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Filmkritik

Keine Revolte, eine Revolution

Film des Monats: »Laurence Anyways«

  Keine Revolte, eine Revolution | Film des Monats: »Laurence Anyways«

Nicht nur der 24-jährige Filmemacher Xavier Dolan scheint mit »Laurence Anyways« erwachsen zu werden, das »Queer Cinema« tut es ihm gleich.

Inspiriert vom eigenen Leben erzählte Xavier Dolan 2009 in seinem Filmdebüt »I Killed My Mother« von dem 16-jährigen Hubert und dessen unbändigem Hass gegen seine Mutter. Mit 17 verfasste er das Drehbuch, mit 19 verfilmte er den Stoff und übernahm die Hauptrolle. Bemerkenswert an seinem Debüt war aber nicht die Story, die noch sehr von einer rotzbengeligen Attitüde getragen war. Vielmehr war es Dolans fast schon souveräner Umgang mit den Stilmitteln: Farben, die lebendig wurden, faszinierende Zeitlupen, das Spiel mit popkulturellen Referenzen und Poesie. Ein Erstlingswerk, dessen Handwerk eher an das eines Vollprofis erinnerte. Kaum ein Jahr später reichte Dolan mit »Herzensbrecher« seinen zweiten Film nach, der jegliche Erwartungen übertraf. Eine hübsche junge Frau und ihr schwuler Freund (gespielt von Dolan) verlieben sich in denselben blond gelockten Schönling. Genüsslich demontiert Dolan das Möchtegern-Cool-Image seiner Figuren, die mittlerweile Anfang 20 sind und sich in Eitelkeiten und Imaginationen verlieren, in pointierten Dialogen, surrealen Traumsequenzen und filmgeschichtlichen Querverweisen. Mit seinem dritten Film »Laurence Anyways« übertrifft der Autodidakt noch einmal sämtliche Erwartungen. Statt unglücklicher Liebe steht nun ein Paar um die 30 im Mittelpunkt, das im Leben angekommen ist. So scheint es zumindest.

Montreal, 1989: Seit zwei Jahren sind Oberstufenlehrer Laurence (Melvil Poupaud) und die Werbefilmerin Frédérique (Suzanne Clément), kurz »Fred«, ein Paar. Sie führen eine glückliche und leidenschaftliche Beziehung, feiern sich selbst als Außenseiter und rebellieren gegen die Normalität, indem sie Listen erstellen mit Dingen, die ihre Freude mindern. Bis Laurence seine Freundin mit der Offenbarung vor den Kopf stößt, dass er als Frau weiterleben möchte. Da ist gut eine halbe Stunde des opulenten 159 Minuten langen Werkes vergangen und Dolan hat uns mit einem wilden Mix aus knallbunten Collagen, pochenden Rhythmen und wackliger Handkamera aus dem Kinosessel in die entrückte Welt seiner Protagonisten entführt.

Fred ist schockiert wie die meisten Menschen in Laurences’ Umfeld, entschließt sich aber, ihn zu unterstützen. Sie gibt ihm erste Schminktipps, kauft eine Perücke und reibt sich für ihn in Diskussionen mit ihrer Schwester und ihrer Mutter auf. Selbst als sie unerwartet schwanger wird, entscheidet sich Fred für Laurence gegen das Kind. Nur, dass dieser davon nichts mitbekommt und unbeirrt seinen Weg weitergeht, während Fred dieses Geheimnis zerfrisst.

Ein Jahrzehnt lang begleitet Dolan die Höhen und Tiefen dieser komplexen queeren Liebesgeschichte, zeigt, wie Laurence und Fred immer wieder an innere und äußere Grenzen stoßen, diese aufbrechen und hinter sich zurücklassen. »Unsere Generation kann das aushalten«, sagt Fred an einer Stelle im Film. »Alles ist möglich!« Und man wünscht sich sehr, dass auch ihre Liebe zu Laurence das kann.

Dolan führt in »Laurence Anyways« eine wichtige Debatte über Transsexualität und Ausgrenzung. Im vergangenen Jahr wurde sein Film in Cannes mit der Queer Palm ausgezeichnet. »Laurence« reiht sich ein in eine Entwicklung im queeren Kino, die in den Medien gern mit dem Etikett einer »neuen Welle« versehen wird – wenngleich der Weimarer Kulturwissenschaftler und Filmjournalist André Wendler lieber von einer Entwicklung, einem Erwachsenwerden des queeren Kinos spricht. »Diese Filme erzählen weniger von jungen Leuten, die plötzlich entdecken, dass sie anders sind als der Rest der Gesellschaft, und um Anerkennung kämpfen«, erklärt Wendler. »Es sind weniger Coming-out- oder Initialisierungsgeschichten, sondern Geschichten über Menschen, die bereits im Leben stehen und deren Alltag durcheinandergerät.« Natürlich ist Dolans Figur des Laurence genau an einem solchen Punkt und muss sich noch einmal neu erfinden und im Leben positionieren. Doch der kanadische Jungfilmer reibt sich weniger am Gesamtgesellschaftlichen und rückt die bewegte Liebesbeziehung zwischen Laurence und Fred in den Mittelpunkt seiner Erzählung. Auf differenzierte Weise blickt er auf die Schwierigkeiten dieser Liebe, die selbst den Zuschauer an die Grenzen seiner Akzeptanz treibt. Denn die anfängliche Selbstlosigkeit, die beide in das Liebesabenteuer miteinander stürzen lässt, verflüchtigt sich im Verlauf des Filmes zunehmend und verlangt von Laurence wie auch von Fred das Überdenken eigener Identitätskonstruktionen.

Nein, seine Veränderung sei keine Revolte, sagt Laurence zu einem Kollegen. Sie sei eine Revolution. Eine Revolution, für die er viel, wenn auch nicht leichtfertig, aufs Spiel setzt.


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