffeln anbauen. Und Schnaps. Der für die Region typische schwarze Honig aus Eichenblättern wird genauso daheim hergestellt wie der Obstschnaps Rakija. Derzeit ist Hochsaison. Ein süßlicher Geruch liegt in der kleinen Hütte von Kiro Kirow neben seinem Haus im Bergdorf Kondolovo. Am Morgen hat der 75-Jährige gegärte Pflaumen in einen hohen Kupferbottich gegeben. Seitdem legt er darunter ständig Holz nach, um die Temperatur konstant zu halten. Beständig fließt der destillierte Rakija in einen grünen Plastikeimer. Rund 20 Liter stellt er pro Saison her. Doch seine Frau Irina meint schnippisch: »Schnapsbrennen ist zwar Männersache, aber ohne mich würde er das alles gar nicht schaffen.« Und ihn zu trinken, sei natürlich auch eine Gemeinschaftsaufgabe.

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