»Landwirtschaft in der Stadt – Alternative oder Traum?« Eine Podiumsdiskussion der Grünen Reihe drehte sich ganz um frische Konzepte für urbanes Gärtnern. Biokistenanbieter, Ökolöwen und Gartenbetreiber besprachen Probleme und Ziele ihrer Arbeit.
Das Publikum lauscht bedächtig, als Moderatorin und kreuzer-Redakteurin Petra Mewes die Frage des Abends stellt: »Woher kriege ich jetzt nach der Arbeit einen frischen, knackigen Bio-Salat?« Marian Schwarz von der Solidarischen Feldwirtschaft in Leipzig-Stünz hat eine klare Antwort: »Wirklich frischen Salat gibt’s nur beim Produzenten.« Bei der Diskussion im Saal der Galerie für Zeitgenössische Kunst besprachen fünf urbane Ökogärtner die Ziele und Probleme ihrer Arbeit.
Der Agrarwissenschaftler Schwarz baut mit 30 anderen Helfern auf Feld in Leipzigs Osten mehr als vierzig Gemüsesorten an. Er und die Teilhaber der Anbau-Gemeinschaft versorgen sich so selbst mit Gemüse. Mit weniger Aufwand bekommt man den Salat von Ökokistenanbieter Malte Bauer. Im Gegensatz zu Schwarz bietet er seinen Kunden kein Gemeinschaftsgefühl, dafür einen Lieferservice. Das spart Zeit und schont die Umwelt, sagt Bauer. Er hat ausgerechnet, dass er bei der Liefertour viel weniger Kilometer mit dem Auto fährt, als wenn jeder Kunde direkt zum Lobacher Hof in Kreuma kommen würde. Dort wird Bauers Gemüse herangezogen.
Produzent und Konsument sollen sich kennenlernen
Auf die Frage der Moderatorin, warum man in Restaurants und Mensen so selten Biogemüse aufgetischt bekommt, antwortet Ökolöwen-Mitglied Urte Grauwinkel, diese seien leider selten Kunden der Ökobauern, denn Biokartoffeln sind weder genormt noch geschält und damit unattraktiv für diesen Markt.
Die Idee einer zentralen Markthalle, die dem Verbraucher täglich frische Ware bietet sehen die kleinen Produzenten kritisch. Woher soll der Bauer das Geld für den Verkäufer nehmen, wenn er auf dem Feld ist? Außerdem widerspräche es der Idee des Direktmarketings, bei dem sich Produzent und Konsument kennen sollen, um einen angemessenen Preis für das Produkt, die Arbeit des Kleinbauern und die Maßnahmen zum nachhaltigen Wirtschaften zu sichern.
Graswurzeldemokratie auf Industriebrachen
»Es ist ein Full-Time-Job«, berichtet Philipp Scharf vom Gartenprojekt Annalinde. Der offene Garten im Leipziger Westen sei kein Ort des Profitgedankens. Urbane Landwirtschaft ermutige die Bürger zur Teilhabe und Gestaltung ihrer Stadt und der Vielfalt auf dem Teller. Jacob Ottilinger von Annalinde hat drei Bäckerkisten mit Pflanzen zur Illustration dabei. Auf dem Dach des Felsenkellers entstanden mit solchen Kisten 50 Hochbeete. Das Problem von Annalinde sei der Mangel an passenden Flächen, Brachen in der Stadt seien potentielles Bauland. Das derzeitig genutzte Gelände ist nur für ein Jahr gepachtet: »Das ist ganz prekär«, sagt Ottilinger. Urte Grauwinkel berichtet von der Situation im Leipziger Süden, wo viele traditionelle Gärtnereien zugemacht und ihr Land an Investoren verkauft hätten. Aus dem Publikum meldet sich daraufhin ein Mitarbeiter des Liegenschaftsamtes der Stadt und lädt alle zum Gespräch ein: »An den Flächen soll es nicht scheitern.«
Wenn Ottilinger und Scharf mit Schulkindern Spinat in Bäckerkisten sähen oder Kartoffeln ausbuddeln, ist das oft Neuland für die Kinder. Aber nicht nur die staunen über die neuen Projekte, die alte Traditionen des Feldgemüseanbaus in der Stadt aufgreifen. »Aller Anfang ist schwer. Zwar gibt es in Großstädten wie New York schon länger urbane Gemeinschaftsgärtnereien, doch Vertrauen und Interesse muss man erst mal wecken«, erzählt Scharf. Das dürfte an diesem Abend gelungen sein, die Annalinde-Flyer jedenfalls fanden beim Publikum reißenden Absatz.