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Filmkritik

Das Glück ist ein scheues Reh

Neustart der Woche, nein des Monats: Das Country-Märchen »The Broken Circle«

  Das Glück ist ein scheues Reh | Neustart der Woche, nein des Monats: Das Country-Märchen »The Broken Circle«

Elise hat ein Tattoo-Studio, Didier spielt Banjo. Er redet viel, sie hört ihm zu. Er ist überzeugter Atheist, sie hat ein Kreuz im Nacken tätowiert. Es ist Liebe auf den ersten Blick, der bald die kleine Maybelle folgt. Doch ihre Welt gerät aus den Fugen. Felix van Groeningens erzählt in seinem Country-Märchen »The Broken Circle« schon jetzt die schönste Liebesgeschichte des Jahres.

»Weinen können wir daheim«, sagt Elise zu Didier, während sie mit ihrer kleinen Tochter Maybelle auf dem Krankenhausbett sitzt und wartet. »Hier sind wir positiv.« Didier atmet tief durch und wischt sich eine Träne von der Wange. Bereits die ersten Minuten von »The Broken Circle« lassen Ungutes erahnen: Die sechsjährige Maybelle hat Krebs, liegt, von der Chemotherapie gezeichnet, im Krankenhaus und wird wahrscheinlich bald sterben. Aus dem Krankenzimmer heraus geht es sieben Jahre zurück in der Geschichte. Didier und Elise sind frisch verliebt, singen zusammen in einer Bluegrass-Band und haben wilden Sex im Auto.

Der belgische Regisseur Felix van Groeningen erzählt in seinem neuen Film eine aufwühlende Geschichte über die Freuden und Leiden des Lebens. Immer wieder unterbricht er die filmische Gegenwart mit Rückblenden auf die glücklichen Anfänge der Beziehung zwischen Elise und Didier. Mit einem feinen Gefühl für den optimalen Zeitpunkt montiert van Groeningen Fragmente dieser Beziehungsgeschichte aneinander und vermeidet so, dass gerade die tragischen mit unnötigem Pathos aufgeladen werden. Auf erdrückende Momente, die man manchmal nur schwer auszuhalten glaubt, folgen sommerwarme, in surreale Farben getauchte Bilder. Elise und Didier rennen nackt, nur mit Cowboyhut und -stiefeln bekleidet, über eine Pferdekoppel oder lassen sich Las Vegas-gleich von einem Bandkollegen trauen. Gemeinsam stehen sie auf der Bühne und singen voller Leidenschaft amerikanische Folksongs. Im nächsten Moment schreit Elise mit schmerzverzerrtem Gesicht Didier an: »Es war zu schön, um wahr zu sein.« Seufzend stimmt der Zuschauer im Dunkeln zu, wenn er beim Anblick der kahlköpfigen Maybelle eine weitere Träne verdrückt.

Auf der diesjährigen Berlinale feierte »The Broken Circle« seine Deutschlandpremiere. Zwischen Taschentüchern und Standing Ovations fand der Film dort jenen Anklang, den er ganz klar verdient hat. Am Ende wurde er mit dem Panorama-Publikumspreis ausgezeichnet. Die tragische Geschichte basiert auf dem Theaterstück »The Broken Circle Breakdown Featuring The Cover-Ups Of Alabama«, das aus der Feder des Hauptdarstellers Johan Heldenbergh stammt.

Anfangs hatte van Groeningen große Bedenken, ob das Stück für die Leinwand funktionieren würde. Nicht nur, weil die Aufführungen in Belgien und den Niederlanden durchweg ausverkauft waren und euphorische Reaktionen bei Presse und Publikum hervorriefen. Auch, weil Beziehungsdramen eigentlich nicht sein Ding seien. Von diesen Bedenken dürfte sich der Belgier längst befreit haben. Van Groeningen gilt als einer der wichtigsten Regisseure des jungen belgischen Kinos. Bereits mit seinem letzten Film »Die Beschissenheit der Dinge« (2009) hat der Mittdreißiger bewiesen, dass er gekonnt die Tristesse des Lebens in Szene setzen kann, ohne seine Zuschauer in den Untiefen der Depression zurückzulassen.

Hinter dem Liebes- und Familiendrama offenbart sich im Verlauf des Filmes vor allem auch eine kritische Auseinandersetzung mit Glaube und Tod. Und vielleicht liegt hierin die größte Leistung von »The Broken Circle«. Während sich Elise nach dem Tod von Maybelle in einen diffusen Aberglauben flüchtet und hofft, dass ihre Tochter als Stern am Himmel weiterlebt, versteckt Didier die Trauer hinter rationalen Prinzipien. Seine anfängliche Amerikaschwärmerei, die sich auch in seiner religiös angehauchten Folkmusik wiederfindet, weicht einer entsetzten Fassungslosigkeit über die Bush-Regierung. Deren konservative Einstellung zur Stammzellenforschung macht er verantwortlich für den Tod seines Mädchens. In einer aufreibenden Szene schreit Didier bei einem Auftritt seiner Band minutenlang ins Mikro und rechnet aufs Schärfste mit dem christlichen Glauben ab: »Der Gott des Alten Testaments ist eine der grausamsten Figuren der Literatur«, ruft er zornig ins Publikum. »Wir suchen uns doch nur Götter, weil wir Angst haben.« Dass Elise, die zerbrechlich neben ihm steht, gerade im Glauben Trost findet, ist da nur noch eine, wenn auch nicht unwichtige, Randnotiz. Die beiden stehen längst vor den Trümmern ihres einstigen Glücks.


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